LEBENSWELT VILLGRATEN: Neues Buch als Synthese von Literatur und Malerei

Das Buch „Lebenswelt Villgraten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ von Alois Ortner aus Außervillgraten und Robert Perfler aus Anras ist vor Kurzem erschienen.

Auf Basis von zahlreichen Neuentdeckungen aus der künstlerischen Hinterlassenschaft des Malers Ernst Schrom sowie der Schriftstellerin und Volkskundlerin Maria Lang-Reitstätter schufen Alois Ortner und Robert Perfler eine zeithistorische Synthese von Literatur und Malerei. Am Buch  arbeiteten die beiden Pustertaler seit dem Jahr 2014. Der Kunstmaler Ernst Schrom sowie die Schriftstellerin und Ethnologin Maria Lang-Reitstätter besuchten in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts unabhängig voneinander über viele Sommer hinweg das Villgratental und hinterließen ein mittlerweile teils vergessenes, teils in alle Himmelsrichtungen verstreutes Oevre an künstlerischen und literarisch-ethnologischen Dokumenten des soziokulturellen Universums aus dieser Zeit.

 

18. Juli 1939: Außervillgraten, „Gisser Stube“ mit Gisser-Mutter, Foto: Sammlung Ernst Schrom, Museum Schloss Bruck

 

„Durch die glückliche Fügung, dass zahlreiche Werke sowohl aus der künstlerischen Hinterlassenschaft des Malers Ernst Schrom als auch aus jener der Schriftstellerin und Volkskundlerin Maria Lang-Reitstätter neu entdeckt wurden, konnten wir die einzigartige Möglichkeit einer zeithistorischen Synthese von Literatur und Malerei, eines Zusammenspiels volkskundlich-literarischer Beschreibungen und künstlerisch-malerischer Entsprechungen, in Form eines Text-Bildbandes wahrnehmen“, berichten die Herausgeber Alois Ortner und Robert Perfler. Für ihr Projekt konnten die beiden Osttiroler mit dem Biologen und wissenschaftlichen Illustrator Mag. Alois Wilfling auch einen Experten gewinnen, der erstmals die detailgetreuen botanischen Studien Schroms einer fachkundigen Bewertung unterzog und diese in Form einer Publikation zur Verfügung stellte.

 

1. Oktober 1938: Das alte Unterortner Wohnhaus in Außervillgraten, Foto: Sammlung Ernst Schrom, Museum Schloss Bruck

 

Das von Ernst Schrom und Maria Lang-Reitstätter dokumentierte soziale Universum der heute weitgehend verschwundenen vorindustriellen, bäuerlichen Welt zeigt einen durch Seh- und Gehweite begrenzten Lebensraum. Der Hof bildete für die bäuerliche Familie Lebensinhalt und Horizont zugleich – ein Kontrapunkt zum globalisierten Dorf in unserer Gegenwart. „Der Terminus ,Lebenswelt‘ als zentraler Begriff der Phänomenologie Edmund Husserls als ,die menschliche Welt in ihrer vorwissenschaftlichen Selbstverständlichkeit und Erfahrbarkeit in Abgrenzung zur theoretisch bestimmten wissenschaftlichen Weltsicht‘ entwickelte sich zum Leitgedanken und Titel unserer Publikation“, so Robert Perfler.

 

24. Juli 1940: Mitter-Lellkofl und Lungkofl, Außervillgraten, Foto: Sammlung Ernst Schrom, Museum Schloß Bruck

 

„Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung hatten die Werke Schroms und Lang-Reitstätters kaum eine über das ,Ortskundliche‘ hinausgehende Aussagekraft. Heute, über acht Jahrzehnte später, gewinnen sie zunehmend an kulturwissenschaftlicher Bedeutung und gelten als wichtige zeithistorische Dokumente.“ Die umfangreiche Sammlung vieler bekannter Villgrater Malereien Ernst Schroms, eine Monographie aller über das Tal verfassten Abhandlungen Maria Lang-Reitstätters und etliche gemalte Eindrücke ihres Mannes, des Ethnologen Karl Lang, sind Zeugnisse der engen Verbindung dieser Persönlichkeiten zum Villgratental. „Unser Ziel besteht auch darin, sie und ihre Werke einer breiteren Öffentlichkeit bekanntzumachen. Eine kritische biographische Betrachtung und Aufarbeitung sowie darüber hinaus gehende ethnologische und philologische Anmerkungen und Betrachtungen runden das Gesamtwerk ab“, ergänzt Alois Ortner.

