Jubiläum St. Pöltner Hütte: Hundert Jahre wechselvolle Geschichte

Am 3. August 1922 wurde das Schutzhaus eröffnet. 100 Jahre später feierten Vertreter aus Mittersill und Matrei i.O. das Jubiläum der Alpenvereinshütte auf 2.481 Metern Seehöhe.

Die St. Pöltner Hütte ist die einzige Schutzhütte im Gemeindegebiet der Oberpinzgauer Stadt Mittersill und liegt an der Landesgrenze Salzburg/Tirol. Über die wechselvolle Geschichte dieser Alpenvereinshütte weiß Walter Reifmüller viel zu erzählen. Der heute 86-Jährige war von 1973 bis 1993 Bürgermeister von Mittersill und hat als langjähriger Obmann des örtlichen Museumsvereins viele Fakten, Unterlagen und Fotos auch zur Geschichte dieses Schutzhauses gesammelt und aufbewahrt.

„Die St. Pöltner Hütte liegt zwar zur Gänze auf Mittersiller Gemeindegebiet, aber exakt an der Grenze zu Matrei in Osttirol. Aus diesem Grund stellt die Hütte auch eine wichtige Verbindung zu unseren Osttiroler Nachbarn dar. Ich selbst habe früher mit meiner Frau und meinem Sohn im Sommer immer gerne einige Ferientage auf der Hütte verbracht und von dort aus Bergwanderungen, insbesondere auch im Venedigergebiet, unternommen“, erzählt der Mittersiller.

 

Die St. Pöltner Hütte im Jahr 1922. Foto: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

Da das Schutzhaus hoch über dem Felbertauern auch immer wieder mit Schwierigkeiten in Hinsicht auf die Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu kämpfen hatte, stand Walter Reifmüller natürlich in seiner Funktion als Bürgermeister immer wieder in Kontakt mit der Hütten besitzenden Sektion St. Pölten.

„Über die Jahre entwickelte sich eine enge Freundschaft mit der Alpenvereinssektion“, sagt er und verweist auf die mehr als interessante Vorgeschichte des Hüttenbaus. „Der Vorstand der 1895 gegründeten Sektion St. Pölten des deutschen und österreichischen Alpenvereins stellte Anfang des 20. Jahrhunderts fest, dass zwischen der Glockner- und Venedigergruppe keine Wegverbindung vorhanden war und auch eine große Unterkunftslücke bestand. 1906 konzipierte Prof. Hans Donabaum als neu gewählter Obmann den St. Pöltner Ost- und Westweg, der von der Rudolfshütte am Weißsee über den Felbertauern zu den Prager Hütten führt. Er legte auch den Standort für das Schutzhaus auf der Passhöhe fest, die zu dieser Zeit von Matrei und Mittersill aus über den alten Saumweg zu erreichen war.“

 

Lebensmittel und vieles andere mussten früher mit Musik auf die St. Pöltner Hütte transportiert werden. Im Bild ein solcher Transport im Jahre 1932. Es zeigt eine Rast am Plattensee. Rechts im Bild der damalige Hüttenwirt Friedl Steinberger. Muliführer war damals Michael Sollereder. Foto: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

Noch vor dem Hüttenbau wurde mit dem Bau des Ostweges begonnen, der mit Unterstützung von Pionieren 1911 fertiggestellt werden konnte. Mit einer Länge von rund 20 Kilometern und einer Gehzeit von 10 bis 12 Stunden ist er heute der längste Hütten verbindende Höhenweg der Ostalpen. Die Errichtung dieses hochalpinen Steiges gilt als Meisterwerk des alpinen Wegebaus.

Massive Schwierigkeiten beim Hüttenbau

Zeitgleich mit der Fertigstellung des Weges wurde im Jahre 1911 auch mit dem Bau der Hütte auf der Passhöhe des Felbertauern begonnen. Die Fertigstellung war eigentlich für 1913 vorgesehen, was sich jedoch aufgrund verschiedenster Ereignisse als nicht realisierbar erwies. Zunächst wurde mit den Mittersiller Baumeistern Sprenger und Ranggetiner ein Vertrag abgeschlossen, die Hütte im Tal vorgefertigt und das Material mit Pferden und Trägern bis auf 1.600 Meter Seehöhe transportiert. Als aber der beauftragte Bauunternehmer Sprenger große Geldvorschüsse erhielt, verschwand er aus Mittersill – und die Firma wurde gepfändet.

 

Die Hüttenwirtsfamilie Steinberger im Jahr 1932. Foto: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

„Ein Weitertransport der Hüttenteile war somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich. 1913 starteten zwar drei italienische Bauarbeiter mit den schwierigen Fundierungsarbeiten, jedoch verhängte das zuständige Bezirksgericht auf Betreiben der Gläubiger die Pfändung sämtlicher Baubestandsteile. Dies führte zu einem Baustopp und Prozess, der 1914 mit einem Vergleich endete“, weiß Walter Reifmüller aus der Chronik zu berichten. Die Sektion St. Pölten hatte bis dahin bereits weit über 10.000 Kronen für Material- und Prozesskosten investiert. Den weiteren Ausbau verhinderte der inzwischen ausgebrochene Erste Weltkrieg. Zwei Jahre nach Kriegsende, 1920, waren die Baukosten auf inzwischen 70.000 Kronen angestiegen.

