Vom Gehen, Beten und vom „Fest des Ankommens“

Am 1. Mai strömten weit über 1.500 Wallfahrerinnen und Wallfahrer nach Lavant, um über den Kreuzweg hinauf zur Wallfahrtskirche zu wandern.

Sie alle wollten bei der Hl. Messe und feierlichen Segnung des neuen Pilgerwegs „Hoch und Heilig“ dabei sein, die der Tiroler Bischof Hermann Glettler, begleitet vom Sillianer Dekan Anno Schulte-Herbrüggen und vom Lienzer Dekan Bernhard Kranebitter, zelebrierte und vornahm. Bereits im Vorfeld der vielbesuchten Veranstaltung trafen wir uns mit dem Initiator und Ideengeber des neuen Bergpilgerweges, Dekan Bernhard Kranebitter, und wollten von ihm und von Christine Dittlbacher, einer Lehrgangsleiterin für PilgerbegleiterInnen, wissen, warum das Pilgern heute – in unserer so schnelllebigen Zeit – immer mehr Menschen zu faszinieren scheint.

 

 

200 Kilometer und 13.000 Höhenmeter – das sind nur zwei der Eckdaten des neuen Bergpilgerweges „Hoch und Heilig“, der das Thema Weitwandern in alpiner Bergwelt mit der alten Tradition des Wallfahrens verbinden soll. In neun Tagesetappen, von Lavant über Innichen nach Heiligenblut führend, und immer mit einem religiös bedeutsamen Ort als Etappenpunkt, wollen die Initiatoren die Sehnsucht der Menschen von heute nach Spiritualität ansprechen und dazu einladen, über Berge und Grenzen hinaus sprichwörtlich „nach innen“ zu wandern.

Die feierliche Segnung am 1.5.2018 durch Bischof Glettler stellte den Schlusspunkt einer langen Vorbereitungs- und Ausarbeitungsphase dar. Seit 2015 feilten die Dekanate des Bezirkes Lienz, das Bildungshaus Osttirol, die Gemeinden Innichen, Heiligenblut und Lesachtal sowie der Tourismusverband Osttirol mit Hilfe des EU-Fonds „Interreg Italien-Österreich” an der Realisierung der Pilgerroute, die auf weiten Strecken alten, bereits bestehenden Wallfahrtspfaden folgt.

 

„Pilgern gewinnt in Zeiten der bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben immer mehr an Bedeutung“, streicht Diözese Linz-Mitarbeiterin Christine Dittlbacher einen jener Faktoren heraus, den sie in den Lehrgängen für PilgerbegleiterInnen thematisiert. Von einer Renaissance des Wallfahrens spricht Dekan Bernhard Kranebitter. Mit ihm und Christine Dittlbacher führten wir nachfolgendes Gespräch.

 

„Beim Pilgern kann die Seele wieder atmen!“

Herr Dekan, was ist mit dem Begriff „Pilgern” im eigentlichen Wortsinn gemeint?

„Pilgern” leitet sich ursprünglich vom lateinischen Wort „peregrinus“ (oder „peregrinari“ – „in der Fremde sein“) ab. Im Kirchenlatein bezeichnete der Begriff „Pelegrinus“ später eine Person, die aus Glaubensgründen in die Fremde zog, zumeist eine Wallfahrt zu einem Pilgerort unternahm, zu Fuß oder auch unter Verwendung eines Transportmittels. Der Anlass einer Pilgerfahrt konnte eine auferlegte Buße sein, das Bemühen, einen Ablass zu gewinnen, die Erfüllung eines Gelübdes, geistliche Vertiefung oder die Abstattung von Dank. Das Pilgerwesen war früher auch eng mit der Reliquienverehrung verbunden. In säkularisierten Gesellschaften wird Pilgern im Unterschied dazu als eine Form des Wanderns interpretiert oder das Wort „Pilgern” auch im übertragenen Sinn (z.B. zu einer Veranstaltung pilgern) eingesetzt.

Wie lässt es sich erklären, dass sich heute weltweit Hunderttausende aufmachen, um zu den unterschiedlichsten Zielen zu pilgern?

Wenn unser Leben in Gewohnheit erstarrt oder erschüttert wird, wenn eine Veränderung ansteht, dann meldet sich die Sehnsucht, das Leben und sich selbst wieder mehr zu spüren. Damit in Verbindung steht sehr oft auch der Wunsch, der Natur, Menschen und Gott zu begegnen und Orientierung für den eigenen Weg zu finden. Es geht darum, wieder ein Stück langsamer unterwegs zu sein und neue Perspektiven zu entdecken. Ich kenne viele, die z.B. am Ende ihres Berufslebens und am Beginn des dritten Lebensabschnittes eine Pilgerreise unternehmen.

Was spricht noch für die besondere Faszination des Pilgerns?

