Hochwasser- und Lawinenschutz an den Beispielen Osttirol und Pinzgau

Hochwasser, Lawinen, Murgänge, Stürme – wir sprachen mit Experten über Folgen und Anpassungen an die massiven Auswirkungen des Klimawandels im Alpenraum.

Unser Planet erwärmt sich – und die Folgen sind gravierend. Hitzewellen sind nur die eine Seite. Die Klimaerwärmung hat auch Einfluss auf die Häufigkeit von extremen Niederschlagsereignissen. Zwei Effekte der Klimaerwärmung nehmen, so Experten, Einfluss auf die Häufigkeit derartiger Naturkatastrophen: Zum einen verdunstet bei höheren Temperaturen mehr Wasser, und die wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit speichern. Dies begünstigt hohe Niederschlagsmengen. Zum anderen verharren Wetterlagen länger über einer Region, was mit der Veränderung des Jetstreams, der als Windband in großer Höhe um die Nordhalbkugel zieht, in Verbindung steht. Als Folge können Wetterlagen über längere Zeit an einem Ort bleiben, und extreme Bedingungen entstehen.

Was die daraus resultierenden Starkniederschlagsereignisse für einzelne Gemeinden, aber auch für eine ganze Region bedeuten, das mussten die Menschen im Oberpinzgau im Sommer 2021 nach 2005 und 2014 erneut erleben. DI Mag. Dr. Martin Zopp vom Referat Schutzwasserwirtschaft beim Land Salzburg und DI Gebhard Neumayr, Gebietsbauleiter der Wildbach- und Lawinenverbauung Pinzgau, haben uns von Auswirkungen der extremen Hochwasser und Muren sowie von möglichen Lösungsansätzen berichtet. DI Otto Unterweger, Gebietsbauleiter der Wildbach- und Lawinenverbauung Osttirol, beleuchtet die Situation im Bezirk Lienz und erläutert, warum sich die WLV Osttirol seit drei Jahren praktisch im „Katastrophenmodus“ befindet.

 

DI Otto Unterweger, Gebietsbauleiter der Wildbach- und Lawinenverbauung Osttirol, im Bereich des Bretterwandbaches in Matrei in Osttirol. Foto: Osttirol heute

 

VAIA, INGMAR und VIRPY fordern die WLV Osttirol

Seit drei Jahren befindet sich die Gebietsbauleitung der Wildbach- und Lawinenverbauung Osttirol praktisch im „Katastrophenmodus“. Wie Gebietsbauleiter Otto Unterweger ausführt, wurde der Bezirk Lienz nach den beiden massiven Sturmtiefs VAIA (Oktober 2018) und INGMAR (November 2019) auch 2020 von Unwettern nicht verschont. „Ganz im Gegenteil – das Sturmtief VIRPY brachte noch nie gemessene Niederschlagsmengen nach Osttirol und führte zu enormen Neuschneehöhen. Die Lufttemperatur stieg weit in den Plusbereich, großflächige Überflutungen waren die Folge“, erinnert sich der langjährige Gebietsbauleiter zurück.

„Die Niederschlagsmengen lagen Anfang Dezember 2020 an fünf Tagen stellenweise bei mehr als 500 Millimetern. Der Oberflächenabfluss war enorm. In Nußdorf-Debant musste das Wasser bis in die Retentionsbecken des Zwiesling- und Dorfbaches weitergepumpt werden, um eine ganze Siedlung zu schützen. Im Defereggental beschädigte eine Mure fünf Häuser, und in Lienz bedrohte eine Rutschung zwei Gebäude.“ Die Ursachen für die Extremereignisse stellt Unterweger in direkten Konnex zum Klimawandel. „Die zunehmend höhere Wassertemperatur des Mittelmeeres führt im Südalpenraum zu längeren und intensiveren Niederschlägen. Außerdem lässt das wesentliche Mehr an Energie in der Atmosphäre diese dynamischer und aggressiver werden. Nicht nur Stürme fallen so intensiver aus, auch Hagel & Co treten gehäuft auf“, zählt er einige direkte Folgen auf.