„Nach Sicherung der Finanzierung begann schließlich der Weiterbau, der wie ein Mühlstein am Hals der Sektion hing und diese sehr belastete. Erst 1922 konnte die St. Pöltner Hütte schließlich feierlich eröffnet werden.“

 

Das Hüttenteam um Wirt Reinhold Hofmann im Sommer 2022. Foto: Norbert Lang

 

Hüttenwirte & Hüttenpächter

In der 100-jährigen Geschichte der St. Pöltner Hütte stechen zwei Hüttenwirte besonders hervor: Der Mittersiller Bergführer Friedl Steinberger und seine Frau Anna bewirtschafteten das Schutzhaus am Felbertauern ab 1923. 1934 wurde Friedl Steinberger Opfer eines Raubmordes (siehe unten). Seine Witwe übernahm in der Folge die Bewirtschaftung und führte diese auch während des Zweiten Weltkrieges fort. Erst 1951 beendete sie nach 28 Jahren ihre Tätigkeit. Insgesamt 40 Jahre war später der im niederösterreichischen Voralpenland aufgewachsene Helmut Strohmaier, unterstützt von seiner Frau Gitta, Hüttenwirt. Er hatte sich 1968 beworben, als die Sektion einen neuen Pächter für die Hütte suchte. Heute ist, seit mittlerweile zwölf Jahren, Reinhold Hofmann, ein Berufsschullehrer aus Südtirol, Wirt der St. Pöltner Hütte.

 

Die Karl-Fürst-Hütte – in Erinnerung an Prof. Karl Fürst, ein Opfer des Raubmordes im Jahre 1934. Foto: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

Wegbau und Errichtung der Karl-Fürst-Hütte

1925 wurde der St. Pöltner Westweg bis zum Viltragenkees im Innergschlöß angelegt. Die Fortsetzung des Wegbaues bis zu den Prager Hütten übernahm die Sektion Prag. Aufgrund der weiten Distanz zwischen der St. Pöltner Hütte und der Rudolfshütte errichtete die Sektion St. Pölten 1937 am Ostweg unterhalb der „Weiten Scharte“ auf 2.696 Metern Seehöhe eine offene Unterstandshütte.

Zuvor musste im Landecktal auf Osttiroler Seite ein Zugangsweg geschaffen werden. „Dabei half auch die Jungmannschaft der Sektion St. Pölten mit. Am Aufbau der Unterstandshütte war neben Mittersiller Handwerkern auch der Tischler Toni Arnsteiner – der spätere Blizzard-Chef – beteiligt. Benannt wurde die Hütte nach Karl Fürst, dem Jugendführer der Sektion St. Pölten, der 1934, wie Hüttenwirt Friedl Steinberger, Opfer eines Raubmordes wurde. Am 29. August 1937 konnte die Karl-Fürst-Hütte eröffnet werden.“

 

Rund 150 Bergbegeisterte nahmen an der Jubiläumsfeier im heurigen Sommer teil. Foto: Norbert Lang

 

Jubiläumsfeier am 6. August 2022

Gleichzeitig mit dem 100-jährigen Hüttenjubiläum wurde Anfang August 2022 hoch über dem Felbertauern auch das Jubiläum „70 Jahre Tauernkreuz“ gefeiert. Der Kameradschaftsbund Mittersill hatte das so genannte „Heimkehrerkreuz“ 1952 am Tauernübergang installiert. Hier zelebrierte Pater Paulus am 6. August dieses Jahres eine Bergmesse. Die Böhmische Kapelle aus Huben in Osttirol umrahmte den Gottesdienst musikalisch.

In Vertretung des Vorsitzenden Christian Gebath konnte Dr. Friedrich Striberny, Ehrenvorsitzender der Sektion St. Pölten, zahlreiche Vertreter des Alpenvereins, der Bergrettungs-Ortsstellen Mittersill und Matrei, des Tourismusverbandes Osttirol und viele mit dem Schutzhaus am Felbertauern verbundene Pinzgauer und Osttiroler begrüßen. „Einen besonderen Willkommensgruß entbot er auch Toni Manzl, dem Prokuristen der Firma Empl Bau, die seit mehr als 50 Jahren alle Um- und Ausbauarbeiten auf der Hütte durchführt. Anschließend gab Friedrich Striberny einen kurzen Abriss über die wechselvolle Geschichte des Schutzhauses und stellte die von ihm verfasste Festschrift vor“, so Walter Reifmüller, der den Feierlichkeiten
selbst beiwohnte.

