Osttirol/Belluno/Südtirol: Auf den Spuren der ersten „Urtiroler“

Der Erforschung der ersten Begehung des Hochgebirges zwischen dem heutigen Osttirol und dem Alto Bellunese widmet sich ein Dolomiti Live-Forschungsprojekt.

Lange bevor die Menschen in den Südalpen sesshaft wurden, waren die Berge und Täler der Region das Reich steinzeitlicher Jäger und Sammler. Diese ersten „Urtiroler“ durchstreiften das Gebiet nach dem Abschmelzen der großen Gletscherschilde am Ende der letzten Eiszeit (von etwa 10.000 bis ca. 5.500 vor Christus). Über ihr Leben ist nur wenig bekannt, Artefakte aus dieser Epoche der Menschheitsgeschichte sind spärlich gesät. Das über Interreg Italien-Österreich Dolomiti Live geförderte Forschungsprojekt „ITAT 4145: Die ersten prähistorischen Bewohner Osttirols, der ladinischen Täler und des ladinischen Teils der Belluneser Dolomiten“ geht den Lebensumständen eben dieser ersten BewohnerInnen der Region und der Art und Weise, wie die alpinen Hochflächen von den steinzeitlichen Menschen genutzt wurden, nach.

Auf Basis der Zusammenarbeit der Gemeinden Obertilliach und San Vito di Cadore (Belluno/Italien) sowie des Istituts Ladin Micurà de Rü (Südtirol/Italien) stellt es zudem das erste grenzüberschreitende, steinzeitliche Forschungsprojekt dieser Art in den Südalpen dar. Auch die Gemeinden Untertilliach, Kartitsch und Sillian sind in das Projekt miteinbezogen.

 

Ausgrabungen durch Archäologen am Passo di Giau erbrachten erste interessante Ergebnisse.

 

Ausgrabungen am Passo di Giau aus dem Mesolithikum

Die Gemeinde Obertilliach widmet sich im Rahmen ihres Projektteiles den Spuren am Karnischen Kamm. „Vielen ist nicht bewusst, dass schon lange vor der Besiedelung unserer Region Jäger und Sammler am Karnischen Kamm durch die Berge gezogen sind. Bei einem Treffen mit unseren Dolomiti Live-Nachbarn aus dem Alto Bellunese und dem Südtiroler Pustertal am Passo di Giau konnten wir interessante Einblicke in Ausgrabungen eines Unterstandes von Jägern aus dem Mesolithikum gewinnen. Aus dieser Begehung hat sich die Partnerschaft für unser grenzüberschreitendes Projekt formiert“, berichtet der Obertilliacher Bürgermeister Matthias Scherer.

Im kollektiven Gedächtnis ist der Karnische Kamm vor allem wegen seiner Rolle als Teil der umkämpften Frontlinie zwischen Österreich-Ungarn und Italien während des Ersten Weltkrieges verankert. Das Gebiet hat aber eine viel weiter zurückliegende, weniger dramatische Geschichte. „Funde, wie ein nahe der Sillianer Hütte entdeckter Abschlag aus Quarz sowie zwei steinzeitliche Jägerlager auf der Alpe Nemes, deuten auf eine Nutzung bis weit zurück in die menschliche Urgeschichte hin“, so Caroline Posch vom Archäölogischen Forschungsinstitut Innsbruck (AFIN), das den Auftrag für die Projektumsetzung erhalten hat. Die archäologischen Arbeiten vor Ort und die Suche nach weiteren prähistorischen Lagerplätzen sowie Spuren am Karnischen Kamm sind im Sommer 2021 angelaufen.

 

Mitwirkende am Projekt „ITAT 4145: Die ersten prähistorischen Bewohner Osttirols, der ladinischen Täler und des ladinischen Teils der Belluneser Dolomiten“ (Laufzeit: 1.1.2021 bis 15.10.2022) bei einer Begehung am Karnischen Kamm

 

Auf prähistorischen Spuren

Um die Ergebnisse des Projektes der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, planen das Istitut Ladin Micurà de Rü und die Gemeinden Obertilliach sowie San Vito di Cadore eine Reihe von Veranstaltungen und öffentlich nutzbaren Angeboten, inklusive interaktiver digitaler Fundstellenkarte (Web-GIS), reich bebilderter, mehrsprachiger Broschüre, Ausstellung und Dokumentarfilm. Anhand dieser Aktionen sollen die wichtigsten Orte der prähistorischen Besiedlung der Region vermittelt und erklärt werden. Sowohl die lokale Bevölkerung als auch Gäste können sich mit diesem Wissen auf die Spuren der ersten BewohnerInnen der Region begeben und sie „erwandern“.

Einbindung von Osttiroler Schulen

Auch junge Menschen möchte man dazu anregen, sich für die Geschichte und die ersten menschlichen Spuren in ihrer Heimat zu interessieren. „ArchäologInnen werden in den Schulen von Sillian, Kartitsch, Unter- und Obertilliach museumspädagogische Einheiten und Infotage durchführen. Wir möchten der Jugend zeigen, dass Geschichte auch Spaß machen kann. Durch Funde in unseren Gemeinden können wir das Thema besonders spannend vermitteln“, ist der Obertilliacher Bürgermeister überzeugt. Wie Matthias Scherer zeigt sich auch der Sillianer Bürgermeister Hermann Mitteregger begeistert: „Wichtig ist, dass unserer Bevölkerung auch die ältere Geschichte unseres Berggebietes in Form eines gemeinsamen Projektes mit unseren Nachbarregionen nähergebracht wird. Ich freue mich, dass auch unsere Kinder und Jugendlichen in den Schulen die Gelegenheit bekommen, sich, etwa im Rahmen von Wandertagen, mit den ersten menschlichen Spuren am Karnischen Kamm konkret zu beschäftigen!“

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Philipp Forstner, RMO

30. Juli 2021 um