Tristach: Die Lust, einfach Holz zu biegen

Nahezu jeder hat eine Leidenschaft, ein Hobby. Manche mögen Autos oder Bücher, andere interessieren sich für Sport oder fürs Kochen. Steffen Ortner fasziniert das Biegen von Holz.

Der Gedanke, Holz zu formen, kam dem gelernten Tischler während seiner Lehrzeit im Jahre 1987. Sein Ausbildungsbetrieb war damals mit der Restaurierung von Kirchen beschäftigt und handwerkliches Geschick besonders gefordert. Steffen Ortner erinnert sich: „Die Tischlerlehre vor gut 30 Jahren sah ganz anders aus als heute. Damals haben wir noch sehr vieles von Hand gemacht und konnten so auch ein intensives Grundverständnis für den Werkstoff Holz und dessen Verarbeitungsmöglichkeiten gewinnen.“ Im Zuge der Renovierungsarbeiten stieß der Tristacher damals auf alte Wagenräder, die sich in z.T. sehr schlechtem Zustand befanden. Diese Räder aus Holz faszinierten ihn. „Ich begann mich dafür zu interessieren, wie man Holz so bearbeiten kann, dass es die Form eines Rades annimmt und rollt.“ Diese und andere Fragen ließen ihn nicht mehr los, sodass er beschloss, der Sache selbst auf den Grund zu gehen. Ohne Handbuch oder eine andere Anleitung suchte sich der angehende Tischler ein Stück Holz und begann es um die Fußbeine des alten Sofas, das in seiner Wohnstube stand, zu biegen.

Aus seiner Lehrzeit heraus war ihm bekannt, dass sich feuchtes Holz unter Hitzeeinwirkung verformen lässt. Bei seinen ersten Versuchen griff er auf einen Campingkocher zurück – und scheiterte nicht nur einmal. Er lernte, dass sich jede Holzart anders verhält und dass man die zum Biegen benötigte Hitze entsprechend reduzieren muss, damit man unschöne Brandstellen von vornherein vermeiden kann. Ortner erkannte auch, dass frisches Holz aus dem Wald weicher ist und nach dem Bearbeiten durch Wärmeeinfluss eine Steifigkeit wie gehärtetes Aluminium annimmt. Ein wichtiger Schritt zum Verfeinern der Technik war damit getan. Weitere Erkenntnisse, ausschliesslich auf Basis von „learning by doing“ gewonnen, folgten. Irgendwann packte den Osttiroler die Idee, ein Fahrrad inklusive der Räder komplett aus Holz zu bauen. Etliche Prototypen waren nötig, um die ideale Holzart zu finden. Mit dem Ergebnis der intensiven Tüftelei – einem voll funktionsfähigen Rad – nahm der Tristacher am Debantaler Sprint teil. „Wohl war mir nicht dabei. Schließlich war ich mir nicht sicher, ob die Laufräder aus Holz der Belastung standhalten würden“, sagt er heute im Rückblick dazu. Es ging alles gut. Der Sprint führte allerdings zu dem Entschluss, doch einige Komponenten von konventionellen Rädern zu verwenden. Außerdem wurde die Erhitzungsmethode auf eine selbstentwickelte Dampftechnik umgestellt. Das Biegeverfahren beschleunigte und vereinfachte sich damit.

Der Zufall lieferte eine weitere Erfahrung: Bei einem Prototyp schlich sich beim Setzen der Bohrlöcher für die Komponenten aus Metall ein Fehler ein. Plötzlich passte nichts mehr zusammen – und das Werkstück flog in einer ersten wütenden Reaktion aus dem Fenster. Obwohl sich fast alles verbog, bewies das Holz dabei eine enorme Robustheit und Steifigkeit – ein echter Crashtest Marke Eigenbau. Das Dampfverfahren eröffnete dem findigen Tüftler nicht zuletzt auch die Option einer unterschiedlichen Farbgebung. Mittels Dampf können verschiedenste Farbstoffe direkt ins Holz eingebracht werden. So biegt der geschickte Tischler heute neben Holzrahmen für Fahrräder auch Ringe oder Lampenständer, die sich je nach Wunsch einfärben lassen. In seiner kleinen Kellerwerkstatt in Tristach entstehen immer wieder kreative Werke, die er auf Anfrage individuell herstellt. Die Lust am Biegen von Holz ist Steffen Ortner, wie er abschließend betont, noch lange nicht vergangen. „Ich sehe dies nur als eine Tür, die sich hin zu vielen weiteren Möglichkeiten öffnet.“

Text: Jan Schäfer, Foto: Martin Lugger

01. August 2016 um