Aguntum: Römerzeit-Experten trafen sich zum wissenschaftlichen Austausch

Das 4. Aguntum-Workshop beleuchtete die sogenannte „Reichskrise“ des 3. Jahrhunderts nach Christus. Renommierte internationale Historiker und Archäologen nahmen teil.

Bereits zum vierten Mal war dieser Tage Aguntum Zentrum des Wissenstransfers internationaler Römerzeit-Experten. Die von Martin Auer, Institut für Archäologien der Universität Innsbruck, und Christoph Hinker, Österr. Archäologisches Institut, organisierte und moderierte wissenschaftliche Tagung „Römische Siedlungen und die „Reichskrise” im 3. Jahrhundert nach Chr. ging der Frage nach, inwieweit bisherige Annahmen über Ursachen und Ausmaß etwa des Bevölkerungsrückganges in Städten, die zum Erliegen gekommene Bautätigkeit und des verminderten Geldumlaufes in dieser späten Phase der Kaiserzeit tatsächlich zutreffen.

 

Die Tagungsteilnehmer bei der Besichtigung des Museums Aguntum Stadt, geführt von Dr. Martin Auer, Universität Innsbruck (Bildmitte)

 

Dabei stand nicht nur die römische Provinz Noricum, der Aguntum angehörte, im Fokus der aus Österreich, Italien, Deutschland, Schweiz, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Spanien und den USA angereisten Spezialisten und Wissenschaftler, zumal die Forschung in der Vergangenheit oft von einer Phase eines allgemeinen Niederganges im gesamten römischen Reich im Zeitraum 235 bis 285 n.Chr. ausging. Vielmehr wurde auch der aktuelle Forschungsstand zu den römischen Siedlungen am Rhein vom Niederrhein bis zum Bodensee, im Donauraum, in Dalmatien, Spanien, Athen und Kleinasien vorgetragen und diskutiert.

Mit Karl Strobel, Ordinarius für Alte Geschichte und Altertumskunde an der Universität Klagenfurt, wurde einer der profundesten Kenner und Kritiker des Ansatzes einer reichsumfassenden Krise als Auftakt-Vortragender des Workshops gewonnen. Trotz zweifellos gegebener, oft regional begrenzter Krisen habe sich, so Strobel, das Gesamtsystem im 3. Jahrhundert als durchaus stabil erwiesen. Außerdem habe es im römischen Reich auch prosperierende Räume gegeben, was etwa für Nordafrika belegt sei. Es greife oft auch zu kurz, Ereignisse aufgrund von Münzhortfunden zu datieren, da etwa erwiesen sei, dass Münzgeld in einigen Regionen eingezogen und dann in anderen wieder in Umlauf gebracht worden sei.

 

Dr. Martin Auer erklärt das einzigartige Rundmacellum – den „Feinkostladen” von Aguntum.

 

Schwer zu fassen sind die im 3. Jahrhundert vielerorts zu beobachtenden Zerstörungen bzw. Aufgabe von Siedlungen oder Siedlungsteilen, wobei die Referenten übereinstimmend zum Schluss kamen, dass etwa Brandereignisse nicht vorschnell auf Kriege bzw. Einfälle etwa germanischer Stämme zurückgeführt werden können. Unruhige Zeiten waren es aber allemal, was sich aus Siedlungsverlagerungen und einer starken Militärpräsenz in den von Überfällen bedrohen Regionen schließen lässt. Dies war laut Simone Benguerel vom Amt für Archäologie in Thurgau etwa in Tasgetium/Eschenz am Ausfluss des Bodensees in den Rhein der Fall. Wie sich das Schicksal der fernab ihrer Heimat zu Tode gekommenen römischen Legionäre zwischen Britannien und Pannonien anhand von Grabinschriften nachzeichnen lässt, erläuterte Paola Puppo aus Genua.

