Kals am Großglockner: Neue Routen im Reich der Dreitausender

Kalser Bergführer haben mit Bergkameraden neue Routen in den Hohen Tauern angelegt, die durch die Verbreitung über Social Media Bergbegeisterte von weit her nach Osttirol ziehen.

„Lost in Bollywood“, „Sundays for future“ oder „White Gold“ – wenn Routen erstmals bestiegen werden, geben ihnen die Erstbegeher oft fantasievolle Namen. „Die Begriffe ergeben sich meist spontan aus der jeweiligen Situation und Emotion heraus. Im vergangenen Herbst herrschten gute Bedingungen, um neue Routen anzulegen. Der November war schneearm, aber feucht. Es bildete sich das so genannte ,Styroporeis‘, sodass wir Wände bzw. Rinnen klettern konnten, die im Sommer sehr brüchig und damit zu gefährlich sind“, erzählt Vittorio Messini. Zusammen mit Michael Amraser, dem Obmann der Kalser Berg- und Skiführer, Lukas Pichler und Hans Zlöbl legte er am 22. November 2020 am 3.206 Meter hohen Glödis die Route „Sundays for future“ an.

 

 

Ebenfalls in der Nordwestwand dieses bekannten Berges in der Schobergruppe begingen Vittorio und Isidor Poppeller vier Tage später erstmals eine weitere, etwa 300 Meter lange Route und nannten sie „White Gold“. Von den neuen Routen wird immer auch ein so genanntes „Topo“ angelegt, d.h. dass die Erstbegeher in einem Foto des jeweiligen Berges eine Skizze der Route einzeichnen. Charakter und Verlauf, also Aufstieg und Abstieg, werden kurz beschrieben. Das „Topo“ beinhaltet außerdem den Namen der Route, den Schwierigkeitsgrad, die Namen der Erstbegeher sowie Informationen über die erforderliche Ausrüstung.

 

 

Am 3.232 Meter hohen Muntanitz, dem markanten Gipfel in der Granatspitzgruppe, gelangen Michael Amraser Mitte November 2020 gemeinsam mit seinem Bergführer-Kollegen Bernhard Gratz zwei Routen – die „Diagonale“ und die „Direkte“ in der Nordwand. „Zuletzt wurde diese Wand im Sommer aufgrund der zu hohen Steinschlaggefahr immer mehr gemieden. Wir haben wieder zwei Routen für Mixed-Touren – also Klettern in Fels und Eis – angelegt. Mit mobilen Sicherungsmitteln wie Friends und Eisschrauben sind solche Touren möglich. Früher stieg man eher über die Grate auf“, lässt Michael wissen.

 

Michael Amraser (links) und Bernhard Gratz auf dem Gipfel des Muntanitz

 

„Neues entdecken, ein Abenteuer erleben – das ist das Faszinierende an neuen Routen. Eigentlich machen wir das vor allem für uns selbst“, meint Vittorio, der im vergangenen Herbst auch in der Nordwand des Ralfkopfs, eines weniger bekannten Gipfels zwischen Großglockner und Hochschober, zusammen mit Lukas Pichler eine Route anlegte. Die beiden Bergführer nannten sie „Lost in Bollywood“. Früher erfolgte die Information über neue Routen per Mundpropaganda, heute teilt man sie über das Internet mit anderen Kletterern. Es gibt normalerweise nur ein kurzes Zeitfenster für solche Touren – idealerweise im Herbst.

 

Michael Amraser (36), Berg- und Skiführer sowie Obmann der Kalser Bergführer

 

„Wir stellen die Topos auf unsere Homepage und teilen sie über Facebook und Instagram. So können auch andere Bergbegeisterte die Wände bezwingen. Die neuen Routen verbreiten sich oft innerhalb von wenigen Stunden wie ein Lauffeuer. Vor allem die Touren mit mittlerer Schwierigkeit ziehen Bergsteiger magisch an.“ Manche würden, so Vittorio, hunderte Kilometer Anreise in Kauf nehmen, um die neuen Routen zu begehen. „Das motiviert uns zwar, birgt aber auch Gefahren in sich, vor allem dann, wenn zu viele Kletterer bzw. Seilschaften hintereinander in eine Rinne einsteigen“, verweist Michael auf eine Schattenseite der Faszination Berg.

 

Vittorio Messini (32), Berg- und Skiführer, Geologe, Ausbildner beim Österr. Bergführerverband und bei der Tiroler Bergrettung

 

„Auf eine exakte Tourenplanung wird leider oft vergessen. Manche sehen das Topo im Internet und reisen am nächsten Tag an, wenn es die Witterungsbedingungen zulassen. Dabei müssen auch die Verhältnisse in der Wand passen. Bei Eistouren sollte man auf beste Verhältnisse warten. Die Eisfälle laufend zu beobachten, ist allerdings mit einem großen Aufwand verbunden. Ähnlich sollte man es auch im Herbst handhaben, wenn man eine Mixed-Tour plant. Wer von weit her anreist, sollte sich vorher einen Plan B überlegen, falls die ins Auge gefasste Tour nicht möglich ist“, empfehlen Vittorio und Michael abschließend.

 

 

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Kalser Berg- und Skiführer, Ramona Waldner

08. März 2021 um