„6 Bauernhäuser verlieren pro Tag ihre Nutzung!“

Dass Leerstand in der Landwirtschaft ein sehr aktuelles und emotionsgeladenes Thema ist, wurde bei der 6. Leerstandskonferenz Mitte Oktober in Innervillgraten schnell klar.

Rund 200 Personen aus Österreich, Südtirol und Deutschland, die sich für Strategien gegen Leerstand, für Umnutzung und Nachverdichtung interessieren oder selbst Betroffene als „Leerstandsbesitzer“ sind, nahmen an der 6. Leerstandskonferenz, die vom 11. bis 13. Oktober in Innervillgraten über die Bühne ging, teil. Die TeilnehmerInnen hörten sich Vorträge von 30 ReferentInnen an und nahmen an Diskussionen und Workshops teil. Sie tauchten damit intensiv in das Thema ein, tauschten sich mit Praktikern und Theoretikern aus und nahmen schließlich viele motivierende Lösungsansätze mit nach Hause.

 

Das Organisationsteam der 6. Leerstandskonferenz

 

In Europa schließen jährlich rund 350.000 Bauernhöfe, so Robert Schabus, mit dessen Film „Bauer unser“ die Konferenz eröffnet wurde. Gerlind Weber, Professorin für Raumplanung erklärte, dass in Österreich pro Tag sechs Bauernhöfe ihre Nutzung verlieren. Die Konferenz diente neben dem Aufzeigen von Defiziten und Herausforderungen vor allem dazu, Mut zu machen und die Scheu vor innovativen Lösungen abzubauen. Dazu gehöre auch eine neue Gesprächskultur, so Soziologieprofessor Franz Höllinger: „Das soziale Klima auf den Höfen hat sich stark verbessert. Es wird viel mehr gesprochen und ausdiskutiert als früher. Die autokratische Struktur hat stark abgenommen, und man klebt heute nicht mehr durchgehend gemeinsam in der Stube aufeinander.“

 

Neben vielen Impulsen vermittelte die Konferenz eine Fülle an neuen Projektideen und warf brisante Fragen auf. „Oft wird die Hofübergabe viel zu spät in Angriff genommen. Da sind wir Bauern dann auch selbst verantwortlich für den Leerstand“, so der Obertilliacher Gast- und Landwirt Josef Lugger. Der Zukunftsforscher Peter Zellmann stellte die These in den Raum, dass Tourismus der Landwirtschaft in Zukunft eine optimale Grundlage für Weiterentwicklung liefern könne. Dieses Potenzial beinhalte eine hohe Anzahl an neuen Arbeitsplätzen. „Insbesondere im Service am Hof gibt es Nachholbedarf, vor allem hinsichtlich des Spannungsfeldes, dass die Bauernfamilie nicht unbedingt gerne gleichzeitig Gastgeber und Produzent ist. Man muss nicht immer mit dem Gast frühstücken, obwohl das den meisten sicher gefallen würde“, so Zellmann. „Wir Bauern leisten einen wichtigen Beitrag, damit gestresste Menschen gut Urlaub machen können“, betonte der Innervillgrater Bgm. Josef Lusser.

 

 

Wie die nackten Zahlen über den Verlust der bäuerlichen Betriebe am Land zeigen, ist nicht immer eine landwirtschaftliche Weiternutzung der Höfe möglich. „Die aktive Bekämpfung des Leerstandes liegt uns sehr am Herzen. Wir wollen Häuser, die mit Leben gefüllt sind“, so der Obertilliacher Bgm. Matthias Scherer. Das Wichtigste beim Umbauen von Bauernhöfen sei der Respekt vor dem Altbestand, betonte die Architekturjournalistin Anne Isopp. Walter Hauser vom Bundesdenkmalamt schlug in dieselbe Kerbe: „Umbauen von historischer Bausubstanz ist das Verstehen und Weiterentwickeln von Schichten und nicht das Erzeugen von Fugen. Alt-Neu soll eine Symbiose und kein Kontrast sein“, so Hauser.

 

 

Eine Exkursion führte die TeilnehmerInnen in das Giatla Haus in Kalkstein. Hier reifte schon vor 20 Jahren die Idee, ein leerstehendes Bauernhaus als Teil eines noch intakten Bauernhofes für eine zusätzliche touristische Nutzung des Landwirts umzubauen. Das Giatla Haus gilt nach erfolgreichem Umbau als Vorzeigeprojekt. Entstanden ist hier eine Art „Traumhaus für Urlaub am Bauernhof“. Die faszinierende Kombination aus Alt und Neu kann hier mit allen Sinnen erlebt werden.

 

 

Bereits während der Konferenz wurde mit anwesenden „Leerstandsbesitzern“ intensiv diskutiert und das Fachwissen der ReferentInnen genutzt. Die Organisatoren – der Planungsverband 35, das RMO, das Büro nonconform und der Raumplaner Thomas Kranebitter – ermöglichen in weiterer Folge mindestens drei kostenlose Ideenworkshops zur Nachnutzung landwirtschaftlichen Leerstandes. Bewerben kann man sich bis 30. Oktober 2017 unter www.leerstandskonferenz.at/workshops.html. Das Kennenlernen aller Bewerber findet am 3. November 2017, um 19.30 Uhr, im Gemeindesaal Obertilliach statt. Im Anschluss erfolgt die Auswahl durch eine Jury.

 

 

Text: Raimund Mühlburger, Foto: Lukas Schaller, nonconform/mulina 

25. Oktober 2017 um