Alice Willmitzer und Ralf Grüßinger vom Archäologiepark Xanten berichteten, dass es für die lange postulierte Zerstörung der dortigen bedeutenden Römerstadt Colonia Ulpia Traiana durch die Franken keine sicheren Belege gibt; vieles spreche für eine schrittweise planmäßige Aufgabe der Zivilsiedlung. Julia Kopf, die Brigantium-Bregenz in ihrer Diplomarbeit untersucht hat, konnte dort ebenfalls keine Nachweise einer gewaltsamen Zerstörung finden, wohl aber in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts datierbare Siedlungsverlagerungen und Hinweise auf eine Verarmung der Bevölkerung.

Die norditalienischen Wissenschaftler Luca Ariola, Andrea Breda und Fabio Saggioro haben sich mit den Gegebenheiten der Stadt Brescia, ihres Umlandes und der Küstenlandschaft des nahen Gardasees beschäftigt und mussten feststellen, dass es selbst in diesem vergleichsweise kleinen Gebiet im gleichen Zeitraum zu völlig unterschiedlichen Entwicklungen kam. Für Salzburg/Iuvavum und das Umland konstatierten Raimund Kastler, Felix Lang und Ursula Schachinger anhand der numismatischen Evidenz einen völligen Einbruch des Geldumlaufs ab ca. 230 n.Chr., wobei weder eine großflächige Siedlungsunterbrechung noch ein markanter Einbruch der Bevölkerungszahl feststellbar waren. Möglicherweise führten hier doch kriegerische Ereignisse zu einem vorübergehenden Abweichen von der Geld- zur Naturalwirtschaft bzw. zum Tauschhandel.

Ivan Matijevic und Ana Torlak von der Universität Split referierten über das römische Salona, Hauptstadt der Provinz Dalmatien mit bis zu 60.000 Einwohnern. Hier kann im 3. Jahrhundert anhand von Grabinschriften eine Verstärkung der Truppenpräsenz festgestellt werden. Es herrschten stabile Verhältnisse; die rege Bautätigkeit weist sogar auf einen anhaltenden Wohlstand hin, der sich ab der Regentschaft von Kaiser Diocletian durch die Errichtung des Kaiserpalastes und vieler weiterer öffentlicher Bauwerke in eine architektonische und künstlerische Blütezeit steigerte. Der Beiname der Stadt – „Felix“ – unterstreicht die insbesondere von den nördlichen Provinzen des Reichs deutlich abgekoppelte Entwicklung.

Den auch für andere Städte und Siedlungen in Noricum geltenden Befund, wonach im 3. Jahrhundert das Baugeschehen weitgehend zum Erliegen kam, aber trotz nachweisbarer Brände keine völlige Aufgabe der Siedlungen erfolgte, bestätigte Patrick Marko, Universität Graz, für Flavia Solva und die umliegenden Regionen in der Steiermark. Die Verkleinerung oder Aufgabe von Teilen ziviler Siedlungen hat die Wiener Stadtarchäologin Ingrid Mader auch in Vindobona/Wien festgestellt. Für die zum Municipium Claudium Aguntum gehörige Straßenstation Littamum/Innichen konnte Giulia Somma etwa die temporäre Aufgabe der zum dortigen Mansio gehörigen Thermenanlage im 3. Jahrhundert, aber auch eine anderweitige Nachnutzung in der Spätantike nachweisen.

 

Vom 18 Meter hohen Aussichtsturm aus hat man die beste Übersicht über das Grabungsgelände von Aguntum.

 

Michael Tschurtschenthaler, Leiter des Fachbereiches Aguntum an der Universität Innsbruck und langjähriger Grabungsleiter, berichtete über den Wandel, der sich im 3. Jahrhundert in Aguntum vollzog. Nachgewiesen sind jedenfalls ein Brand im Forum in diesem Zeitraum und eine anschließende teilweise Weiternutzung; weniger eindeutige Datierungen gibt es bisher für die Brände der Therme und des Atriumhauses sowie des Macellums. Auch in Aguntum fehlt jeder Hinweis, wonach die vorgefundenen Brandschichten mit kriegerischen Ereignissen in Verbindung zu bringen wären, wie das einige frühere Autoren zu wissen glaubten. Wie auch in anderen Grabungsstätten Noricums ist die Fundlage für das 3. Jahrhundert eher dürftig und daher wenig aussagekräftig. Da es keinen Wiederaufbau, sondern nur notdürftige Reparaturen öffentlicher Gebäude im Stadtzentrum gab, sind wirtschaftliche Probleme der Stadt anzunehmen. Erst im 4. Jahrhundert sind wieder deutliche Verbesserungen der Häuser etwa durch Heizungseinbauten feststellbar; öffentliche Gebäude wurden offenbar für die private Nutzung freigegeben.

