Die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu schließen

… und markt- sowie bedarfsorientierte universitäre Bildungsformate anzubieten, darauf liegt der Fokus der Weiterentwicklung der UMIT TIROL am Campus Lienz.

Uns hat der Standortleiter des Campus Lienz, Mag. Silvester Wolsegger, erzählt, warum er sich für diese Funktion beworben hat, um welche Themen es konkret in Zukunft gehen soll und welche Erfahrungen aus den bisher am universitären Standort in Lienz organisierten Workshops und Kursen gesammelt werden konnten. Außerdem schildert Silvester Wolsegger die Intention und Ausrichtung des neuen Zentrums für Lernen und Lernstörungen in Lienz und informiert, wann die nächsten Ausbildungsformate starten.

 

 

Herr Mag. Wolsegger, Sie sind seit Februar 2022 am Campus Lienz tätig. Was hat Sie an Ihrer neuen Aufgabe gereizt?

Bereits während meines berufsbegleitenden Studiums der Gesundheitswissenschaften an der UMIT TIROL und meiner Tätigkeit als Studierendenvertreter im Senat habe ich die UMIT TIROL als Privatuniversität kennengelernt und sie als beeindruckenden Motor für Innovationen im Gesundheitswesen wahrgenommen. Nachdem ein Ende der Corona-Krise absehbar und auch der Mehrwert der polizeilichen Strukturanpassung im Bezirk Lienz nachhaltig sichtbar wurde, war 2021/2022 für mich der ideale Zeitpunkt, den Beruf zu wechseln. Das sich abzeichnende neue berufliche Umfeld an der UMIT TIROL bot mir ideale Voraussetzungen, die im Rahmen von universitären Weiterbildungen gewonnenen Erkenntnisse, verzahnt mit beruflichen Erfahrungen, in die Weiterentwicklung des Campus Lienz einfließen zu lassen. Und es war und ist reizvoll, an diesem Veränderungsprozess aktiv mitwirken zu können.

Was sind die Erfahrungen, die Sie im vergangenen Jahr gewinnen konnten?

Für die nachhaltige Weiterentwicklung des Osttiroler Universitätsstandortes ist die Einbettung in die umliegende Unternehmensregion ein zentrales Erfordernis. Nur so kann der Campus Lienz eine nachhaltige Erfolgsgeschichte werden. Hierfür braucht die UMIT TIROL vor allem auch Allianzen und insbesondere in der aktuellen Entwicklungsphase das verstärkte Bewusstsein in der Region, dass trotz intensivster Bemühungen der Universität Innsbruck und der UMIT TIROL, in enger Zusammenarbeit mit der Region und den Osttiroler Technologieunternehmen, das gewünschte Bachelorstudium Mechatronik über fünf Jahre leider nur eine sehr geringe Anzahl an Studierenden hervorgebracht hat. Dies führte letztlich dazu, dass dieses Studium, in Abstimmung mit allen Akteuren, eingestellt werden musste. Als positiv ist hervorzuheben, dass in den genannten fünf Jahren hervorragende Forschungs- und Technologieprojekte etabliert werden konnten. Es gilt nun, die gewonnenen Erkenntnisse in der nunmehrigen zweiten Entwicklungsphase bestmöglich zu berücksichtigen. So verfolgt die UMIT TIROL am Campus Lienz nun Ziele und Aufgaben von „unten nach oben“ und setzt dabei zunächst auf Universitätskurse und -lehrgänge. Jeder „Rollout“ eines universitären Bildungsformates sondiert somit zeitgleich auch den Bildungsmarkt. Das ist betriebswirtschaftlich sinnvoll bzw. notwendig. Die positiven Entwicklungen im Bereich des Zentrums für Lernen und Lernstörungen sowie des Krisen-, Katastrophen- und Risikomanagements bestätigen diese strategische Ausrichtung.

 

 

Wie eng ist prinzipiell die Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck bzw. UMIT Tirol? Wer sind Ihre wichtigsten Ansprechpartner?

In der Grundordnung der Organisation handelt es sich nunmehr beim Campus Lienz um eine Abteilung der UMIT TIROL, welche unmittelbar dem Rektorat der UMIT Tirol unterstellt ist. Im engen und partizipativen Austausch sind Frau Rektorin Prof. Dr. Sandra Ückert und Herr Vizerektor Univ.-Prof. DI Dr. Bernhard Tilg auch gleichermaßen die wichtigsten Ansprechpartner. Die UMIT TIROL ist Leadpartner in der zweiten Entwicklungsphase in Zusammenarbeit mit dem Land Tirol, der Universität Innsbruck, den Gemeinden, Unternehmen und Osttiroler Einrichtungen.

Um welche Themen soll es künftig konkret gehen?

