Schritte in die Stille: Interview mit Jesuiten-Provinzial Bernhard Bürgler

Im Rahmen der „Tage der Achtsamkeit“ konnten wir den gebürtigen Osttiroler Provinzial Bernhard Bürgler SJ für ein Gespräch zu den Themen Stille und Achtsamkeit gewinnen.

Die österreichische Jesuitenprovinz mit aktuell 68 Mitbrüdern und Standorten in Innsbruck, Wien, Linz und Graz steht seit 2014 unter der Leitung des gebürtigen Lienzers Bernhard Bürgler SJ. Der studierte Theologe und Psychotherapeut gilt als Experte in den Bereichen Spiritualität, Exerzitien und geistliche Begleitung. Im Rahmen der „Tage der Achtsamkeit“ mit österreichischen Jesuiten in Osttirol referierte er im Franziskanerkloster in Lienz. Im Interview erläutert uns der Provinzial seine Übungen zu „Schritten in die Stille“ und erklärt, worin der tiefere Sinn des Begriffes „Achtsamkeit“ liegt.

Herr Provinzial, was verbinden Sie persönlich mit dem Begriff „Stille“?

Bernhard Bürgler SJ: Mit Stille kann man vieles assoziieren: Einsamkeit oder Langeweile, etwas Unangenehmes oder Unheimliches oder etwas, das schwer oder nicht auszuhalten ist, weil doch eigentlich etwas passieren oder jemand etwas sagen müsste. Ich persönlich erachte Stille als etwas Schönes, Wohltuendes und Kostbares. Sie ist der Anfang und das Ende von allem – vom Leben in seiner Gesamtheit. Vor und nach jedem Satz, vor und nach jedem Ton ist es für einen kurzen Moment still. Selbst beim Atmen spielt Stille eine Rolle. Sie ist, wenn man darauf achtet, immer und überall da – wir können sie zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten wahrnehmen.

Kann man Stille in unserer lauten Welt wirklich noch finden?

Lärm, Geräusche, Stimmen – äußere wie innere – hören wir ständig. Der Stille muss man sich zuwenden und sich ihrer bewusst werden. Dies gelingt in der freien Natur, in einem stillen Raum oder beim Atmen. Mein Tipp für alle, die die Stille suchen: Unternehmen Sie z.B. einen Spaziergang und versuchen Sie, den Wind in den Bäumen, die Vogelstimmen und vielleicht auch den von weitem hörbaren Straßenlärm wahrzunehmen. Und dann entscheiden Sie sich bewusst, auf die Stille zu lauschen, die zwischen, unter oder hinter all dem hörbar ist. Oder gehen Sie in eine Kirche, setzen Sie sich hin und machen Sie nichts anderes, als sich auf die Stille dieses sakralen Raumes einzulassen.

Wie kann es gelingen, in dieser Stille zu verweilen?

Achten Sie auf die Stille und richten Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit darauf. Und dann ist da noch Ihr Atem. Haben Sie schon einmal bewusst geatmet, Ihr Aus- und Ihr Einatmen und die Pausen dazwischen wahrgenommen? Versuchen Sie sich auf den Zeitpunkt zu konzentrieren, wenn scheinbar nichts ist, nichts passiert – wenn es ganz still ist. Anfangs mag Ihnen dies vielleicht ungewohnt erscheinen. Probieren Sie es aus! Sie werden erstaunt sein, was geschieht. Vielleicht entdecken Sie das Faszinierende, das Anziehende, das Locken der Stille…

Wenn es äußerlich still ist, wird es oft innerlich laut. Was kann man tun, um dieses „Kopfkino“ loszuwerden?

Diesen Zustand kennen die meisten von uns. Plötzlich kommt einem in den Sinn, dass man etwas vergessen hat. Oder es taucht ein interessanter Gedanke auf oder man denkt an jemanden, mit dem man vor Kurzem einen Konflikt hatte. Die Gedanken gehen hin und her. In einer derartigen Situation gilt es, die Aufmerksamkeit der Stille zuzuwenden. Wenn wir dies bewusst und entschieden tun, kann das, was uns beschäftigt und aufgewühlt hat, wieder in den Hintergrund treten. Alles, was uns durch Kopf, Herz und Bauch geht, lassen wir einfach kommen und gehen, vorüberziehen, ohne uns in diesem Moment weiter damit zu beschäftigen.

Kann dies auf Anhieb gelingen?

Schritte in die Stille haben sicher viel mit Übung zu tun. Wichtig ist es, sich im Trubel des Alltags Unterbrechungen zu schaffen und einen Raum für die Stille zu öffnen. Je öfter man dies tut, je mehr man dies bewusst praktiziert, desto besser gelingt es. Natürlich sind auch längere Zeiten der Stille, also Einkehrtage, Exerzitien etc., diesbezüglich sehr hilfreich.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, die Sie dazu bewogen haben, sich in diese Richtung zu spezialisieren?

Schon seit meiner Kindheit haben die Natur, aber auch das Alleinsein auf mich eine besondere Faszination ausgeübt. Ich bin oft mit dem Moped an die Drau gefahren, bin dort allein gesessen und habe nur das Wasser beobachtet. Zu Beginn meines Theologiestudiums konnte ich dann über die Beschäftigung mit Literatur erfahren, dass Stille sehr viel mit Spiritualität zu tun hat. Ich habe für mich konkrete Wege in die Stille entwickelt und diese später auch in meine Arbeit integriert.

Woher rührt der aktuelle Trend hin zu Meditation, Einkehrtagen und Ähnlichem?

Wir leben heute in einer sehr lauten, hektischen und vor allem auch überfüllten Zeit. Das Leben ist sehr durchgetaktet, Beruf und Familie halten viele auf Trab. Es gibt unglaublich viele Informationen, und wir werden von unglaublich vielen Reizen überflutet. Fernsehen und Internet sind ständig verfügbar, das Handy ist immer greifbar. Immer mehr Menschen merken, dass ihnen dies auf längere Sicht nicht gut tut. Sie suchen bewusst nach Ruhe, nach der Stille – und nach der Einfachheit.

Liegt darin letztendlich auch der tiefere Sinn der „Tage der Achtsamkeit“? Was wollen die Jesuiten den Menschen mit dieser Veranstaltungsreihe vermitteln?

Die christliche Spiritualität und vor allem die Spiritualität der Jesuiten bieten wertvolle Elemente, um im Hamsterrad des Alltags und im Meer der Zerstreuungen das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren. Religion ist eine Unterbrechung des Alltags: im Gebet, im Gottesdienst, in den Festen des Kirchenjahres. Sie lädt ein, innezuhalten und sich zu orientieren. Die jesuitische Tradition kennt den Begriff des „contemplativus in actione“: Mitten in der Tätigkeit kontemplativ zu sein – aktiv und doch gesammelt – geschäftig und doch in sich ruhend und fokussiert. Das ist ein hohes Ziel. Die „Tage der Achtsamkeit“ sind unser Angebot, um den eigenen Wurzeln wieder neu nachzugehen und sich der Frage zu stellen „Woraus und wofür lebe ich – und wie will ich leben?“

Danke für das Gespräch!

 

 

Interview: Raimund Mühlburger, Fotos: Brunner Images

17. Juni 2018 um