Die Krise als Chance? Harter Prüfstein für Osttirols Tourismus

Wir sprachen mit TVBO-Obmann Franz Theurl darüber, wie man in Osttirol den drohenden Einbußen entgegenarbeiten will und worauf man bei der Winterkampagne besonders setzt.

Noch zehren Osttirols Tourismusbetriebe von der Sommersaison 2020, die im Bezirk Lienz, entgegen aller ursprünglichen Befürchtungen, positiv verlaufen ist. „Ende Oktober wird unser Bezirk als die Tiroler Tourismusregion über die Ziellinie gehen“, fasst TVBO-Obmann Franz Theurl die trotz Corona-Pandemie erfreulichen Nächtigungszahlen zusammen. Die vielerorts gehegten Erwartungen, auch im Winter 2020/2021 ähnlich punkten zu können, wurden zuletzt durch die deutsche Reisewarnung für ganz Tirol deutlich gedämpft. Wie man im Bezirk Lienz den drohenden Einbußen entgegenarbeiten will, worauf man bei der Winterkampagne besonders setzt und warum in der aktuellen Krise auch eine Chance für Osttirol liegen kann, wollten wir vom langjährigen Tourismus-Funktionär aus Lienz wissen.

2020 ist wohl ohne Übertreibung ein außergewöhnliches Jahr – auch für den Osttiroler Tourismus. Was ist Ihnen, im Rückblick, besonders in Erinnerung geblieben, wenn Sie an den Beginn der Krise im März denken?

Franz Theurl: Ich glaube, es gab in allen Branchen, auch in der Tourismuswirtschaft, niemanden, der mit dem Lockdown nicht mit Existenzfragen gehadert hat und auch niemanden, der zuvor mit einer derartigen Ausnahmesituation konfrontiert war. Im gesamten Bezirk Lienz machte sich große Unsicherheit breit. Wir im Tourismusverband konnten uns nach der ersten Schockwelle rasch fassen und haben versucht, auf die sich abzeichnende wirtschaftliche Katastrophe zu reagieren. Viele Gespräche im Team und eine intensive Kommunikation sowie ein damit verbundener Informationsaustausch mit den heimischen Betrieben bildeten die Grundlage für unser weiteres Agieren.

Von vorneherein war klar, dass wir das Hauptgewicht unserer Marketingaktivitäten auf den österreichischen Markt legen müssen. Den bereits zuvor großen Anteil an heimischen Gästen und unseren außergewöhnlich schönen und großen „Naturraum Osttirol“ sahen wir als Stärken an, auf die wir aufbauen konnten. Der Osttiroler Adler, den wir schon während der Lockdown-Phase in TV-Spots über die Fernsehschirme „fliegen“ ließen, erreichte zeitweise im ORF im Vorfeld von ZIB 1 und 2 über zwei Millionen Zuseher. Rasch zeichnete sich ab, dass die Sehnsucht der Menschen nach Erholung in freier Natur stieg und dass wir gerade hier punkten können. Die steigende Nachfrage nach unserer Region innerhalb Österreichs und die rechtzeitige Reisefreigabe in Deutschland stimmte uns dann bereits zu Beginn der Sommersaison vorsichtig optimistisch, und nun gegen Ende können wir mit Freude feststellen, dass unsere Erwartungen bei weitem übertroffen wurden. Einige Betriebe sprechen sogar vom besten Sommer aller Zeiten. Natürlich mussten andere Einbußen hinnehmen, was auf die bisherige Zielmarktgewichtung oder auf den Bustourismus zurückzuführen ist.

Der Bezirk Lienz lag bei den Nächtigungszahlen im Sommer weit über dem Tiroler Durchschnitt. Kann man sagen, dass Osttirols Tourismus die Krise bisher gut durchtaucht hat?