 

Der Vorstand der Sektion St. Pölten und Ehrengäste bei der 100-Jahr-Feier im August 2022. Rechts im Bild Alt-Bgm. Walter Reifmüller

 

Für die rund 150 Gäste hatten Hüttenwirt Reinhold Hofmann und sein Team ein vorzügliches Festessen vorbereitet. „Der Wettergott war uns an diesem Tag hold, und so konnte das Essen im Freien eingenommen werden, nachdem die Plätze in der Hütte nicht mehr ausreichten. Der gesellige Ausklang mit Musik, Gesang und Unterhaltung zog sich bis in den späten Nachmittag hin“, freut sich der ehemalige Mittersiller Bürgermeister über das gelungene Jubiläumsfest.

Walter Reifmüller wurde übrigens im Vorfeld der Jubiläumsfeier für die langjährige Förderung zur Erhaltung und den Ausbau des Schutzhauses mit der Ehrenmitgliedschaft der Sektion St. Pölten ausgezeichnet. Diese wurde auch Baumeister Franz Manzl von der Firma Empl Bau in Würdigung seiner Verdienste für die Erhaltung sowie den Um- und Ausbau der St. Pöltner Hütte zuteil.

 

Lokalaugenschein der Gerichtskommission nach dem Raubmord. Foto: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

Das dunkelste Kapitel in der Geschichte der St. Pöltner Hütte:
Der Doppelraubmord vom 22. August 1934

Das Mittersiller Ehepaar Friedl und Anna Steinberger bewirtschaftete bereits elf Jahre die St. Pöltner Hütte, als es am 22. August 1934 zu einem Doppelraubmord im Schutzhaus am Felbertauern kam. Die Täter waren laut Chronik des Gendarmeriepostens Mittersill die beiden arbeitslosen Hilfsarbeiter aus der Steiermark, Willi Bendinger (geboren am 26.6.1912 in Kapfenberg) und Leo Egger (geb. am 2.4.1918 in Mitterndorf). Der 64-jährige Hüttenwirt wurde durch Pistolenschüsse in der Küche tödlich verletzt. Ebenfalls in der Küche befand sich zu diesem Zeitpunkt der erst 24-jährige Prof. Karl Fürst, Mittelschullehrer und Jugendführer der Sektion St. Pölten. Er wurde durch einen Bauchschuss getroffen und erlag in der Nacht auf den 24. August 1934 im Krankenhaus Schwarzach seinen Verletzungen.

 

Hüttenwirt Friedl Steinberger (links) und Prof. Karl Fürst, Jugendführer der Sektion St. Pölten, wurden Opfer des Raubmordes. Fotos: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

Im Gastzimmer wurden zwei weitere Personen verletzt: Walter Laminger, Versicherungsbeamter aus der Stadt Salzburg, durch einen Oberschenkeldurchschuss und Erwin Niedermann, Student aus Salzburg-Maxglan, durch einen Streifschuss am Kopf. Die 18-jährige Hüttenkellnerin und Augenzeugin Berta Steger aus Mittersill lief nach der Tat zum Matreier Tauernhaus. Von dort aus wurde der Gendarmerieposten Matrei i.O. verständigt, der die Meldung telefonisch an den Gendarmerieposten Mittersill weiterleitete.

Die beiden Täter, deren Beute lediglich 125 Schilling und zwei Eispickel umfasste, konnten durch die rasche Verständigung der Gendarmerie und die gute Personenbeschreibung schon etwas mehr als vier Stunden nach der Tat in Mittersill im Bereich des Bildhauerhauses von Revierinspektor Josef Flegel verhaftet werden. Sieben Tage nach der Tat wurden sie vom Bezirksgericht Mittersill zum Standgericht nach Wien überstellt. Einen Tag später wurde bereits das Urteil verkündet: Der 22-jährige Willibald Bendinger wurde zum Tod durch Strang verurteilt und noch am selben Tag gegen 17.00 Uhr hingerichtet. Der erst 16-jährige Leo Egger fasste eine Haftstrafe von 9,5 Jahren aus.

 

Am 24. August 1984 – 50 Jahre nach dem Raubmord – wurde im Bereich der St. Pöltner Hütte eine Gedenktafel angebracht. Foto: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

50 Jahre nach dem Raubmord, am 24. August 1984, wurde beim Glockenturm neben der St. Pöltner Hütte eine Gedenktafel angebracht. Der Feier wohnten unter anderem Walter Laminger, der beim Raubüberfall einen Oberschenkeldurchschuss erlitt, Augenzeugin und Hüttenkellnerin Berta Steger und der damalige Bürgermeister Walter Reifmüller bei.

 

Der Grabstein von Prof. Karl Fürst wurde nach Auflassung des Grabes beim Felberturm-Museum aufgestellt. Foto: Sammlung Museumsverein Mittersill

 

Nach Auflassung des Grabes von Karl Fürst am Ortsfriedhof von Mittersill wurde der Grabstein 2002 auf Veranlassung des Museumsvereins im Bereich des Felberturms aufgestellt. Bis kurz vor ihrem Ableben im Alter von 93 Jahren besuchte Prof. Annemarie Matt, die Braut von Karl Fürst, regelmäßig das Grab in Mittersill.

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Sammlung Museumsverein Mittersill, Ingemar Wibmer, Norbert Lang, Walter Reifmüller

25. November 2022 um