 

Verbauungen im Bereich der Oberseitlawine in St. Jakob im Defereggental. Foto: WLV Osttirol

 

Eine weitere Auswirkung des Klimawandels sei, dass die Schneefallgrenze steigt. „Früher war z.B. jener Schnee, der über 1.800 Metern Seehöhe fiel, nicht mehr abflussrelevant. Nun regnet es immer häufiger aber auch in höheren Lagen, mit der Folge, dass es im Tal zu verstärkten Abflüssen kommt. Zudem verändert sich auch die Schneekonsistenz, der Schnee wird feuchter und damit schwerer. Im Winterhalbjahr ist deshalb der Schneedruck eine zunehmend große Gefahr für den Schutzwald. Es kommt zu Wipfelbruch, und durch den Umstand, dass der Boden nicht mehr gefroren ist, finden Flachwurzler wie die Fichte weniger Halt. Baumentwurzelungen sind die Folge.“

 

Verbauung am Firschnitzbach in Virgen. Foto: Osttirol heute/Mühlburger

 

Wildbäche besonders betroffen

Durch die extremen Niederschläge würden, so Unterweger weiter, „ … vor allem auch die Wildbäche an Gefährdungspotenzial gewinnen. Die hohen Niederschlagsmengen auf kleinen Flächen und die Bildung so genannter Gewittertürme haben auf Wildbäche mit kleinen Einzugsgebieten wesentlich massivere Auswirkungen als auf größere Flusssysteme wie beispielsweise Isel und Drau. Die Sturmtiefs VIRPY und INGMAR brachten mehr Niederschlag als die Hochwasser-Katastrophen der Jahre 1965/66. Einzig unsere Schutzbauten haben uns vor einer Katastrophe bewahrt.“

 

Arbeiten am Schutzwald in Assling. Foto: Gemeinde Assling

 

Besondere Schutznetze

Was den Gebietsbauleiter der Wildbach- und Lawinenverbauung besonders beschäftigt, sind die Schäden, die der Osttiroler Schutzwald in den vergangenen Jahren genommen hat. „Die Zerstörungen im Objektschutzwald waren derart großflächig, dass der Schutz des Siedlungsraumes mit ,normalen‘ Mitteln nicht mehr zu bewältigen war. Aus diesem Grund mussten neue Verbauungsprojekte ausgearbeitet und neue Schutzmaßnahmen ausgeführt werden. Die Errichtung gängiger Systeme wäre weder zeitlich noch finanziell umsetzbar gewesen.“ Zugute kam dem Team der WLV-Gebietsbauleitung Osttirol dabei, dass man in der Entwicklung von Sonderlösungen viel Erfahrung hat. „Wir haben ein Schutznetz entwickelt, das kostengünstig ist und sehr schnell installiert werden kann. Dieser Netztyp dient in jenen Bereichen als provisorischer Schutz für den Siedlungsraum, in denen der Objektschutzwald durch die Sturmtiefs stark beschädigt oder zerstört wurde. Eine abgewandelte Bauart setzen wir auch in Steilflächen gegen Lawinenanrisse ein. Wir haben allerdings nicht damit gerechnet, dass unsere Schutzmaßnahmen schon im Dezember 2020 eine erste, große Bewährungsprobe zu bestehen hatten“, so Unterweger.

 

Mur- und Lawinenbrecher am Timmelbach in Prägraten. Foto: WLV Osttirol

 

Lawinenverbauungen überprüfen

Für die Zukunft sei es eminent wichtig, alle Verbauungen dahingehend zu analysieren, ob sie noch genügend Schutzwirkung aufweisen. „Die Berechnungen früherer Zeiten gelten aufgrund der Erhöhung des Abflusses (mehr Niederschlag in kurzer Zeit) nicht mehr oder nur mehr zum Teil. Immer mehr Schutzbauten müssen deshalb umgebaut, ergänzt oder verbessert werden. Am Firschnitzbach in Virgen wurde etwa ein zweites Becken gebaut und das obere vergrößert. In Prägraten entstand, zum Schutz vor dem Timmelbach und der Timmelbachlawine, ein großer Mur- und Lawinenbrecher. Außerdem musste eine Anbruchverbauung oberhalb der Bodenalm realisiert werden.“ Durch die stärkeren Schneefälle und das höhere Gewicht des nassen Schnees müssten die Lawinenverbauungen statisch stärker ausgelegt werden. „Ein Vorteil ist, dass die Auslauflängen der Lawinen kürzer werden. Viele Gebäude in der Gefahrenzone sind durch Staublawinen gefährdet, zum Glück aber nicht durch Gleitschneelawinen, die immer häufiger vorkommen. Solche Nassschneelawinen lassen sich durch Dämme leichter lenken.“