Franz Theurl: Unser Bezirk wird Ende Oktober als die Tiroler Sommerregion über die Ziellinie gehen. Dies manifestiert sich nicht nur in absoluten Nächtigungszahlen, sondern auch in der Wertschöpfung und in der damit verbundenen Auslastung der Betriebe. Zu den dafür ausschlaggebenden Faktoren gehören der ungebrochene Trend hin zu Qualität, die hervorragende Kulinarik, die Gastfreundschaft und die Authentizität Osttirols. Hinzu
kommt, dass uns ein deutliches Mehr an Gästen aus Österreich geholfen hat, die Sommersaison zu einem guten Ende zu bringen. Wenngleich es unterm Strich etwas weniger Nächtigungen waren als im Rekordsommer des Vorjahres, so konnten wir doch eine weit größere Ausgabefreudigkeit der Gäste feststellen, was sich in den Qualitätsbetrieben mit Umsatzzuwächsen und auch im Lienzer Handel positiv ausgewirkt hat. Ich glaube, dass wir hier in Osttirol mit einem leicht blau gefärbten Auge davongekommen sind.

Gab es Unterkunftsformen, die besonders gut abgeschnitten haben?

Franz Theurl: Generell muss man festhalten, dass all jene Angebotsgruppen reüssieren konnten, die eine entsprechende Qualität bieten. Insgesamt weist Osttirol zwischenzeitlich – vom „Urlaub am Bauernhof“ über die „Osttiroler Herzlichkeit“ bis hin zu den Hotelbetrieben – einen Top-Beherbergungsstandard auf. Trotzdem müssen wir weiter daran arbeiten, die Anzahl der Qualitätsbetten massiv auszubauen.

Gab es hinsichtlich der Nächtigungszahlen regionale Unterschiede?

Franz Theurl: Ja, wobei diese mit der bisherigen Marktgewichtung zusammenhängen. So musste beispielsweise das Osttiroler Pustertal einen merklichen Einbruch bei den italienischen Gästen hinnehmen. Weiters waren auch jene Betriebe, die stark auf den Bustourismus setzen, von Nächtigungsrückgängen betroffen. Insgesamt kann man aber feststellen, dass gerade Osttirols Seitentäler mit Qualitätsbetrieben eine zufriedenstellende Bilanz ziehen können.

Wie fiel die Frequenz bei den heimischen Bergbahnen aus?

Franz Theurl: Die Bergbahngesellschaften in Osttirol konnten sehr gute Frequenzen erzielen, wobei in Lienz und auch in Obertilliach ein merkliches Plus gegenüber dem Vorjahr verzeichnet werden konnte. Hier haben sich auch die Investitionen in die Freizeitanlagen entsprechend ausgewirkt.

 

Die Sehnsucht nach unberührter Natur und echter Gastfreundschaft ist infolge der Corona-Krise noch größer geworden. Im Sommer 2020 konnte die Urlaubsdestination Osttirol besonders auch bei inländischen Gästen punkten. Foto: Martin Lugger

 

Welche Gästegruppen waren besonders wichtig?

Franz Theurl: In diesem Sommer konnten wir speziell bei den österreichischen Gästen punkten und den Anteil an inländischen Urlaubern gegenüber dem Vorjahr sogar um 30 Prozent steigern, wobei es sich hier im Schnitt um ein sehr zahlungskräftiges Publikum handelte. Trotz Corona-Krise haben aber auch die Gäste aus Deutschland unsere Hoffnungen erfüllt, wenngleich wir, gegenüber den Zahlen aus 2019, insgesamt einen Einbruch von 25 Prozent hinnehmen mussten. Stärker sind die Nächtigungsrückgänge bei den Gästen aus Italien, den Benelux-Staaten und aus sonstigen Herkunftsmärkten ausgefallen.

Welche „Lehren“ kann man aus dieser Entwicklung prinzipiell für die Zukunft ziehen?