Ähnliche Befunde wie für die norischen Städte gelten auch für Celia/Celje in Slowenien, wie Jure Krajšek vom dortigen Museum berichtete. Er vermittelte auch einen Einblick in die Herausforderungen, denen sich die Archäologen bei Grabungen in einer modernen Stadt stellen müssen. Orsolay Láng, Leiterin des Archäologiemuseums von Budapest, berichtete über den aktuellen Forschungsstand bezüglich der ungarischen Römerstadt Aquincum in der Provinz Pannonien, zu der auch Carnuntum/Petronell gehörte. Auch hier gab es im 3. Jahrhundert die Aufgabe von Gebäuden und eine partielle Abwanderung der Bevölkerung, was der politischen und ökonomischen Krise zuzuschreiben sei. Die letzten Einwohner verließen die Stadt allerdings erst zu Beginn des 5. Jahrhunderts.

Einen räumlich noch erweiterten Blick auf die Ereignisse des 3. Jahrhunderts ermöglichten die Referenten mit den weitesten Anreisen nach Osttirol: So beschäftigte sich Javier Andreu Pintado, Universität Navarra, mit den römischen Städten in der nord-ost-spanischen Provinz Tarraconensis. Dass auch Kleinasien, von Philostratus als „Region der 500 Städte“ bezeichnet und jedenfalls eine der bevölkerungsreichsten römischen Provinzen, ab der Mitte des 3. Jahrhunderts von einer Erosion der römischen Staatsmacht betroffen war, erläuterte Aitor Blanco Pérez, ebenfalls Universität Navarra. Über die Auswirkungen der Einfälle der ostgermanischen Heruler auf das Leben in Athen referierte Sarah Beal, Universität von Cincinnati/Ohio.

Extra aus der – wie Lienz nahe der Drau, allerdings an der Grenze zu Ungarn gelegenen – kleinen, ostkroatischen Gemeinde Suhopolje zum Aguntum-Workshop angereist ist eine Gruppe des dortigen Vereins KREDA, um ein bemerkenswertes Projekt vorzustellen: Östlich des Dorfes lag die römische Siedlung Bolentio. In den sandigen Böden rund um das Dorf fanden sich schon seit langem immer wieder Artefakte aus der Römerzeit. Seit vier Jahren suchen Grundschüler aus dem Dorf alljährlich nach der Erntezeit gezielt nach derartigen Spuren der Vergangenheit und bestimmen die Funde unter der Anleitung der Archäologin Silvija Salajic vom Museum in der Stadt Virovitica. Unterstützt durch KRIDA wurde im Schulgebäude eine Dauerausstellung mit drei Vitrinen dieser Bodenfunde eingerichtet; darüber hinaus sind die Kinder bei diversen Präsentationen und Römerfesten mit Begeisterung dabei. „Die gesamte Bevölkerung wurde durch die Aktivitäten der Kinder und unseres Vereins bereits für das historische Erbe sensibilisiert und bringt uns immer wieder neue Fundstücke“, berichtete die Obfrau Natalija Kožic Lukacevic. „Außerdem sind die Kinder bereits in der Lage, neue Lesefunde zumindest grob danach zu bestimmen, ob sie prähistorischen, römischen oder mittelalterlichen Ursprungs sind.“

Fazit der Tagung: Das 3. Jahrhundert war zweifellos eine Periode des Wandels, die Etikettierung als allumfassende „Reichskrise“ wird den heute fassbaren, oft divergierenden Teilphänomenen im Imperium Romanum nicht gerecht. Für Interessierte: Alle Workshop-Beiträge werden voraussichtlich noch 2019 in einem Tagungsband publiziert.

 

Text: Kulturredaktion, Fotos: ÖAW-ÖAI/Ch. Hinker

26. November 2018 um