Die Tatsache, dass Osttirol der erste Bezirk in Österreich ist, in dem ein Gemeindeverband gegründet wurde, über den ein Angestellter sämtliche Lawinen- und Steinschlagverbauungen sowie Entwässerungen laufend kontrolliert, nennt der Osttiroler Gebietsbauleiter „sehr erfreulich und wichtig. In Untertilliach konnte so ein großer Schaden an einer Lawinenverbauung entdeckt und gleich vor dem nächsten Winter saniert werden.“

 

Arbeiten mit Hubschrauberunterstützung am Hochberg-Lahnberg in Innervillgraten. Foto: WLV Osttirol

 

Vermehrter Steinschlag

Otto Unterweger und seine Mitarbeiter sehen sich immer häufiger auch mit dem Problem konfrontiert, dass es zu vermehrtem Steinschlag und kleineren Rutschungen als Folge der Schäden am Objektschutzwald kommt. „Mit den Wurzeln werden oft auch größere Steine aus dem Geländeverband herausgerissen und stürzen zu Tal. Dies stellt eine Gefahr für Straßen und Häuser dar. Passiert das auf größeren Flächen, kommt es bei Starkniederschlägen zu kleineren Rutschungen. Im Gemeindegebiet von Assling wurden durch solche Rutschungen große Schäden verursacht.“ Um die Schutzfunktion des Waldes und technische Verbauungen rasch wiederherzustellen und die Sicherheit des Lebens- und Wirtschaftsraumes zu gewährleisten, wurde das „Flächenwirtschaftliche Projekt Assling“ ausgearbeitet. „Das Projekt umfasst forstliche und technische Maßnahmen mit einem Investitionsrahmen von 5,25 Millionen Euro“, beziffert der Gebietsbauleiter die Kosten. „Im gesamten Bezirk Lienz wurden aufgrund der Schäden am Schutzwald oberhalb des Siedlungsgebietes Steinschlagsicherungen im Ausmaß von etwa drei Kilometern installiert.“

 

Ein neues Projekt am Bretterwandbach in Matrei befindet sich im Genehmigungsverfahren. Foto: Osttirol heute

 

Aktuelle Projekte der Gebietsbauleitung Osttirol

Die Gebietsbauleitung Osttirol der Wildbach- und Lawinenverbauung beschäftigt aktuell 11 MitarbeiterInnen im Büro und 36 Personen auf den Baustellen. Das durchschnittliche jährliche Bauvolumen betrug in den letzten drei Jahren etwa 10 Millionen Euro. Eines der größten laufenden Projekte ist das „Flächenwirtschaftliche Projekt Kalsertal“. Otto Unterweger dazu: „Es ist infolge der Gefährdungslage nach dem Sturmtief VAIA nötig geworden. Lawinenverbauungen und Steinschlagdämme wurden und werden repariert, ergänzt und neu errichtet.“ In Hopfgarten i.D. wurde oberhalb des Dorfzentrums eine große Geschieberückhaltesperre errichtet, am Lawinen- und Murbrecher wird noch etwa ein Jahr gebaut. Im Defereggental wird außerdem auch an weiteren Lawinenverbauungen und an der Schutzwaldsanierung im Bereich der Oberseitlawine (St. Jakob) und Lailahnerlawine (Hopfgarten) gearbeitet.

 

Am Bretterwandbach wurden im Laufe der Zeit über 200 Einzelsperren errichtet. Foto: Osttirol heute

 

Ein neues Projekt am Bretterwandbach in Matrei i.O. befindet sich im Genehmigungsverfahren. „Am Bretterwandbach wurden im Laufe der Zeit über 200 Einzelsperren errichtet. Mit dem neuen Projekt sollen die alten Verbauungen instandgesetzt und ergänzt werden“, erklärt der Gebietsbauleiter und berichtet, dass im Matreier Ortsteil Seblas/Klausen ein weiteres großes Projekt mit Lawinenverbauungen und Schutzwaldsanierung in Planung sei. In Umsetzung befindet sich die Mittellaufverbauung am Tödterbach in Sillian/Arnbach. Ein großes Sanierungsprojekt läuft auch am Grafenbach in Gaimberg bzw. Lienz. „Hier hat sich eine Hangrutschung gebildet. Es müssen Gegenmaßnahmen und Entwässerungen durchgeführt werden. Am Grafenbach kümmern wir uns um eine neue Sperrenstaffelung, und es wird ein zusätzliches Geschiebebecken errichtet.“

