Selbsthilfegruppe HPE startet neu durch: Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter

„Darüber reden zu können“ ist ein erster wichtiger Schritt für all jene, die ein Familienmitglied mit einer seelischen Erkrankung möglichst gut begleiten wollen.

Jeder von uns kennt das: Verwandte, Freunde oder Bekannte lassen im Gespräch an ihren Erfahrungen im Zuge eines Arztbesuches, einer Untersuchung oder einer Erkrankung teilhaben – und diese Berichte haben für die/den Zuhörende(n) eine besondere Qualität, schließlich „weiß“ der/die Erzählende nicht nur, wovon sie/er spricht, sondern hat auch das erlebt, was sie/er sagt. Natürlich sind die Informationen nicht objektiv, jedoch voller Details und enthalten Anknüpfungspunkte zu eigenen Erfahrungen. Die/der Zuhörende kann nachfragen, miterleben und für sich selbst lernen.

Auf diesem Prinzip des Erfahrungsaustausches mit direkt Betroffenen fußt auch die Arbeit bzw. das Angebot von Selbsthilfegruppen, die es im Bezirk Lienz seit mittlerweile 18 Jahren gibt. Die „Selbsthilfe Osttirol“ besteht seit 2002, 2009 wurde ein eigener Zweigverein gegründet, der aktuell 50 verschiedene Selbsthilfegruppen unter seinem Dach vereint. Die einzelnen Gruppen widmen sich jeweils spezifischen Themenkreisen und inkludieren Angebote für Erkrankte ebenso wie für Angehörige, Partner und Freunde. Letztere will auch die Selbsthilfegruppe HPE ansprechen, die am 17.9.2020 zum ersten Gruppentreffen unter neuer Leitung einlädt. „Wir als Selbsthilfe-Organisation im Bezirk Lienz sind sehr froh darüber, dass wir Sabine Buchberger für diese Aufgabe gewinnen konnten. Sie verfügt als diplomierte Krankenschwester nicht nur über eine akademische Ausbildung im Bereich psychiatrische Pflege, sondern auch über eine jahrzehntelange Berufserfahrung“, betont dazu Selbsthilfe Osttirol-Geschäftsstellenleiter Wolfgang Rennhofer.

 

Das gesellschaftliche Tabu, nicht über psychische Erkrankungen sprechen zu wollen, zu brechen und seelische Leiden als das zu sehen, was sie sind, nämlich Erkrankungen wie viele andere auch, sehen Selbsthilfe Osttirol-Geschäftsstellenleiter Wolfgang Rennhofer und HPE-Selbsthilfegruppen-Leiterin Sabine Buchberger als eine wichtige Aufgabe für die Zukunft an.

 

Die neue HPE-Gruppenleiterin selbst fasst die Ziele des „Neustarts“ so zusammen: „Ich habe die Gruppe in Nachfolge von Elfriede Schatz übernommen  und lade alle Interessierten herzlich dazu ein, an den Gruppentreffen an jedem dritten Donnerstag im Monat im Schwesternheim direkt neben dem BKH Lienz teilzunehmen. Wir wollen für Angehörige, Partner, Freunde psychisch Erkrankter da sein, ihnen Unterstützung in der Gruppe bei der Suche nach Bewältigungsmöglichkeiten anbieten, ihnen einen geschützten Raum für den Erfahrungsaustausch mit anderen zur Verfügung stellen und für fachkundige Informationen, z.B. im Rahmen von Vorträgen, zu den verschiedenen Krankheitsformen sorgen“.

Das Feld der psychiatrischen Erkrankungen ist, wie Sabine Buchberger erklärt, ein sehr breites und reicht von Depressionen, manisch-depressiven Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen bis hin zu Angst- und Zwangserkrankungen, um nur einige Beispiele zu nennen. „Unabhängig davon, um welche Krankheitsform es sich handelt, allen ist gemein, dass der Alltag mit einem Menschen, der psychisch krank ist, Angehörige, Partner, Freunde und Arbeitskollegen stark fordert. Oft fängt der Leidensweg schon lange vor der Diagnose an. Die Erkrankten verändern sich – manchmal anfangs unbemerkt oder sogar sehr plötzlich. Sie verhalten sich unberechenbar, nicht selten verletzend, oft lethargisch und leiden an Schlaflosigkeit und/oder anderen Symptomen. Sehr häufig ziehen sich Menschen mit seelischen Leiden auch sozial immer mehr zurück. Fragen, was los ist, bleiben unbeantwortet. Die Kommunikation gelingt nicht mehr, Ängste und Unsicherheiten tauchen auf. Ein Teufelskreis kommt in Gang, der das gesamte Beziehungsgeflecht innerhalb einer Familie, aber auch im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz verändert.“

Meist versuchen, so die HPE-Gruppenleiterin, Angehörige den Betroffenen zu helfen oder sie zu motivieren, einen Arzt aufzusuchen. In einigen Fällen ist auch rasche Erste Hilfe notwendig. Doch sehr oft machen die Situationen vor allem sprach- und hilflos. Nicht wenige Angehörige scheitern in ihrem Bemühen, dass ihre psychisch kranken Familienmitglieder oder Partner professionelle Hilfe annehmen. „Manche glauben zudem, selbst schuld an der Entwicklung zu sein oder leiden an der Stigmatisierung, die psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft noch immer anhaftet“, verweist Sabine Buchberger darauf, dass seelische Leiden immer noch ein Tabuthema sind. „So ist auch zu erklären, dass viele Familien mit psychisch Kranken darum bemüht sind, sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen. Die Angst, negativ abgestempelt zu werden, sowie privat und beruflich Nachteile zu erleiden, ist enorm. Die Entwicklung zieht sich oft so lange hin, bis die Partner bzw. Familienmitglieder selbst am Rande der Belastungsgrenze angelangt sind.“

Gerade dann, aber natürlich besser schon lange vorher, ist es, wie Wolfgang Rennhofer einwirft, ratsam, dass sich die Angehörigen selbst Rat suchen, Wissenswertes über die Erkrankung erfahren und lernen, wie man am besten selbst mit dem Erkrankten und der jeweiligen Situation umgeht. „Und dafür bietet die Osttiroler Selbsthilfegruppe HPE sehr gute Voraussetzungen“, hält der Selbsthilfe Osttirol-Geschäftsstellenleiter abschließend fest. „Bescheid zu wissen, macht es leichter, das Erlebte einzuordnen und zu verstehen. Information hilft, wieder Halt zu bekommen und handlungsfähig zu bleiben und der Austausch mit anderen mit ähnlichen Erfahrungen verleiht das Gefühl, mit diesem Schicksal nicht alleine zu sein.“

 

Für die Vereinbarung eines eventuell gewünschten Einzelgespräches steht die akademische Expertin für psychiatrische Pflege, Sabine Buchberger, allen Interessierten unter der Tel.: 0660/6568 576 zur Verfügung. Die Gruppentreffen finden an jedem dritten Donnerstag im Monat im Schwesternheim direkt neben dem BKH Lienz statt. Erster Termin: Donnerstag, 17.9.2020, 18.00 Uhr

Weiterführende Informationen erhält man auch im Büro der Selbsthilfe Osttirol im BKH Lienz, unter der Tel.: 04852/606-290 oder unter der Mail: selbsthilfe-osttirol@kh-lienz.at

 

Text: E. Hilgartner, Fotos: AdobeStock/C. Schüßler, Osttirol heute

15. September 2020 um