Mit dem Auslaufen des Bachelor-Studiums Mechatronik und aufbauend auf die gewonnenen Erfahrungen wird der Universitätsstandort Lienz in der zweiten Entwicklungsphase unter Federführung der UMIT TIROL nachhaltig und thematisch breiter aufgestellt. Dabei stehen die Themen Technologie, Digitalisierung, Krisen- und Katastrophenmanagement, Gesundheit und Prävention sowie Tourismus- und Destinationsmanagement im Fokus. Neben Forschungsprojekten sollen universitäre Studienprogramme und Bildungsangebote in enger Zusammenarbeit mit Osttiroler Einrichtungen und Institutionen geschaffen werden.

Was hat es mit dem Workshop-Programm für Unternehmens-GründerInnen auf sich?

Das Ziel der UMIT TIROL am Campus Lienz ist es, als aktive Treiberin von Innovationen mit hohen Ansprüchen die wissenschaftliche Bildung für die Zukunft zu gestalten. Gleichzeitig sieht sich die UMIT TIROL am Campus Lienz als anwendungsbezogene Brückenbauerin in Industrie, Gesundheitsversorgung, Gesellschaft und Wirtschaft. So soll mit dem GründerInnen-Hub ein erster Netzwerkknoten aufgebaut werden. Die Initiatorin und Veranstalterin dieser Workshop-Reihe ist die INNOS GmbH.

Im Dezember 2022 konnte der neue Universitätskurs für Krisen-, Katastrophen- und Risikomanagement gestartet werden. Worum geht es dabei konkret?

Mit diesem Universitätskurs wollen wir am Studienstandort in Lienz einem zentralen Thema unserer Gegenwart einen besonderen Stellenwert zumessen. Das Angebot des Kurses ist ideal für Führungs-, Leitungs- und Fachkräfte aus unterschiedlichen Berufsgruppen, die sich für anwendungsorientierte Aufgaben im Bereich des Krisen-, Katastrophen- und Risikomanagements weiterqualifizieren möchten. Kurs-AbsolventInnen werden auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und durch die Kombination mit praktischer, branchenbezogener Expertise befähigt, ihr erworbenes Know-how in die Praxis der Krisen- und Katastrophenbewältigung von Industrie, Gesundheits- und Pflegeversorgung, Gesellschaft und Wirtschaft zu implementieren. Zudem ist der Kurs auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Berufsgruppen zugeschnitten. Den TeilnehmerInnen soll das Werkzeug an die Hand gegeben werden, einen zentralen Beitrag zur Entwicklung der Gefahrenabwehr und zur Bewältigung vernetzter oder einzelner Krisen- und Katastrophenszenarien zu leisten.

Wie ist der Kurs aufgebaut?

Der Kurs besteht aus in sich geschlossenen Modulen, die auch einzeln belegt werden können und ist zeitlich so konzipiert, dass er berufsbegleitend absolviert werden kann. Es gibt 6 Module mit insgesamt 150 Unterrichtseinheiten bzw. 15 ECTS. Die Unterrichtseinheiten in Präsenzform finden einmal im Monat, jeweils donnerstags von 13.00 bis 18.00 Uhr und freitags sowie samstags von 9.00 bis 18.00 Uhr statt. Der Universitätskurs umfasst folgende Inhalte: politische und rechtliche Grundlagen im interdisziplinären Kontext des Krisen-, Katastrophen- und Risikomanagements (Modul A), Planung der Gefahrenabwehr in Unternehmen und Organisationen (Modul B), Entscheiden und Führen im Krisen- und Katastrophenfall (Modul C), Krisenkommunikation (Modul D), Gesundheitsvorsorge im Kontext von Katastrophen, Großschadensereignissen und Klimawandel (Modul E) sowie Wissenschaft für die Praxis des Krisen-, Katastrophen- und Risikomanagements mit praktischen Übungen und Fallbeispielen (Modul F).

Wer sind die ReferentInnen bzw. DozentInnen?

Der Universitätskurs wird im Rahmen einer umfassenden Ausbildungsallianz durchgeführt. Namhafte Modulverantwortliche und DozentInnen der Kooperationspartner Land Tirol, Tiroler Gemeindeverband, Österreichisches Rotes Kreuz, Freiwillige Feuerwehr, Polizei, Österreichisches Bundesheer, der UMIT TIROL sowie aus dem medizinischen Bereich und der Wirtschaft bringen sich in spezifischen Modulinhalten des Universitätskurses ein.

Fließen auch Erfahrungen aus der Pandemie in den Kurs ein? Welche Rolle spielt die Umweltthematik?

Vernetzte internationale Krisen mit regionaler Auswirkung, singuläre Ereignisse wie radioaktive Unfälle oder Katastrophenszenarien aller Art (wie Naturkatastrophen, Großschadensereignisse, Epidemien, Pandemien, gesundheitsgefährdende Temperaturanstiege, Umweltverschmutzung oder Wasserknappheit) zeigen, wie elementar die fundierte Auseinandersetzung mit derartigen Ereignissen für die Sicherheit von Menschen ist. Dabei sind regionale Besonderheiten ebenso zu berücksichtigen wie globale Entwicklungen. Die COVID-19-Pandemie und die Auswirkungen des Ukraine-Krieges haben Tirol, Österreich, Europa und die ganz Welt vor enorme Herausforderungen gestellt und natürlich fließen alle daraus belegten wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in unseren Universitätskurs ein.