 

Hochwasser-Alarm im Pinzgau

 

v.l.n.r. Der Mittersiller Bgm. Dr. Wolfgang Viertler, LR DI Dr. Josef Schwaiger und Mag. Dr. DI Martin Zopp vom Referat Schutzwasserwirtschaft beim Land Salzburg am 18. Juli 2021 bei der Hubbrücke in Mittersill. Foto: Land Salzburg/Roman Kittl

 

„2005 erlebten wir im Oberpinzgau ein 100-jährliches Ereignis, das Hochwasser 2014 gestaltete sich ähnlich, und das Ereignis im heurigen Juli würde ich noch massiver als ein 100-jährliches Ereignis einschätzen“, erklärt Martin Zopp. Er zeichnet seit über 20 Jahren für die Planung der Schutzbauten an Salzach und Saalach im Pinzgau verantwortlich. Als Ursache für die Häufung der Extremereignisse nennt er als erstes den Klimawandel, durch den Niederschlagsintensität und Schneefallgrenze kontinuierlich ansteigen. „Es lässt sich belegen, dass früher bei Niederschlägen ein Drittel des Einzugsgebietes westlich von Mittersill beschneit wurde. Der Schnee blieb zumindest eine Zeit lang liegen. Heute befindet sich die Nullgradgrenze zum Teil schon auf 4.000 Metern Seehöhe. Der gesamte Niederschlag fließt sofort in die Täler ab“, so Zopp.

 

Beschädigte Brücke und Straßenanlage. Foto: WLV Pinzgau

 

Extreme, lang andauernde Hochwasserwelle

Mit Blick auf den Juli 2021 führt er aus, dass die INCA-Niederschlagsanalyse (Quelle: ZAMG Salzburg) deutlich mache, dass am 17. und 18. Juli im Bereich der Hohen Tauern binnen 48 Stunden zwischen 100 und 145 mm Niederschlag verzeichnet wurden. „Die Nullgradgrenze lag zwischen 3.500 und 3.800 Metern Seehöhe. Damit fiel der Niederschlag im Einzugsgebiet fast ausschließlich in Form von Regen. Die in der Folge rund 36 Stunden anhaltende, hohe Wasserführung aller Zubringer zur Salzach löste eine extreme, lang andauernde Hochwasserwelle aus, durch die Teile des Talbodens im Salzachtal von Neukirchen bis Zell am See großflächig überflutet wurden. Zusätzlich mussten wir infolge der enormen Wassermengen und durch das Überströmen der Ufer zahlreiche Erosionen im Bereich der Bahnanlage feststellen. Es entstanden beträchtliche Schäden an Infrastruktureinrichtungen, an Objekten und auch eingeschränkt an Hochwasserschutzanlagen. Groß waren die Schäden an der direkt entlang der Salzach verlaufenden Pinzgaubahn sowie an landwirtschaftlichen Flächen, insbesondere westlich von Mittersill.“

 

Arbeiten mit Großgeräten oberhalb des Bahnhofs Krimml. Foto: WLV Pinzgau

 

Bemerkenswert sei, so Zopp, dass es auch zu einer Überlastung von Hochwasserschutzanlagen gekommen sei, wodurch sich die Überflutung einiger Objekte sowie von Betrieben erklären lasse. „Die Hochwasserschutzanlagen, die seit dem Jahr 2000 von Wald bis Zell am See nahezu flächendeckend für Siedlungsgebiete errichtet wurden, sind auf ein 100-jährliches Hochwasser mit 50 cm Freibord (=zusätzliche Sicherheitshöhe) bemessen.“ Außergewöhnlich dramatisch entwickelte sich die Situation in Mittersill, wo ab den Abendstunden des 18. Juli der Retentionsraum westlich des Ortes volllief (mit einem Wasserstand ca. 1,7 m über dem Wasserspiegel HW 100 und nur 10 cm unter der Dammkrone!) und eine Überflutung des Ortszentrums drohte. „Leider ließ sich eine Überflutung des Gewerbegebiets Mittersill West nicht vermeiden. Insgesamt war der Oberpinzgau nach den Jahren 2005 und 2014 zum dritten Mal innerhalb von 16 Jahren von einem sehr großen Hochwasser betroffen, wobei dieses Mal der gesamte Abschnitt von Wald bis Zell am See flächendeckend berührt wurde.“

