Günter Winkler – einer der letzten Möbelflechter Österreichs

Günter Winkler ist in Nikolsdorf aufgewachsen. Schon im Babyalter ist er fast vollständig erblindet. Seit vielen Jahren restauriert er im Aufbauwerk in Innsbruck Rohrgeflechtmöbel.

Sitzmöbel aus der Hofburg, wertvolle Thonet-Stühle oder eine Bank mit einer geflochtenen Lehne aus einem kleinen Schloss in Hötting – wenn Günter Winkler alte Möbel zur Reparatur entgegennimmt, dann sind seine Feinmotorik und sein Fingerspitzengefühl gefragt. „Ich bin mit einer Sehbeeinträchtigung zur Welt gekommen und danach bald vollständig erblindet. Das haben mir meine Eltern erzählt, ich selbst kann mich daran natürlich nicht mehr erinnern”, erzählt der 54-jährige Nikolsdorfer. Von 1971 bis 1980 besuchte er die Blindenschule in Innsbruck und im Anschluss ein Jahr lang einen Polytechnischen Lehrgang in Wien. In der Fachschule des Odilien-Instituts in Graz lernte er später drei Jahre lang das Handwerk des Korb- und Möbelflechtens von der Pike auf kennen. „12 Jahre lang habe ich im Blindenheim St. Raphael in Innsbruck und nach dessen Schließung im Aufbauwerk gearbeitet. Dort restauriere ich auch heute noch Möbel mit geflochtenen Teilen – insbesondere Sessel. Wertvolle Thonet-Stühle halte ich öfters in meinen Händen, aber auch Bänke und Bettumrahmungen mit geflochtenen Teilen finden den Weg zu mir”, sagt er.

 

 

Wichtig sei, dass die Möbel am Rand Löcher haben. „Das beschädigte Geflecht nehme ich heraus und fertige dann aus der 1 bis 3,5 Millimeter starken Bambusrinde ein neues Geflecht an. In der Regel dauert das zwei bis drei Tage”, informiert Günter, der in Nikolsdorf eine Wohnung besitzt und fast jedes freie Wochenende zu Hause in Osttirol verbringt. „Meine Selbstständigkeit und nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, ist mir sehr wichtig. Ich pendle mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen Innsbruck und Nikolsdorf, was für mich überhaupt kein Problem darstellt. Mit Ausnahme des Wäschewaschens und Bügelns bewältige ich auch meinen Haushalt alleine“, schmunzelt der 54-Jährige, der gerne seine sieben Geschwister – unter ihnen Hubert Winkler vom Lacknerhof – besucht.

 

 

Eigentlich sollte Günter Telefonist werden – ein typischer „Blindenberuf”. „Ich wollte aber lieber handwerklich tätig sein. Mit meiner Arbeit als Möbelflechter bin ich sehr glücklich. Ob runde, viereckige oder trapezförmige Formen – jeden Tag ergibt sich für mich eine neue interessante Aufgabe und Perspektive. Die Sitzfläche eines Original Thonet-Stuhls hat z.B. einen Durchmesser von exakt 38,5 Zentimetern und 76 Löcher. Es ist für mich immer ein besonderes Erlebnis, wenn ich einen Thonet-Stuhl zum Reparieren erhalte – das kommt gar nicht so selten vor. Derzeit arbeite ich wieder an so einem edlen Stück.“ Privatpersonen zählen genauso zu den Kunden des Aufbauwerkes wie z.B. Restauratoren, die Möbelstücke mit geflochtenen Teilen zur Reparatur bringen. „Viele wissen gar nicht, dass es in Tirol noch jemanden gibt, der dieses Handwerk beherrscht. Besonders würde mich freuen, wenn ich auch einmal einen Auftrag aus Osttirol erhalten würde. Wer Interesse hat: Bitte den Sessel einfach im Aufbauwerk in Nikolsdorf abgeben, er wird dann zu mir nach Innsbruck geliefert“, so der Handwerker.

 

Günter Winkler kann sich auf seine feinfühligen Finger verlassen. Das Geflecht für die Sitzfläche ist bald fertig – und es ist wieder perfekt gelungen.

 

Die technischen Errungenschaften der heutigen Zeit erleichtern Günters Leben sehr. Sein iPhone leistet ihm gute Dienste, und seit kurzem ist er auch auf facebook. Besonders freut sich der Nikolsdorfer über sein neuestes Kommunikationsmittel – eine an seiner Brille befestigte Kamera mit Vorlesesystem. „Die dazugehörige Software befindet sich in einem kleinen Kästchen, das an meinem Gürtel fixiert ist. Ich blicke einfach mit der Kamera auf die Zeitung, das Buch, mein Handy oder den Laptop, und der Text wird mir vorgelesen. Das System erkennt z.B. auch den Text am Bildschirm eines Bankomaten. Das macht vieles für mich leichter. Früher musste ich nachfragen, wenn ich z.B. meinen Kontostand wissen wollte.“ Natürlich sei Blindheit, so der Osttiroler abschließend, ein hartes Schicksal. „Aber man kann sich daran gewöhnen – und eigentlich führe ich ein ganz normales Leben!“

 

 

 

Günter Winkler freut sich über jeden Stuhl und jedes Möbelstück, das er zum Restaurieren erhält. Kontakt: Tel.-Nr. 0664/1959999, E-Mail: g.winkler64@icloud.com oder über facebook

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Expa Pictures/Groder

09. März 2019 um