Franz Theurl: Für den bevorstehenden Winter werden wir die Marketingmaßnahmen sehr stark auf Österreich auslegen und frühzeitig damit starten. Dies hat sich ja auch schon im Sommer sehr bewährt. Gleichzeitig dürfen wir natürlich auch den sehr wichtigen Herkunftsmarkt Deutschland nicht aus den Augen verlieren. Die aktuelle Situation mit der deutschen Reisewarnung für ganz Tirol stellt uns natürlich alle vor große Herausforderungen.

Bevor wir näher darauf eingehen, noch eine Frage zur abgelaufenen Sommersaison: Was waren die Highlights, die man zuletzt in Hinsicht auf die touristische Infrastruktur gesetzt hat?

Franz Theurl: Wir konnten in diesem Sommer ein gutes Stück mehr an Freizeiterlebnissen bieten. Beispielsweise hat der „Iseltrail“ unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Zu echten Besucherhotspots haben sich der Bike-Park am Hochstein, der Familienpark am Zettersfeld sowie die
Kindermeile in Obertilliach entwickelt. In St. Jakob konnten wir mit dem Familienpark „Ochsenlacke“ überzeugen, und mit der Burg Heinfels wurde ein besonderes kulturelles Highlight geschaffen. Aufbauend auf diesen Erfolgen werden wir natürlich auch zukünftig darum bemüht sein, attraktive Projekte zu realisieren. Den Ausbau des Radweges im Iseltal sehe ich als Gebot der Stunde. Die Zahl der Rad fahrenden Gäste, besonders im E-Bikebereich, wird weiterhin deutlich zunehmen, weshalb wir unser Radwegenetz noch stärker erweitern müssen. Konkret geht es beim Iselradweg um eine Trassenführung, die die Iseltrail-Wanderer und die Radfahrer trennt. Dazu gibt es bereits konstruktive Ansätze.

 

Auf die kommende Wintersaison hat sich der Tourismusverband laut Franz Theurl sehr gut vorbereitet. Man will sich jetzt besonders auf den stabilen Markt Österreich und, ungeachtet der Lage, auch auf den Hauptherkunftsmarkt Deutschland konzentrieren. Man hofft, dass die deutsche Reisewarnung bald aufgehoben wird. Dann soll eine gezielte und schlagkräftige Winterkampagne ausgerollt werden. Foto: Berg im Bild

 

Nun gibt es angesichts steigender Corona-Zahlen erneut Einschränkungen und, was insbesondere für Osttirol bitter ist, eine Reisewarnung im so wichtigen Herkunftsmarkt Deutschland. Wie schwer wiegt diese Entwicklung?

Franz Theurl: Die von Deutschland ausgesprochene Reisewarnung für ganz Tirol hat uns einen großen Rückschlag beschert. Dass Osttirol als grün gefärbte Region mit geringen Infektionszahlen in diese Entscheidung des Auswärtigen Amtes miteinbezogen wurde, trifft uns nicht nur hart, sondern ist für uns, als zweiten Landesteil, fernab von unserem Mutterland, überhaupt nicht nachvollziehbar. Die unmittelbare Folge der Reisewarnung war eine noch nie dagewesene Stornowelle der deutschen Gäste, wobei diese nicht nur den Spätherbst betrifft, sondern ganz besonders auch den bevorstehenden Winter. Hier gilt es nun mit aller Kraft gegenzuwirken. Wir arbeiten aktuell an verschiedenen Konzepten und Präventionsmaßnahmen, um sprichwörtlich „noch zu retten, was zu retten ist.“

Was heißt dies konkret?

Franz Theurl: Wir haben uns auf die Wintersaison sehr gut vorbereitet und wollen uns jetzt besonders auf den stabilen Markt Österreich und, ungeachtet der Lage, auch auf unseren Hauptherkunftsmarkt Deutschland konzentrieren. Wir hoffen, dass uns trotz der widrigen Vorzeichen einiges
gelingt. Es gilt, in mehrfacher Hinsicht zu reagieren. Ein wichtiger Faktor wird es sein, unseren Bezirk so rasch wie möglich aus der deutschen Reisewarnung herauszureklamieren. Außerdem sollte eine verstärkte Kommunikation mit unseren vielen Stammgästen erfolgen, wozu auch gehört, dass die Urlauber von ihren Beherbergungsbetrieben erfahren, dass der Bezirk Lienz angesichts der geringen Infektionszahlen kein Risikogebiet ist. Sollte die Reisewarnung, was wir alle hoffen, aufgehoben werden, dann müssen wir eine gezielte und schlagkräftige Kampagne ausrollen.