Ich denke, es ist einerseits die Erfahrung, dass wir mit unseren Füßen verkopfte, ungelöste Fragen erden und die innere Last Schritt für Schritt immer wieder an die geduldig tragende Erde abgeben können. Es geht aber auch um die Sehnsucht, eine ganzheitliche Persönlichkeit zu sein. Körper, Geist, Seele und Natur sollen bei diesem Ansatz, den wir heute auch für unsere Lebensgestaltung suchen, zusammenklingen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es im Hebräischen für „Geist, Seele, Wind und Atem“ nur ein Wort – „ruach“ – gibt. Ich sehe dies so, dass die Seele beim Pilgern wieder atmen kann!

Wichtig ist beim Pilgern auch das „Fest des Ankommens“ am Ziel. Warum?

Wenn die Pilger nach all den Mühen ihr Ziel erreicht haben, dürfen sie die Zuversicht haben, selbst „Erwartete“ zu sein. Wer pilgernd aufbricht, wird, so sagt es uns unser Glaube, am Ziel von dem empfangen, den die jüdisch-christliche Tradition „Ich bin da“, „Vater unser“ und „die Liebe“ nennt.

Was kann Pilgern bewirken? Verändert es die Menschen?

Es ist eine weitverbreitete Erkenntnis, dass der, der eine Pilgerreise unternimmt, nicht als der zurückkommt, als der er aufgebrochen ist. Im Gehen des inneren und äußeren Weges verwandelt sich etwas im Menschen. Körper und Seele, die in unserer technisierten und verkopften Welt irgendwie zerrissen sind, werden beim Pilgern wieder zur Einheit. Wir genießen heute zwar eine in früheren Zeiten undenkbare Freiheit. Es ist aber auch eine Last, so viele Optionen zur Verfügung zu haben, Entscheidungen treffen und diese auch verantworten zu müssen. Beim Pilgern finden viele Antworten auf ihre Fragen. Wir können darauf vertrauen, dass Gott uns auf der Suche zu neuem Leben hinführt!

Was ist das Besondere am Bergpilgerweg „Hoch und Heilig“?

Die Route unterstützt bergwandernd die Suche nach Besinnung und Glauben, inklusive körperlicher und mentaler Herausforderungen. Wir laden ein, sich auf jeder Etappe – und bewusst frei von allen digitalen Medien – eine Stunde der Stille zu nehmen. Wir schlagen für eine bestimmte Wegstrecke jeweils einen Impuls in der Dynamik der Spiritualität des Ignatius von Loyola vor. Hilfreich ist es, dem persönlichen Beten und dem Gebet in der Gruppe regelmäßige Zeiten im Tagesablauf einzuräumen. Speziell in unserer Region führen Pilgerwege oft über Jöcher und Pässe. Für mich geht es deshalb auch um ein über Berge und Grenzen „nach innen Wandern“.

Frau Dittlbacher, was bedeutet Pilgern für Sie?

Pilgern stellt seit Urzeiten ein Grundbedürfnis des Menschen dar. Heute folgen viele dieser Ursehnsucht des Herzens und machen sich auf den Weg. Nicht wenige sind auf der Suche nach Gott unterwegs, aber auch in atheistischen Gesellschaften lässt sich ein regelrechter „Pilgerboom“ feststellen.

Warum ist dies so?

Es geht beim Pilgern um die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Man steigt aus dem Alltag aus. Oft gibt es einen speziellen Anlass dafür, sich aufzumachen, aufzubrechen, loszuziehen und sich von Gewohntem zu trennen. Es ist eine Sinnsuche und ein bewusstes Reflektieren des bisherigen Lebens. Viele verspüren das Bedürfnis, aus dem Hamsterrad der Anforderungen und Verpflichtungen herauszutreten – und einfach nur zu leben.

Sie beschäftigen sich auch beruflich mit dem Pilgern?

Im Rahmen der „Spirituellen WegbegleiterInnen“ der Diözese Linz (Abteilung Pfarrgemeinde und Spiritualität) bin ich für den Bereich „Pilgern“ zuständig. Es geht dabei um das Initiieren und Durchführen von diözesanen Pilgerprojekten, um die Beratung von PilgerInnen und die Ausbildung von PilgerbegleiterInnen.

Wie kann man sich diese Ausbildung vorstellen?

In immer mehr Pilgern ist der Wunsch vorhanden, mit ausgebildeten PilgerbegleiterInnen unterwegs zu sein. Solche
BegleiterInnen gibt es schon lange, denn Pilgern hat eine uralte Tradition, und das nicht nur im Christentum, sondern auch in den anderen Weltreligionen. In Osttirol werden derzeit 16 PilgerbegleiterInnen ausgebildet. Im Laufe eines Jahres werden sie dazu befähigt, PilgerInnen bzw. Pilgergruppen nach christlich-spirituellen Grundlagen zu begleiten. Sie sollen den PilgerInnen Struktur und Impulse zur ganzheitlichen Wegerfahrung geben.

Danke für das interessante Gespräch!

 

Interview: Raimund Mühlburger, Fotos: Osttirol Journal, Brunner Images

08. Mai 2018 um