 

Der Bereich Bahnhof Krimml nach Überflutungen im heurigen Sommer. Foto: Land Salzburg

 

Notwendige Analyse und Planung für die Zukunft

Das Hochwasser vom Juli 2021 habe, so der Experte des Referates Schutzwasserwirtschaft beim Land Salzburg, deutlich gemacht, dass aufgrund der klimatischen Veränderungen auch in Zukunft des Öfteren mit extremen Hochwässern im Oberpinzgau zu rechnen sei. „Insbesondere bei länger andauernden Hochwasserwellen werden die bestehenden, natürlichen wie künstlichen Retentionsräume im Talboden des Salzachtals überlastet und können noch größere Wassermengen nicht mehr aufnehmen. Unsere Abteilung wurde daher vom zuständigen Landesrat Dr. Josef Schwaiger beauftragt, weitere Möglichkeiten zur Verbesserung des Hochwasserschutzes im Oberpinzgau zu untersuchen. Dazu zählen u.a. die Optimierungen von bestehenden Hochwasserschutzanlagen im Talboden, die Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen für noch nicht geschützte Siedlungsbereiche, eine Analyse, inwieweit Retentionsflächen im Talboden optimiert sowie neue Retentionsräume an den südlichen Zubringern (Tauerntäler) geschaffen werden können und eine Prüfung der Optimierung bestehender Kraftwerksspeicher. Als erster Schritt wird mittels eines Niederschlag- Abflussmodells die Wirksamkeit von Maßnahmen oder deren Kombinationen berechnet. Parallel dazu werden die Hochwassersofortmaßnahmen weiter fortgesetzt sowie einzelne Projekte vorbereitet. Ziel ist es, bis zum nächsten Sommer Optimierungen und Neubauten von Hochwasserschutzmaßnahmen im Talboden umzusetzen sowie ein Gesamtkonzept für weitere Verbesserungen vorzulegen.“

 

Millionen Euro für Schutzbauten im Pinzgau

 

DI Gebhard Neumayr ist seit dem Jahr 2009 Gebietsbauleiter der Wildbach- und Lawinenverbauung im Pinzgau. 15 MitarbeiterInnen sind im Büro beschäftigt, 55 Mitarbeiter arbeiten auf den Baustellen. Foto: Nikolaus Faistauer photography

 

„Die letzte so genannte 5 b-Wetterlage verzeichneten wir im Pinzgau im Jahr 2013. Im Zuge der massiven Niederschläge im heurigen Juli haben sich unsere Anstrengungen, die Schutzmaßnahmen laufend zu verbessern, als einzig richtig erwiesen“, sagt DI Gebhard Neumayr, Gebietsbauleiter der Wildbach- und Lawinenverbauung Pinzgau. Das von seiner Abteilung betreute Gebiet umfasst eine Fläche von 2.641 Quadratkilometern in 28 Pinzgauer Gemeinden. „Die Sperre am Trattenbach in Wald füllte sich bis auf zwei Drittel, der Schlossberg und der Walder Boden waren geschützt. Dies galt auch für das Ortszentrum von Hollersbach, für die Siedlung Obersulzbach im Oberpinzgau, für Saalfelden, die drittgrößte Stadt Salzburgs, das Ortszentrum von Leogang sowie für das Zentrum von Maria Alm, wo wir die Verbauungsmaßnahmen einen Tag vor den Starkniederschlägen fertigstellen konnten“, zählt er Gebiete auf, in denen die Schutzbauten Stand hielten.

 

Einstoß des Breuergrabens in die Krimmler Ache. Foto: WLV Pinzgau

 

Ein Naturereignis, wie jenes vom 14. bis 16. August 2021 im Oberpinzgau, mit drei Murgängen hintereinander, habe er noch nie erlebt, meint der erfahrene WLV-Experte. „Die Krimmler Ache wurde bis zu 15 Meter hoch aufgestaut. Betroffen war vor allem auch der Breuergraben in Wald. Hier sind derzeit zwei Schutzprojekte mit einem Investitionsvolumen von rund 10 Mio. Euro in Ausarbeitung“, so Neumayr. „Fakt ist, dass sich das Wetter in den letzten Jahren massiv geändert hat. Bei ungefähr gleichbleibenden Niederschlagsmengen regnet es in kürzerer Zeit viel intensiver. Die Schneefallgrenze im Sommer steigt an. Dies führt zu größeren Abflüssen, die bewältigt werden müssen.“

