Wissenschaftler Dr. Michael Staudinger: „Das dürfte erst der Anfang sein!“

Der langjährige Direktor der ZAMG spricht damit das an, was zuletzt die Berichterstattung in vielen Ländern dieser Welt geprägt hat: die Häufung von extremen Wetterereignissen, mit z.T. massiven Auswirkungen auf die betroffenen Regionen und Menschen.

Dem gebürtigen Tiroler, der an der Universität Innsbruck Meteorologie studiert hat und den sein beruflicher Werdegang zuletzt nach Wien führte, geht es nicht um medienwirksame Angstmache, sondern um eine seriöse Aufklärung über die Ursachen sowie Folgen der Erderwärmung – und um eine sinnvolle und möglichst rechtzeitige Information der Bevölkerung. Wir haben den Wissenschaftler, der vor Kurzem gemeinsam mit Dr. Andreas Schaffhauser (prov. Direktor der ZAMG) und Bundesminister Dr. Heinz Faßmann ein neues Warn-Tool vorgestellt hat, zum Interview gebeten.

 

Foto: © Umweltbundesamt/B. Gröger

 

Herr Dr. Staudinger, Wetterereignisse von erschreckendem Ausmaß haben zuletzt viel Leid und Zerstörung über unzählige Menschen gebracht. Was erleben wir da gerade? Ist das der von der Wissenschaft schon seit langem vorhergesagte Klimawandel?
Bei den extremen Temperaturen, Niederschlägen und Wetterkapriolen in Kanada, den USA, in China und Teilen Europas,  um nur einige Beispiele zu nennen, handelt es sich um Extremwetter-Ereignisse. Ein kausaler Zusammenhang ist bei manchen Einzelkatastrophen schwer unmittelbar nachzuweisen, aber die außergewöhnliche Häufung lässt als Indikator kaum Zweifel daran, dass es sich um erste Anzeichen einer tiefgreifenden Klimaveränderung handelt.

Nun hat sich, wie ein Blick zurück zeigt, das Klima im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder gewandelt, man denke z.B. nur an die „Kleine Eiszeit” (15. bis Mitte 19. Jh). Was ist heute anders?
Es ist richtig, dass es Klimaveränderungen immer wieder gegeben hat. Von vielen wissen wir wenig über die genauen Auswirkungen und einige, wie die angesprochene „Kleine Eiszeit“, die regional und zeitlich unterschiedlich stark ausgeprägt war und nur im Kernzeitraum vom Ende des 16. Jahrhunderts bis ins letzte Drittel des 17. Jahrhunderts global eine kühlere Phase bewirkte, waren lange Zeit nur Fußnoten der Geschichtsschreibung. Der Unterschied von diesen und vielen anderen Klimavariationen zur Gegenwart ist die Geschwindigkeit, mit der der Wandel heute voranschreitet. Kurz auf den Punkt gebracht, heißt das: So schnell, wie es jetzt geht, ging es noch nie!

Was bewirkt die Erderwärmung, von der die Wissenschaft schon seit langem warnt?
Dass die aktuell so rasch zunehmende globale Erderwärmung hauptsächlich vom Menschen verursacht wird, ist keine neue Erkenntnis. Schon in den späten 1980er-Jahren machten erste Warnungen von Wissenschaftlern Schlagzeilen. Die ungebremste Verbrennung fossiler Brennstoffe hat insbesondere in den vergangenen 20 bis 30 Jahren die Konzentration von Treibhausgasen in unserer Atmosphäre deutlich erhöht und diese sprichwörtlich „aufgeheizt“. Auf der Erde wirkt sich dies in Form eines kontinuierlichen Anstieges der Temperaturen im Mittelwert aus. Damit in Verbindung stehen das Abschmelzen der Pole und Gletscher, lange Dürreperioden und Waldbrände, um nur einige Beispiele zu nennen. Das wesentliche Mehr an Energie in der Atmosphäre lässt diese dynamischer und aggressiver werden. Je mehr Energie vorhanden ist, desto intensiver fallen Starkniederschläge, Hagel, etc. aus. Hinzu kommt, dass sich die wettersteuernden Luftströme, Jetstreams genannt, verändern. Diese werden größtenteils durch die Temperaturunterschiede zwischen dem Äquator und den Polen angetrieben. Nachdem sich aber die Polregionen rascher erwärmen als die Bereiche in Äquatornähe, wird der so genannte Westwinddrift schwächer. Die Folge ist, dass sich Wetterlagen grundsätzlich länger halten und Phänomene, wie zuletzt die Hitzekuppel über Kanada, möglich werden.

