Wendelin Ortner und sein „Traum vom Fliegen“

Wenn am 7. September 2019 der Startschuss für den 32. Dolomitenmann fallen wird, dann ist auch wieder Wendelin Ortner als Paragleiter im Team „Wings for Life” mit dabei.

An den 1. Dolomitenmann im Jahre 1988 kann sich der heute 54-Jährige noch genau erinnern: „Mein Bruder Isidor ist im gleichen Jahr bei der ersten Dolomitenrundfahrt mitgeradelt und hat die Ausschreibung zum Dolomitenmann nach Hause mitgebracht. Ohne längere Diskussionen haben er als Radfahrer, mein Bruder Josef als Läufer, Andrä Aichner als Kanute und ich als Paragleiter ein Team gebildet. Seit damals stand ich bisher bei jedem Dolomitenmann am Start, zunächst als Mitglied eines Red Bull-Teams und zuletzt immer für ,Wings for Life‘.“

 

 

Gemeinsam mit seinen Geschwistern ist Wendelin am „Trogerhof“, dem höchst gelegenen Bergbauernhof der Gemeinde Abfaltersbach, aufgewachsen. „Wir waren oft in den Bergen unterwegs, und schon als Kind hatte ich den Traum, ins Tal fliegen zu können. Diese Sehnsucht muss in unserer Familie wohl in den Genen liegen. Mein Großvater hat sich einst, inspiriert von Fotos des deutschen Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal, ein Fluggerät aus Holzlatten und Federn gebaut“, berichtet Wendelin. Nach der Matura am Gymnasium der Franziskaner in Hall studierte der Osttiroler an der BOKU in Wien Forstwirtschaft. Während des Studiums entdeckte er für sich die Faszination Paragleiten und kaufte sich seinen ersten Gleitschirm. „Diese Sportart erlebte Ende der 1980er-Jahre auch in unseren Breiten einen richtigen Boom“, meint er und erklärt, dass Paragleiter damals „nachgebaute Fallschirme“ waren. „Die heutigen Paragleiter, sprich Gleitschirme, sind ein höchst aufwendig zu berechnendes Hightech-Produkt aus beschichtetem Nylon, Dyneema- oder Kevlarleinen. Es gibt sie wahlweise mit sehr einfachem, fehlerverzeihendem Handling, in mitunter fünf verschiedenen Größen, bis hin zu sportlichen Rennmaschinen. Hinzu kommt ein Sitzgurt plus Rettungsschirm, in dem man bequem aufrecht sitzend oder windschutzverkleidet am Rücken liegend Platz nehmen kann. Manche Gurtzeuge können sogar gewendet, gleichzeitig auch als Rucksack verwendet werden. Eine heutige Standardausrüstung wiegt in etwa 15 Kilogramm. Es gibt aber auch Sets, die deutlich unter 5 Kilogramm wiegen.“

Bereits zwei Mal stand Wendelin Ortner beim Dolomitenmann mit dem Red Bull-Team ganz oben am Stockerl, sechs Mal war er bester Paragleiter. Seit einigen Jahren tritt er für „Wings for Life“ an. „Bei diesem Team geht es vordergründig um den guten Zweck und nicht darum, vorne mitzumischen. Das könnten wir auch gar nicht, schließlich sind heute bei anderen Teams viele Sportler mit dabei, die in ihrer Disziplin zur Weltspitze gehören. Meine Teamkollegen sind Benjamin Karl als Biker, Marcel Bloder als Kanute und Christoph Sumann als Läufer.“

 

 

Seit über 20 Jahren ist Wendelin als Fluglehrer  bei der Flugschule Blue Sky in Sillian tätig, unterrichtet Anfänger bis Fortgeschrittene im Paragleiten und führt Tandemflüge durch. Ins Schwärmen kommt der dreifache Familienvater, wenn er von seinen Teilnahmen an Wettbewerben außerhalb seiner Osttiroler Heimat erzählt: „Der Dolomitenmann wurde auch einmal nach Kapstadt exportiert. Für Fernsehaufnahmen durfte ich mit meinem Schirm am Tafelberg starten, während des Bewerbes vom Lion’s Head und Signal Hill. Das war für mich ein unvergessliches Erlebnis, ebenso wie ein Wettbewerb auf Vulcano, einer der Liparischen Inseln im Mittelmeer.“

Beinahe jeden Tag ist der 54-Jährige in luftigen Höhen unterwegs, beruflich wie in seiner Freizeit. Besonders oft startet er von Sillianberg aus, vom Thurntaler oder vom Golzentipp in Obertilliach. Seine Leidenschaft für die Sportart beschreibt er so: „Es ist einfach ein Gefühl von Freiheit, wenn man beim Aufwindfliegen langsam über die Täler gleiten kann. Die Wahl der Route steht einem selbst frei, und man ist auf keinen anderen Menschen angewiesen. Einen größeren Genuss kann ich mir nicht vorstellen!“

 

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Mirja Geh/Red Bull Content, Martin Lugger

11. August 2019 um