Traditionell, urtümlich, außergewöhnlich – die Wurzelkapelle Wahlen aus Toblach

Die Bewohner der Toblacher Fraktion Wahlen im Hochpustertal spielen ihre Musik auf Wurzeln – und sind deswegen als Formation bei Umzügen äußerst gefragt.

Zirbe, Lärche, Fichte – die Instrumente der Wurzelkapelle Wahlen werden hauptsächlich aus diesen heimischen Holzarten hergestellt. „Langsam gewachsenes Holz von der Schattseite oder aus höheren Lagen eignet sich besonders gut. Die Instrumente werden von einigen Musikanten selbst gebaut und sind teilweise auch alte, wertvolle Erbstücke. Einige sind sogar 100 Jahre alt“, erzählt Hermann Steinmair. Seit dem Jahr 1999 ist er Obmann der Kapelle und fungiert gleichzeitig auch als Kapellmeister. Welches Register aus einer Wurzel entsteht, hängt von der Größe und Art der Wurzel ab. „Wie wir unsere Instrumente genau herstellen, bleibt unter unseren Wurzelbauern aber ein Geheimnis“, betont der Toblacher, der in der Wurzelkapelle Wahlen das Schlagzeug spielt.

Für die Melodie sind die Ziehharmonikas verantwortlich, außerdem gehören zu den Instrumenten der Kapelle auch große und kleine Trommeln sowie Tschinellen (Becken). „Die Hauptinstrumente sind aber die Wurzeln. Diese werden in drei Register eingeteilt: Die Klarinetten spielen die hohen, die so genannten ,Schweggln‘ die mittleren und die Bässe die tiefen Töne“, informiert Steinmair.

 

Die Wurzelkapelle Wahlen am Toblacher See

 

Keinerlei Nachwuchssorgen

Die Wurzelkapelle Wahlen besteht derzeit aus 33 Mitgliedern, davon sind 30 als Musikanten und drei als Marketenderinnen aktiv. „Über den Nachwuchs unseres Klangkörpers brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Uns ist es sehr wichtig, diese alte und einzigartige Tradition auch an die nächste Generation weiterzugeben. Oft fragen auch schon kleinere Kinder nach, wann sie bei uns mitspielen dürfen. Für musikbegeisterte Kinder haben wir deshalb eine eigene Kapelle für 7- bis 14-Jährige ins Leben gerufen – die so genannten Jungschrammler“, erzählt Maria Kristler, Marketenderin und gleichzeitig Schriftführerin der Wurzelkapelle Wahlen. Die Marketenderinnen tragen übrigens eine traditionelle Pustertaler Tracht, und die Musikanten bieten in Pustertaler Bauerntracht, bestehend aus einer Lodenhose, einem „rupfernem Hemat“, einem bestickten Leibl und einem Seidentuch um den Hals, ein farbenprächtiges Bild. Ihr Hut ist mit Hahnenfedern und mit einer Blume geschmückt.

1750 als mögliches Gründungsjahr

Ab wann eine erste Wurzelkapelle in Wahlen Bestand hatte, lässt sich heute nicht mehr genau eruieren. Als Gründungsjahr wird das Jahr 1750 angenommen. „Alten Überlieferungen zufolge haben Bergknappen in unserem Gemeindegebiet schon vor 800 Jahren auf Wurzeln Musik gemacht“, weiß der Obmann zu berichten. „Protokolle oder Urkunden zur Gründung liegen uns jedoch nicht vor. Wir können uns hier nur auf zwei Briefe von Andrä Kühbacher aus den Jahren 1932 und 1947 berufen“, ergänzt Maria Kristler. Aufschreibungen seiner Vorfahren aus dem Jahr 1750 hat Kühbacher folgenden Bericht entnommen: „Um unseren Hoazattag recht schian und nobl zu gestalten, hobn mir auch die alte Knittelmusik ingiloden, und sie hat mit den hölzernen Wispeln ein großes Aufsehen gemocht. Sie homm alle die gleichen lödernen Giwandter unghobt und alle die gleichen Hütlan auf. Alle zwölf Musikanten sein zwei Toge bei uns gibliebn und hobn föst aufgimocht und die Leut unterhalten.“

 

 

1932 wieder ins Leben gerufen

„Knittel ist ein altes Dialektwort für Wurzel. Deswegen wurde die Kapelle in früherer Zeit auch ,Knittelmusik‘ genannt. Aus den Briefen von Andrä Kühbacher geht auch hervor, dass durch die Zuwanderung der Zillertaler Holzschnitzer Alois, Karl und Sepp Egger Anfang des 20. Jahrhunderts
diese fast schon in Vergessenheit geratene Tradition wieder verstärkt gepflegt wurde“, berichtet Hermann Steinmair. Infolge des Ersten Weltkrieges sei die Knittelmusik aber aufgelöst und fast vergessen worden. „1932 – anlässlich der großen Trachtenfeste in Toblach und Meran (zu denen auch Tiroler Trachten zugelassen wurden), ist es dem Stoll Alois und dem derzeit in Deutschland lebenden Fronthaler Alois, beide aus Wahlen bei Toblach, gelungen, diese sehr originelle Musik abermals nach dem alten Muster zusammenzustellen“, heißt es in Andrä Kühbachers Brief aus dem Jahr 1947.

Bei Dreharbeiten zum Kinofilm „Orientexpress“ mit dabei

„Seit 1932 spielt die Wurzelkapelle Wahlen wieder konstant auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg umrahmte unsere Kapelle auch Hochzeiten und Kirchtage musikalisch. Heute bestreiten wir jährlich acht bis zehn Auftritte im In- und Ausland. Anfragen gibt es jedoch wesentlich mehr“, freut sich der Obmann über die große Nachfrage. Anfang der 1950er-Jahre wirkte die Wurzelkapelle Wahlen sogar bei den Dreharbeiten zum Film „Orientexpress“ in Rom mit. Besonders stolz sind die Musikanten auch auf den Sieg beim Musikwettbewerb „Su e zo per i Ponti“ im Jahr 2008 in Venedig.

Eine besondere Beziehung pflegt man zur Kärntner Stadt Villach. Schon mehrere Male sind die Pustertaler dort im Fasching und beim Kirchtag aufgetreten. „Viel Spaß haben unsere Mitglieder, wenn wir bei Umzügen mitmachen. Gerne spielen wir im Anschluss an den offiziellen Teil einige Stücke. Das Wichtigste ist für uns aber die Gemeinschaft und der Zusammenhalt im Dorf Wahlen. Als Highlight des Jahres organisieren wir jedes Jahr am ersten Oktoberwochenende ein Kirchtagsfest, bei dem auch ein Kirchtagsbaum – ähnlich einem Maibaum – aufgestellt wird“, erzählen Maria und Hermann abschließend.

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Brunner Images, Wurzelkapelle Wahlen

14. Oktober 2020 um