Rendezvous mit der Kunst: Ein Besuch im Stadtmuseum Bruneck

Ein Museum ist mehr als nur ein Gebäude, in dem Kunstwerke präsentiert werden. Es ist ein Ort, an dem man neue Eindrücke sammeln und den eigenen Horizont erweitern kann.

Jeder Mensch kann einen eigenen Zugang zu Kunst und Kultur finden. Es braucht dafür lediglich die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, die Zeit und den richtigen Raum. Ein ganz besonderer „Raum“, der Interessierten einen Blick in die vielfältige Welt der Kunst eröffnet, findet sich in Bruneck im Südtiroler Pustertal. Hier lädt das „Stadtmuseum Bruneck“ zum Besuch ein. Das Museum liegt zentral am Fuße des Schlossberges zwischen dem Kapuzinerplatz und dem Eingang zur Altstadt. Wo heute Kultur und Kunst eine Heimat haben, wurden früher Pferde versorgt. 24 Jahre ist es her, dass in den restaurierten, ehemaligen Postställen das Stadtmuseum eröffnet wurde. Auf die historische Baustruktur weist das spätgotische Gewölbe im Erdgeschoss hin. Hinter der musealen Einrichtung steht der Museumsverein Bruneck, der das Haus mit eigenem Mitarbeiterteam und unter Einsatz vieler ehrenamtlich Tätiger führt. Das abwechslungsreiche Ausstellungsprogramm moderner und zeitgenössischer Kunst ist das mobile Spielbein des Stadtmuseums. Fünf bis sieben Ausstellungen im Jahr präsentieren künstlerische Positionen, wobei regionale, nationale und internationale Kunst gezeigt wird. Grafik, Malerei, Bildhauerei und Fotografie wechseln einander ab. Das historische Standbein des Hauses fußt auf den Beständen des ehemaligen Brunecker Heimatmuseums. Die Glanzstücke dieser Sammlung können in der permanenten Ausstellung im gotischen Raum besichtigt werden.

 

 