 

Bund, Land und Wildbachgenossenschaften investieren

Die gute Nachricht sei, dass das Gros an Schutzmaßnahmen greift. „Von 2013 bis 2021 sind unglaublich viele Maßnahmen umgesetzt worden. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang die Funktion des Schutzwaldes, d.h. dass auch die Waldbewirtschaftung immer wichtiger wird. Nach Windwürfen muss so schnell wie möglich wieder aufgeforstet werden.“ Große Lawinenverbauungs-Projekte wurden in den letzten Jahren in Rauris, in Saalbach-Hinterglemm und in Unken umgesetzt. „Hier zeigt sich immer öfter das Problem von Gleitschnee, was die Lawinen im Bereich Unken/St. Martin/Weißbach bei Lofer im Jahr 2019 deutlich vor Augen führten.

 

Gleitschneelawine in St. Martin bei Lofer. Foto: WLV Pinzgau

 

Im Pinzgau werden jährlich rund 16 Mio. Euro in Wildbach-, Lawinen- und Steinschlagverbauungen investiert. Das sind rund 10 Prozent des Budgets aller österreichischen Gebietsbauleitungen!“ Neben Bund und Land sind, so Neumayr, im Pinzgau auch die Wildbachgenossenschaften ein wichtiger Partner. Rund 60 % der Kosten trägt üblicherweise der Bund, 15 % das Land Salzburg. Auf die Wildbachgenossenschaften entfallen rd. 25 %. „Diese Genossenschaften – in unserem Bezirk 120 an der Zahl – sind eine Salzburger Besonderheit. Alle Haus- und Liegenschaftsbesitzer sind Mitglieder, was mehrere Vorteile hat. Als Eigentümer prüfen die Mitglieder nach Unwetterereignissen, ob es Schäden gibt. Wir erhalten so sofort eine entsprechende Meldung und können, wenn notwendig, rasch reagieren. Außerdem ist es wesentlich einfacher, für Schutzbauten Grundflächen zu erhalten, wenn die Verhandlungspartner Mitglieder sind. Ein weiterer Vorteil liegt im Bereich Finanzierung, schließlich trägt eine Generation durchschnittlich rund 8.000 Euro der Kosten für Schutzbauten. Die Nachfrage nach Schutzbauten im Pinzgau ist aus den Reihen der Mitglieder jedenfalls äußerst groß.“

 

Pinzgauer Lokalbahn massiv betroffen

 

Dienststellenleiter Walter Stramitzer, Chef der Pinzgauer Lokalbahn. Foto: Osttirol heute/Mühlburger

 

Zum dritten Mal innerhalb von 16 Jahren wurde die Pinzgauer Lokalbahn im vergangenen Sommer durch Hochwasser und Murgänge stark in Mitleidenschaft gezogen. Dienststellenleiter Walter Stramitzer, ein gebürtiger Wiener, ist seit 13 Jahren mit den Agenden der Lokalbahn betraut. 1898 wurde die Pinzgauer Lokalbahn als klassische Talerschließungs- und Privatbahn umgesetzt. „Rund zwei Drittel der Bahn wurden auf der Dammkrone des Hochwasserschutzdammes errichtet, mit dem Vorteil, dass man keinen eigenen Grund benötigte und die Infrastruktur mitnutzen konnte. Heute würde man von einer Win-Win-Situation sprechen – ein Umstand, der sich im Laufe der Zeit leider nicht bewahrheitet hat“, so Stramitzer. Er weist darauf hin, dass die Lokalbahn, ebenso wie Landwirte und manchmal leider auch Hausbesitzer, immer als erste von Hochwasser und Muren betroffen seien.

 

Projektleiter Thomas Oberkalmsteiner (links) und Bahnmeister Anton Steiner Ende des Jahres 2020 bei der neu errichteten Haltestelle „Tischlerhäusl“ in Zell am See. Foto: Franz Reifmüller

 

