Industriekletterer – cooler Job in luftigen Höhen

Was hat die Weihnachtsbeleuchtung von Antwerpen mit Osttirol zu tun? Sehr viel, wie uns Bernd Hatzer und Patrick Unterwurzacher aus Prägraten am Großvenediger erzählen.

Die beiden 31-Jährigen haben schon im Kindergarten miteinander gespielt, heute arbeiten sie als Industriekletterer eng zusammen. „Dort, wo andere Angst bekommen, haben wir unseren Spaß an der Arbeit“, erzählen Patrick Unterwurzacher und Bernd Hatzer. Vor vier Jahren gründeten sie gemeinsam mit Tom Tschoner aus Virgen und Martin Reschreiter aus dem salzburgischen Abtenau eine Firma, um mit professionellen Seiltechniken Arbeiten an schwer zugänglichen Stellen durchzuführen – also dort, wo Gerüste keine Rolle mehr spielen.

Bernd Hatzer bei Arbeiten an der Weihnachtsbeleuchtung von Antwerpen

Bernd Hatzer arbeitet hoch über dem Stadtzentrum von Antwerpen an der Weihnachtsbeleuchtung.

Als Industriekletterer arbeiten sie am hängenden Seil im absturzgefährdeten Bereich. Wartungsarbeiten an Windrädern, Arbeiten in Schächten, Lichtmontagen, Verputz- und Reinigungsarbeiten gehören ebenso zu ihrem Job wie Absturz- und Personensicherungen oder das Anbringen von Bauteilen an schwer zugänglichen Stellen. „Jetzt in den Wintermonaten sind wir vor allem mit Weihnachtsbeleuchtungen beschäftigt. Derzeit entfernen wir die Lichter an den Kirchen und Stadthäusern von Antwerpen. Die Belgier haben für eine schöne Weihnachtsbeleuchtung sehr viel übrig. Gut für uns, denn wir sind inzwischen alljährlich ab Anfang November mehrere Monate lang für diesen großen ATT-Auftrag ausgebucht“, berichtet Bernd. „Das ist eine richtig coole Arbeit. Man hängt am Seil mehr als hundert Meter über dem Boden und sieht die Stadt aus der Vogelperspektive – ein ganz besonderes Gefühl beim Arbeiten. Außerdem empfinde ich es als sehr angenehm, immer an der frischen Luft zu sein“, kommt Patrick ins Schwärmen.

Patrick Unterwurzacher bei Arbeiten an einem Windrad

Patrick Unterwurzacher bei Arbeiten an einem Windrad

Im Sommer stellen Wartungsarbeiten an Windrädern den Hauptarbeitsbereich der Iseltaler dar. Sanierungen an den gigantischen Energieerzeugern und das Kontrollieren der Rotorblätter führen sie in der warmen Jahreszeit in luftige Höhen. „80 Meter über dem Boden liegt bei den meisten Windrädern so in etwa die Mitte des Rotors. Bis zu diesem Punkt steigen wir auf, wenn wir beispielsweise Gummidichtungen tauschen“, erklärt uns Bernd. Am Elisabethhochhaus – mit 75 Metern und 25 Stockwerken das höchste Wohnhaus von Graz – haben die Industriekletterer aus Osttirol am Seil hängend gearbeitet und in Deutschland die so genannte Höhenrettung für die Mitarbeiter einer Baufirma durchgeführt.

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Bernd Hatzer: „Die Belgier haben für eine schöne Weihnachtsbeleuchtung sehr viel übrig. Gut für uns, denn wir sind inzwischen alljährlich ab Anfang November mehrere Monate lang für diesen großen ATT-Auftrag ausgebucht.“

„Wichtig ist bei unserer Arbeit vor allem die richtige Planung und Positionierung der Seiltechnik. Wir führen aber immer wieder auch Evaluierungen an hohen Gebäuden durch“, so Bernd. Als körperlich anstrengend empfinden die beiden Prägratner ihren Job nicht, obwohl sie oft hunderte Meter aufsteigen müssen. Am Stephansdom in Wien haben sie im Rahmen der „Langen Nacht der Kirchen“ für einen Künstler an der Innenseite der hohen Fenster Lichtspielfolien angebracht. Bei diesen Arbeiten mussten sie immer wieder bis zu 40 Meter hoch aufsteigen. „Es gäbe zwar ein Seilmoped, aber so etwas haben wir noch nie verwendet“, schmunzelt Patrick.

Patrick Unterwurzacher: „

Patrick Unterwurzacher: „Das ist eine richtig coole Arbeit. Man hängt am Seil mehr als hundert Meter über dem Boden und sieht Städte und Landschaften aus der Vogelperspektive.“

Sich während der Arbeit immer voll auf die Sache zu konzentrieren, sei beim Industrieklettern besonders wichtig – vor allem aus Gründen der Sicherheit. Diese ist auch ein wesentlicher Inhalt der Ausbildung, die drei Levels umfasst. Die Iseltaler haben ihre Ausbildung für Level 2 in Hallein absolviert und möchten demnächst die Prüfungen für Level 3 ablegen. Auf Basis dieser Ausbildung werden sie dann auch komplette Baustellen planen können. „Mit Level 2 dürfen wir vier Leute führen. Unser Ausbildner hat beim Bau der Allianz Arena in München bis zu 180 Industriekletterer geführt“, weiß Bernd.

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„Wir empfinden unseren Job als nicht sehr gefährlich und haben zum Glück auch noch keinen Unfall erlebt. Aber wir müssen darauf vorbereitet sein und wissen, was passieren muss, wenn etwas passiert. Unsere körperliche und geistige Fitness wird regelmäßig überprüft“, erzählt Patrick, der eigentlich gelernter Schlosser ist. Mit Bernd arbeitet er schon seit Jahren zusammen, früher als  Freileitungsmonteure, später bei der Firma ATT, die auf seilunterstützte Höhenarbeiten spezialisiert ist. „Mit ATT arbeiten wir auch jetzt noch viel und gerne zusammen, vor allem auch, wenn es um Weihnachtsbeleuchtungen geht“, erklärt Bernd, ein gelernter Bildhauer mit Ausbildung im Südtiroler Wolkenstein. Als stressig empfinden die beiden Industriekletterer ihren Job in luftiger Höhe nicht. „Normalerweise stehen wir nicht unter Zeitdruck. Wir haben uns angewöhnt, am Beginn eines Auftrages richtig Gas zu geben. Deswegen verfügen wir dann gegen Ende hin meistens über einen angenehmen Zeitpolster“, erzählen sie.

 

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Die Frage nach dem „Ausgleich zum stressigen Job“ erübrigt sich somit. Die beiden Osttiroler strahlen viel Ausgeglichenheit aus – ungeachtet dessen, dass sie gleich nach unserem Gespräch die lange Fahrt nach Antwerpen antreten müssen. „Unser Job bietet viel Abwechslung. Das Arbeiten in der frischen Luft, die Bewegung und das Betrachten der Landschaft von oben sind tolle Begleiterscheinungen. Man sieht viel von der Welt und gewinnt Eindrücke, die nur den wenigsten offen stehen. Wenn ich aber wieder zuhause in Prägraten bin, dann genieße ich die Zeit mit meinen Freunden umso mehr“, so Bernd Hatzer abschließend.

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Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Martin Lugger, industriekletterer.com, Anton Neudorfer

27. Februar 2016 um