Seit Juli 2019 zeigt das Stadtmuseum in einer Sonderschau Werke des griechisch-österreichischen Bildhauers Joannis Avramidis (1922-2016). Mit seinen formal strengen, gleichwohl facettenreichen Arbeiten zählt der Künstler, zusammen mit Fritz Wotruba, zu den Protagonisten der österreichischen Bildhauerei nach 1945. „Aus der Fülle abstrakter Werke des 20. Jahrhunderts stechen Avramidis Skulpturen besonders hervor. Sie sind modern, gleichzeitig archaisch,“ meint Barbara Rubele, die seit acht Jahren im Stadtmuseum Bruneck tätig ist. Barbara hat an der Universität im italienischen Parma Kunstgeschichte und Denkmalpflege studiert. Ihre Kollegin Stefanie Peintner absolvierte ihr Kunstgeschichte-Studium in Wien. Sie arbeitet seit rund einem Jahr im Museum. Stefanie beschreibt die Werke des Bildhauers als zeitlos und elegant. „Die Exponate sind perfekt, so wie sie sind.“ Die junge Kunsthistorikerin zeigt sich vor allem auch von dem Künstler als Mensch fasziniert. „Avramidis hat sich trotz schwieriger Lebensumstände den Glauben an das Menschliche immer bewahrt.“ Joannis Avramidis wurde 1922 im russischen Batumi am Schwarzen Meer als Sohn griechischer Einwanderer geboren. 1937 musste er, gemeinsam mit seiner Familie, seine Heimat verlassen. Sein Vater wurde im Zuge stalinistischer Verfolgungen ethnischer Minderheiten 1937 inhaftiert und kam in der Folge um. Joannis lebte von 1939 bis 1943 mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Athen. Hier sorgte er als junger Kunststudent mit Gelegenheitsarbeiten für den Unterhalt der Familie. 1943, mit 22 Jahren, wurde er, wie viele junge Griechen, von den Nationalsozialisten als Zwangsarbeiter nach Wien verschleppt, um hier bis 1945 Stahlräder für Züge zu reparieren. Nach der Befreiung verhafteten ihn die Sowjets als Spion und deportierten ihn in ein Internierungslager in Budapest. Von hier konnte er fliehen und nach Wien zurückkehren. In der österreichischen Bundeshauptstadt nahm er an der Akademie der  Bildenden Künste das Studium der Malerei auf. Später schrieb er sich in die Klasse für Restauratoren ein und besuchte von 1953-1957 die legendäre Bildhauerklasse von Fritz Wotruba. 1962 schaffte er, als Vertreter Österreichs bei der Biennale in Venedig, den internationalen Durchbruch. Geprägt von seiner griechischen Herkunft, entwickelte Avramidis durch sein Schaffen die antiken Begriffe und Ideen weiter. Sein Werk kreiste stets um die menschliche Figur als Einzel- und soziales Wesen, bestimmt von der Vorstellung eines idealistischen Menschenbildes. Dabei setzte Avramidis immer im Kern der Figur an. Die Entstehung einer Skulptur war ein langer Prozess, in dem Zeichnungen eine wichtige Rolle spielten. An Konstruktionsskizzen arbeitete er oft jahrelang: Akribisch berechnete und plante Avramidis seine Skulpturen von innen nach außen. Ab den 1960er-Jahren beschäftigte er sich zunehmend mit der Darstellung von Körpern in Bewegung. Ein weiteres zentrales Thema seines Schaffens war der Kopf. Auch diesen reduzierte er immer weiter auf die Grundform, indem er entweder den Kopf auf die Geometrie eines Rundkörpers zurückführte oder ihn aus Flächen zu kubisch-kantigen Blöcken fügte. Vor dem Hintergrund der durchlebten zweiten großen Menschheitskatastrophe des 20. Jahrhunderts gilt sein Wirken heute als ein besonders beeindruckender Ausdruck einer zutiefst humanen Haltung, die den Mensch nach wie vor als Maß aller Dinge sieht. 2017, knapp ein Jahr nach dem Tod des großen Bildhauers, widmete ihm das Leopold Museum in Wien eine erste große Retrospektive. Die Ausstellung im Stadtmuseum Bruneck präsentiert eine Auswahl an Malereien, Skulpturen und Zeichnungen zu seinen Kernthemen „menschliche Figur“ und „Kopf“.

 

 

Neben der Sonderausstellung gibt es in dem kleinen, aber feinen Museum auch eine Dauerausstellung, die, wie Barbara und Stefanie informieren, auf dem reichen Fundus der Johann Nepomuk Tinkhauser-Sammlung aufbaut. Sie verweisen auf ein besonders schönes Stück Pustertaler Spätgotik, den „Sonnenburger Flügelaltar“ aus dem Kloster Sonnenburg, den Simon und Veit von Taisten schufen. Ein anderes, sehenswertes Exponat ist der Schlussstein von Michael Pacher, der ursprünglich aus der Kirche von Issing stammt. Spannend wird es im Keller der musealen Einrichtung: In einer kleinen Druckerwerkstatt stehen, an der Wand entlang gereiht, die unterschiedlichsten Druckerpressen. Anfassen ist hier durchaus erwünscht: In regelmäßig veranstalteten Workshops kann man Einblicke in die Druckgrafik gewinnen und verschiedene Techniken ausprobieren.

 

Barbara Rubele und Stefanie Peintner führen durch das „Stadtmuseum Bruneck“, das weit davon entfernt ist, die Funktion eines typischen Heimatmuseums zu erfüllen. „Unser Anliegen ist es, mit vielen unterschiedlichen Ausstellungen ein reiches Kulturprogramm für die Stadtbewohner und für Urlaubsgäste zu bieten!“

 

Der Besuch im Stadtmuseum Bruneck bietet eine interessante Mischung aus historischen Sammlungen und moderner, zeitgenössischer Kunst. Alle Informationen zu Öffnungszeiten und Workshops findet man unter www.stadtmuseum-bruneck.it

 

Text: Maria Hofer/Elisabeth Hilgartner, Fotos: Martin Lugger

11. August 2019 um