 

Maria Lang-Reitstätter (Bildmitte) im Kreis ihrer Schüler, St. Jakob im Rosental 1947, Foto: Franz Grieshofer, Wien

 

Die aktuellen globalen Entwicklungen, soziokulturellen und (land-)wirtschaftlichen Verwerfungen sowie nicht zuletzt rezente Pandemien, aber auch schon zuvor bestehende gesellschaftliche Strömungen machen die beschriebene bäuerliche Subsistenzwirtschaft, regionale wirtschaftliche Kreisläufe, nachhaltige sowie kleinräumige soziale Strukturen des Zusammenhalts und der Nachbarschaftshilfe aktueller denn je. Sie sind heute für viele Menschen – gerade auch in der aktuellen Situation – nachahmenswert. „Die langjährige Arbeit an diesen Themen erschloss uns ungeahnte Einblicke und bisher unbekannte Zusammenhänge. Unzählige Details haben uns inspiriert, überrascht und erfreut!“, betonen die Herausgeber abschließend.

 

„Renner“ Mühle von der Westseite mit Transmissionsanlagen, im Hintergrund der Hof „Rennlahn“, Foto: Privat

 

Die Bergbauern-Mühle

„Der Bergbauer ist selber Müller. Hin und hin an den Bergbächen stehen die kleinen Bauernmühlen, im Blockbau ausgeführt. Am Ronnebach (er fließt eine Stunde weit von der Quelle bis zur Mündung in den Villgrater-Bach und ist kaum zwei Schritte breit) sind nicht weniger als elf Mühlen!
Eine ,Mihle‘ gehört fast immer einigen Bauern miteinander, gewöhnlich dreien oder vieren. Jeder kann mahlen. Meist lernt er es von seinem Vater. Die Mühle und ihre ,Inrichtung‘ ist zum größten Teil selbst gebastelt.
Eine Holzrinne, der ,Wasserhuisch‘, leitet das Wasser eines kleinen Baches zum ,Kumpfrad‘ (oberschlächtigen Mühlrad). Unten im Tal am Villgraterbach muss der Bergbauer einen Augang (Wehr) machen, um das Wasser für die ,Talmühle‘ zu stauen. Der Augang wird mit langen Bäumen gemacht, nicht mit Musln (diese sind nur 4 m lang). Die ,Wiere‘ (Mühlgang), das durch eine gewöhnliche Bretterwand geschaffene Mühlgerinne, leitet das Wasser zum ,Schauflrad‘ (unterschlächtigen Rad).“

Maria Lang-Reitstätter

 

 

Lebenswelt Villgraten

Das knapp 300 Seiten und 250 Abbildungen umfassende Buch wurde auf non-profit Basis erstellt und durch finanzielle Unterstützung der Kulturabteilung des Landes Tirol, der Gemeinde Außervillgraten, des Tourismusverbands Osttirol, der Stadtgemeinde Lienz sowie zahlreicher lokaler Unternehmen mitermöglicht. Bezogen werden kann es ab sofort bei der Villgrater Natur Produkte KG (Innervillgraten, Lienz, Wien und Schwaz), in der Trafik und Postpartner Bergmann/Außervillgraten, in der Raika Innervillgraten, in der Raika Außervillgraten, bei Gamma3/Druckservice in Sillian sowie über die Herausgeber (E-Mail: ortner.lois@gmx.at oder robert.perfler@hotmail.com).

 

Text: Raimund Mühlburger

24. Dezember 2020 um