Seit 1. Juli 2008 ist das Land Salzburg Eigentümerin der Bahn. Die Salzburg AG fungiert als Betreiberin und ist somit auch für die Instandhaltung der Infrastruktur verantwortlich. Nach dem Hochwasser 2005 wurde die Bahn im Einklang mit dem damals neuen Schutzdamm neu trassiert. „2009/2010 ging die Bahn auf der gesamten Länge in Betrieb – mit zeitgemäßen Fahrzeugen im Stundentakt von Zell am See bis Krimml. Die Geschwindigkeit wurde auf 80 km/h erhöht.“ Walter Stramitzer bezeichnet die Pinzgauer Lokalbahn als „zuverlässige Regionalverkehrsachse“. Die Fahrgastzahlen haben sich seit 2008 vervierfacht – auf knapp über 1 Million Fahrgäste im Jahr 2019. Der Dienststellenleiter erinnert sich noch genau an das Hochwasser am 31. Juli 2014. „Rund sieben Kilometer der Strecke wurden, verteilt auf etwa zwei Drittel der Gesamtstrecke, zerstört. Binnen drei Monaten wurde die Strecke wieder aufgebaut.“

Von 2014 bis 2019 konnten die Schutzsysteme immer wieder verbessert und die Bahn weiter attraktiviert werden. „Die Zukunft unserer Bahn sehen wir nicht mehr im Dieselantrieb. Wir denken eine klassische Elektrifizierung mit Oberleitungen an. Es gibt dazu bereits Vorbereitungen und Studien. 2020 traf uns natürlich die Corona-Pandemie massiv. Die Lockdowns und die Reisebeschränkungen, aber auch andere Umstände führten zu einem Einbruch bei den Fahrgastzahlen.“

 

Ein Waggon der Pinzgauer Lokalbahn am Bahnhof Krimml nach den Starkniederschlägen Mitte August 2021. Foto: Walter Stramitzer

 

Als am 17. und 18. Juli 2021 das Hochwasser an der Salzach und ihren Zubringern kam, war die Pinzgauer Lokalbahn wieder massiv betroffen. „Ein derartig starkes Hochwasser ist bei uns nicht aktenkundig. In Mittersill stieg der Pegelstand der Salzach 24 Stunden lang über 5,8 Meter. Brücken und Schutzsysteme stießen an ihre Grenzen“, berichtet Stramitzer. In einem Abschnitt von 38 km der 53 km langen Strecke von Zell am See nach Krimml wurden 20 km beschädigt, sechs davon schwer. „Mitte August 2021 kamen dann auch noch die drei Murgänge in Krimml bzw. Wald im Pinzgau hinzu. Der gesamte Bahnhof Krimml in der Gemeinde Wald wurde vollständig zerstört. In den 123 Jahren Geschichte der Pinzgaubahn ist in diesem Bereich noch nie etwas passiert“, blickt der Dienststellenleiter auf die dramatischen Naturereignisse zurück.

Derzeit wird die Pinzgauer Lokalbahn von Zell am See bis Niedernsill mit Zügen geführt, vom Bahnhof Niedernsill bis zum Bahnhof Krimml in Wald ist ein Schienenersatzverkehr eingerichtet. „Wir sind in den kommenden Monaten mit Abstimmungen, Planungen, Aufräumungs- und Abtragarbeiten sowie Berechnungen voll ausgelastet, um für das kommende Frühjahr 2022 den Baustart zur verbesserten Wiedererrichtung vorzubereiten und die Pinzgauer Lokalbahn anschließend in Etappen wieder in Betrieb nehmen zu können“, hofft Stramitzer. Wie viele andere sieht auch er das grundlegende Problem im Klimawandel und dessen Folgen begründet.

 

Walter Stramitzer; „In der Region – vor allem auch bei den BürgermeisterInnen – orte ich einen starken Willen, die Pinzgauer Lokalbahn nicht nur wiederaufzubauen, sondern in Zukunft auch weitere Optimierungen durchzuführen.“ Foto: Osttirol heute/Mühlburger

 

„Wir als Bahnbetreiber können nur in unserem Bereich unsere Hausaufgaben machen und die Situation durch bauliche Maßnahmen verbessern. Ich würde mir wünschen, dass neben den Verbesserungsmaßnahmen in Bezug auf den Hochwasserschutz im Zuge des Wiederaufbaues auch in die Elektrifizierung und in die Erneuerung des Fuhrparks investiert wird.“ Der Dienststellenleiter ortet in der Region einen starken Willen, die Pinzgauer Lokalbahn nicht nur wiederaufzubauen und zu erhalten, sondern auch Optimierungen zu realisieren. „Vielleicht ergibt sich sogar die Möglichkeit einer Verlängerung der Bahn bis hin zum Ausflugsziel Krimmler Wasserfälle.“

 

Text: Raimund Mühlburger

02. Oktober 2021 um