Sind Hitzekuppeln überall auf der Welt realistisch? Könnten diese in Zukunft auch Österreich betreffen?
Das Phänomen, dass sich „blockierende“ Wetterlagen in dieser Intensität über bestimmten Regionen halten, ist kein neues und grundsätzlich überall möglich. Bislang waren derart ausgeprägte „Hitzekuppeln“ wie jene über Kanada aber eher selten. Was jetzt anders ist, ist die zu erwartende zunehmende Häufung und längere Andauer. Unabhängig davon hat sich die Anzahl an Hitzetagen in Österreich schon in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr als verdoppelt – und sie dürfte weiter rasant ansteigen, mit deutlichen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Gesundheit vieler Menschen.

Was ist mit Tornados?
Der letzte, verheerende Tornado in Österreich ist für das Jahr 1916 in Wiener Neustadt belegt. Es wäre unseriös, zu behaupten, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren auch hier bei uns mit Tornados rechnen müssen. Im Zuge der fortschreitenden Klimaveränderung steigt aber die Wahrscheinlichkeit dafür an.

Im Film „The day after tomorrow“ von Roland Emmerich wird in Hollywood-Manier, aber anschaulich vor  Augen geführt, was passiert, wenn bestimmte Faktoren im weltweiten Klimageschehen kippen. Wie weit sind wir heute noch von möglichen Kipppunkten entfernt?
Es wurde schon häufig darüber diskutiert, ob prinzipiell ein galoppierender Treibhauseffekt in Gang gesetzt werden kann, der nicht mehr aufzuhalten ist. Möglich ist dies, ja – und es gibt bereits einige Kipppunkte, denen wir uns kritisch nähern.

Im Pariser Klimaabkommen hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen. Ist dieses Ziel überhaupt noch zu erreichen?
Das Problem, das ich hier sehe, ist, dass im Zusammenhang mit Klima-Zielen im Allgemeinen immer von Zeiträumen bis 2030 und 2050 die Rede ist und nur selten gesagt wird, was im Heute, was jetzt zu tun ist. D.h. wir alle, ob nun Politiker oder weite Teile der Bevölkerung, „schwindeln“ uns darüber hinweg. Das Erreichen des 1,5 Grad-Zieles wäre zwar immens wichtig, wird aber von Jahr zu Jahr unrealistischer.

Lassen sich Länder bzw. Regionen dieser Erde benennen, die vom Klimawandel besonders stark betroffen sein werden?
Wenn wir beispielsweise an Inselstaaten im Pazifik denken, so werden diese, ähnlich wie viele andere Küstenregionen weltweit, die Folgen des Klimawandels mehr als deutlich zu spüren bekommen – und ich rede hier nicht nur von stärkeren und häufigeren Sturmszenarien. Eine große Herausforderung wird der steigende Meeresspiegel sein. Weltweit ist dieser im 20. Jahrhundert um 15 Zentimeter gestiegen, also etwa 1,5 Millimeter pro Jahr. Inzwischen jedoch steigt der Pegel mehr als doppelt so schnell – und die Geschwindigkeit nimmt zu. Selbst wenn die Treibhausemissionen stark reduziert würden und die globale Erwärmung auf unter zwei Grad beschränkt werden könnte, würde der Meeresspiegel bis 2100 um bis zu 60 Zentimeter ansteigen. Wenn die Treibhausgas-Emissionen weiter zunehmen, ist mit mehr als einem Meter zu rechnen. Manche Experten sprechen sogar von bis zu zwei Metern. Das bedeutet „Land unter“ für viele Inseln. Starkniederschläge wie in den letzten Wochen werden in Europa deutlich häufiger werden. Trockenheit rund ums Mittelmeer ist ein weiteres Problem, flächendeckende Waldbrände haben bereits jetzt verheerende Auswirkungen.