 

Ein Zentrum für Lernen und Lernstörungen gibt es seit 2010 in Hall in Tirol und jetzt auch am Campus Lienz.

 

Was können Sie uns zum Zentrum für Lernen und Lernstörungen am Campus Lienz berichten?

Das Zentrum für Lernen und Lernstörungen ist eine Einrichtung des Instituts für Psychologie der UMIT TIROL und als solche ein einzigartiges Kompetenzzentrum in Bezug auf Lernstörungen und schulbezogene Problematiken. Lernstörungen sind sehr häufig und betreffen ca. 5 bis 8 Prozent der Grundschulpopulation. Das heißt, pro Schulklasse haben ein bis zwei Kinder eine Lernstörung. Jeder 10. Jugendliche ist in Österreich gefährdet, mangels nicht erreichter Fertigkeiten in Mathematik und Lesen, am sozialen und beruflichen Leben nicht uneingeschränkt teilhaben zu können. Da Kinder mit Lernstörungen über eine normale bis überdurchschnittliche Intelligenz verfügen, können sie die ersten Schwierigkeiten beim Lesen/Schreiben und Rechnen meist eine gewisse Zeit gut kompensieren. Dies führt aber auf der anderen Seite dazu, dass die Schwächen erst spät erkannt werden und somit bereits eine deutliche Differenz zum Schulstoff entstanden ist bzw. zusätzlich auch eine Lücke zu ihren Klassenkollegen aufgerissen wurde. Bei sehr schwer betroffenen Kindern brechen die Kompensationen oft innerhalb kürzester Zeit zusammen, wodurch das Grundproblem immer sichtbarer wird. Eine Kompensation wird außerdem deutlich erschwert, wenn Lernstörungen verbunden mit anderen Auffälligkeiten auftreten. Entweder sind Lesen/Rechtschreiben und Rechnen gleichzeitig betroffen oder es ist eine Teilleistungsstörung in Kombination mit einem Aufmerksamkeitsdefizit oder anderen psychiatrischen Auffälligkeiten (wie z.B. Angststörungen oder Störungen des Sozialverhaltens) erkennbar. Die am Zentrum angebotenen Behandlungsmaßnahmen sind ausschließlich kognitiv-psychologischer Natur. Das heißt, im Rahmen der Förderung sollen die Kinder jene Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für die Schriftsprache und das Rechnen relevant sind, erlernen und optimieren. Im Gegensatz zur Nachhilfe setzt unser Konzept an der Basis der Probleme und nicht am aktuellen
Schulstoff an. Da die meisten schulischen Fertigkeiten einen hierarchischen Aufbau zeigen, soll durch diese Vorgangsweise auch die Nachhaltigkeit gesichert werden. Zusätzlich entwickeln Kinder mit Lernstörungen häufig sekundäre Probleme (z.B. Prüfungsangst, Schulunlust und Verweigerung). Durch den Aufbau der Fertigkeiten von der Basis an erleben die Kinder/Jugendlichen einen Lernerfolg, was wiederum positiv zur Hemmung der sekundären Problematik beiträgt. Die von uns angebotenen Behandlungsmethoden orientieren sich am aktuellen Wissensstand der Forschung. Der Start hier in Lienz erfolgte mit fünf Therapieplätzen. Aktuell werden 18 Kinder/Jugendliche von zwei ausgebildeten Therapeutinnen gefördert, wobei ein weiterer Ausbau der Kapazitäten geplant ist. Dabei ist es ideal, dass die in Hall in Tirol seit 2010 bereits erprobten Abläufe und auch das gesammelte Wissen einfließen können.

Im Frühjahr 2023 soll am Campus Lienz auch eine Ausbildung für akademische Legasthenie-TherapeutInnen bzw. eine Ausbildung für akademische TherapeutInnen für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten starten?

Vor dem Hintergrund des großen Leidensdrucks der Betroffenen ist die Nachfrage nach professioneller Hilfe stark gestiegen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Kinder mit Legasthenie am meisten von einer spezifischen Therapie profitieren, die auf ihre individuellen Bedürfnisse, Stärken und Schwächen zugeschnitten ist. Das bedeutet, dass der Therapeut vor dem Beginn der Therapie das individuelle Leistungs- und Persönlichkeitsprofil des betreffenden Kindes kennen muss, damit die Therapie tatsächlich an den Kernproblemen ansetzen kann. Auch für die quantitative und qualitative Erfassung der Lernfortschritte sind diagnostische Kompetenzen erforderlich. Unsere Legasthenie-Ausbildung fokussiert auf der kombinierten Vermittlung von diagnostischen und therapeutischen Kompetenzen, um eine größtmögliche Effektivität und Nachhaltigkeit der Interventionseffekte gewährleisten zu können. Der Kursstart soll am 21. April 2023 erfolgen.

Danke für das Gespräch!

 

Text: J. Hilgartner, Fotos: © Land Tirol/florianlechner, Osttirol Journal, dobeStock/vejaa

23. März 2023 um