Stichwort Corona-Tests: Wie gut wurden die Testangebote für die MitarbeiterInnen in den Tourismusbetrieben angenommen?

Franz Theurl: Wir sind in Osttirol in der glücklichen Lage, dass wir mit dem Labor Dr. Walder eine professionelle Einrichtung zur Verfügung haben. Wir waren so auch die ersten, die zu Beginn der Sommersaison eine Testung für die Tourismus-MitarbeiterInnen im gesamten Bezirk organisiert und finanziert haben. Seither wird regelmäßig getestet und dies funktioniert durch die Kooperation der Betriebe sehr gut. Ich hoffe, im kommenden Winter können wir es ähnlich halten.

Wie steht es mit der Verfügbarkeit von raschen Tests für Urlauber?

Franz Theurl: Unsere Gäste können sich derzeit in der Dolomitenhalle in Lienz und in Teststellen in den Tälern testen lassen. Um die persönlichen Daten erfassen zu können, ist dabei die Mitnahme eines Lichtbildausweises erforderlich. Die Auswertung der Abstriche übernimmt das Labor von Dr. Gernot Walder. Bei einem negativen Ergebnis wird der Befund binnen 24 Stunden per SMS an den Gast übermittelt. Dieser kann das Mail am Handy bei der Grenzkontrolle vorzeigen bzw. sich den Befund vorher im Beherbergungsbetrieb in Osttirol ausdrucken lassen.

Wie haben die Gäste bislang darauf reagiert?

Franz Theurl: Diese Möglichkeit wird von den Urlaubern als auch von den Betrieben sehr gut angenommen. Für die Gäste handelt es sich um eine unkomplizierte und rasche Testmöglichkeit ohne lange Wartezeiten oder etwaige Kosten.

Sind Sie als Tourismusobmann mit den Regeln, die die Bundespolitik für den Winter ausgegeben hat, zufrieden?

Franz Theurl: Insgesamt betrachtet kann man, um es vorsichtig auszudrücken, sagen, dass die Bestimmungen mit den Erwartungen und realen Bedürfnissen der Tourismustreibenden nicht immer übereinstimmen. Meiner Einschätzung nach fehlt es bei den Entscheidungsträgern in den Ministerien nicht selten an touristischer Kompetenz und an Einfühlungsvermögen. Entscheidungen und Verordnungen werden teilweise zu schnell und zu wenig durchdacht ausgerollt.

Was glauben Sie abschließend: Wird die Corona-Pandemie den Tourismus nachhaltig verändern und wo könnte in dieser Krise auch eine Chance für Osttirol liegen?

Franz Theurl: Nicht nur als Touristiker bin ich davon überzeugt, dass man, wenn man richtig reagiert, aus jeder Krise auch Vorteile für die Zukunft ziehen kann. Schon im heurigen Sommer konnten wir uns über ein deutliches Mehr an inländischen Gästen freuen. Wenn wir davon ausgehen, dass Fernreisen wohl noch längere Zeit rückläufig bleiben werden, ist davon auszugehen, dass uns dieser Trend auch weiterhin Gäste bringen wird, die bisher einen Inlandsurlaub nicht in Betracht gezogen haben. Hinzu kommt, dass Osttirol nicht zu den „überlaufenen“ Destinationen zählt und dass wir mit einer weitgehend unberührten Natur überzeugen können. Dies werden wir zukünftig noch stärker herausstreichen!

 

Text: Redaktion, Fotos: Osttirol heute, Martin Lugger, Berg im Bild

09. Oktober 2020 um