 

 

Worauf sollten sich alpine Regionen wie z.B. Tirol vorbereiten?
Auch hier ist das zutreffende Schlagwort wieder „die Häufigkeit“. Schneereiche Winter wie jenen 2020/2021 in Osttirol hat es auch in früheren Zeiten schon gegeben, nun dürften diese in den Hochlagen zunehmend öfters auftreten. Ähnliches gilt für einzelne Starkregen-Ereignisse, die Hochwasser, Muren, Hangrutschungen und Ähnliches auslösen. Umso wichtiger wird es sein, die Maßnahmen des Hochwasserschutzes und der Wildbach- und Lawinenverbauungen laufend zu evaluieren und entsprechend zu forcieren. Man sollte aber damit rechnen, dass die Verbauungen aufwändiger werden und auch Lawinen-, bzw. Murenstriche betreffen, die man heute vielleicht noch gar nicht im Blickwinkel hat. Ein weiteres relevantes Thema ist, gerade für eine Tourismusregion wie den Bezirk Lienz, die Sicherheit von Höhenwegen. Mit dem „Aufweichen“ des Permafrostes in Höhen ab 2.400 Metern erhöht sich die Gefahr von Steinschlag und/oder Felsstürzen. Das andere Extrem sind längere Trockenperioden in der warmen Jahreszeit. Besonders in den Sommermonaten, wenn die Feuchtigkeit nicht mehr ausreicht, kann das für die Landwirtschaft zu einem Riesenproblem werden.

Wie wichtig wird es in Zukunft sein, die Menschen vor Extremereignissen rechtzeitig zu warnen? Was hat es diesbezüglich mit dem neuen „Warn-Tool“ auf sich, das am 23. Juli vorgestellt wurde?
Eine zielgerichtete und vor allem zeitgerechte Warnung wird in Zukunft von enormer Bedeutung sein. Positiv ist, dass sich die Genauigkeit von Wettervorhersagen in den vergangenen Jahren stetig verbessert hat. Eine Fünf-Tage-Prognose ist heute so präzise wie 1980 der Wetterbericht für den nächsten Tag. Inzwischen ist eine Vorhersage für bis zu zehn Tage möglich. Damit können sich Behörden beispielsweise besser auf Extremwetter vorbereiten. Das angesprochene, von Meteorologen der ZAMG entwickelte „Warn-Tool“ geht aber noch einen Schritt weiter: Es stellt die zu erwartenden Folgen und möglichen Gefahren von Wetterereignissen in den Mittelpunkt. Dabei geht es nicht mehr nur alleine um nackte Zahlen, etwa zu Niederschlagsmengen, Windgeschwindigkeiten oder Höchsttemperaturen, sondern um so genannte „auswirkungsorientierte Wetterwarnungen“. Eine Niederschlagsmenge von 200 Millimetern in 24 Stunden ist für die meisten BürgerInnen vermutlich eine abstrakte Größe. Für die Sicherheit des Einzelnen in gefährdeten Gebieten ist es aber essentiell, zu wissen, muss ich deswegen aus dem Haus und wie viel Zeit habe ich noch.

Welche Rolle spielt bei der Ausarbeitung von Wettermodellen die länderübergreifende Kooperation?
Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit Kollegen in Nachbarländern ist extrem wichtig. Lassen Sie mich dies am Beispiel Italien erklären: Ohne deren Daten wäre eine exakte Prognose für den Bezirk Lienz nicht möglich. Nicht unerwähnt möchte ich diesbezüglich die Plattform www.meteoalarm.eu lassen. Diesem Netzwerk der europäischen Wetterdienste gehören aktuell 37 Partnerländer an, die Koordinierung und Verwaltung erfolgt über die ZAMG in Österreich und den KNMI in den Niederlanden.

 

 

Gibt es, angesichts der wenig erfreulichen Prognosen für die Zukunft, auch positive Aspekte und die Hoffnung, dass nachfolgende Generationen nicht die Fehler unserer Zeit büßen müssen?
Ja, die gibt es! Denken wir nur an den Bewusstseinswandel bei der Jugend, an technische Innovationen in Hinsicht auf E-Fahrzeuge, Geothermie, CO2-Reduktionsmaßnahmen oder Fassaden aus Photovoltaikpaneelen, an denen weltweit getüftelt wird. Nicht zu vergessen ist der Trend hin zur Kreislaufwirtschaft, zu Carsharing oder zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, um nur drei weitere von vielen Beispielen aufzuzählen. Wenn wir all diese Möglichkeiten nützen und wenn es gelingt, den Bewusstseinswandel in der Bevölkerung voranzutreiben, könnten wir vielleicht, um es salopp auszudrücken, „die Kurve gerade noch kratzen“.

 

Interview: Elisabeth Hilgartner, Fotos: AdobeStock

02. August 2021 um