Tiroler Rettungsdiensttag: „Aufgaben und Herausforderungen wachsen!“

Bei der Fortbildungsveranstaltung des Rettungsdienstes wurden brennenden Themen aufgegriffen und analysiert sowie Lösungen aufgezeigt, die zur Qualitätsverbesserung beitragen.

Passiert in Tirol ein medizinischer Notfall, wird die Notrufnummer 144 gewählt, und nach wenigen Minuten wird ein Rettungsteam eintreffen. Dem Team gehören im Regelfall RettungssanitäterInnen, NotfallsanitäterInnen und NotärztInnen an, die optimal zusammenarbeiten und die PatientInnen rasch und kompetent versorgen. Diese Notfallrettung funktioniert nicht nur sehr gut, sondern auch rund um die Uhr verlässlich und bis in alle entlegenen Gebiete.

Voraussetzung ist, dass die ausgeschickte Mannschaft top ausgebildet ist, optimal zusammenarbeitet und in jenem Rettungsmittel unterwegs ist, das für die Versorgung von NotfallpatientInnen entsprechend ausgestattet ist – also mit einem Rettungstransportwagen (RTW) und einem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF). Dass sich die Realität zuweilen angespannter präsentiert, ist vor allem auf die steigende Zahl der qualifizierten Krankentransporte zurückzuführen – und das wiederum hat mannigfaltige und komplexe Gründe.

ÄrztInnen entscheiden und tragen Verantwortung

Der qualifizierte Krankentransport wird in Tirol von mindestens zwei RettungssanitäterInnen pro Fahrzeug durchgeführt. Eine Notfallkompetenz ist im Krankentransport nicht zwingend erforderlich. Unterwegs sind die SanitäterInnen in einem Krankentransportwagen (KTW), der über eine etwas geringere Ausstattung verfügt als ein RTW. Die Entscheidung, ob ein qualifizierter Krankentransport im Sinne des Tiroler Rettungsdienstgesetzes alarmiert wird, trifft immer eine Ärztin oder ein Arzt im Vorhinein – auf Basis der zu diesem Zeitpunkt bekannten PatientInnen-Informationen.

In Einzelfällen stellt sich im Nachhinein heraus, dass der angeforderte Krankentransport nicht alle Kriterien eines qualifizierten Krankentransportes erfüllt. Im Zweifel muss die Ärztin oder der Arzt aber aus der ärztlichen Verantwortung und einer mündlichen Haftung heraus primär von einem solchen ausgehen. Reine (Kranken)-Transporte werden vom öffentlichen Rettungsdienst nicht bedient.

Einsamkeit be- und überlastet das System

Fast 80 % aller transportierten Personen sind älter als 60 Jahre. Unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung werden allein durch die Alterspyramide die Krankentransporte bis 2030 um 24 bis 36 Prozent steigen. Viele Krankentransporte sind Heimtransporte. „Natürlich ist der Heimtransport mit einem qualifizierten Rettungsdienst oft gerechtfertigt“, sagt Andreas Karl, Geschäftsführer im Rettungsdienst Tirol. Und weiter: „Wir beobachten, dass es auch andere Beweggründe sind, warum Menschen von einem SanitäterInnen-Team heimgebracht werden wollen. Der häufigste Grund: Daheim wartet die Einsamkeit und sonst niemand. SanitäterInnen sind dann die einzigen GesprächspartnerInnen. Je besser ein Mensch in eine familiäre Struktur und in ein soziales Umfeld eingebettet ist, desto seltener wird der qualifizierte Krankentransport angefordert.“

 

 

144 – die bekannte Nummer

Tirol verfügt grundsätzlich über ein breit aufgestelltes Gesundheitssystem mit passenden Anlaufstellen für die jeweilige gesundheitliche Fragestellung. Der Rettungsdienst ist ein Baustein in diesem komplexen System, „zumindest untertags“, sagt Andreas Karl. In den Nachtstunden oder am Wochenende ist das Angebot eingeschränkter und der Rettungsdienst bleibt als wesentlicher Baustein über.

„Im System der Gesundheitsdienstleistungen findet sich der/die Einzelne nicht gut zurecht. Gerade älteren Menschen ist es auch gar nicht zumutbar, nach Telefonnummern zu recherchieren”, beschreibt Karl die Tagesrealität vieler Hilfesuchender. Wenn es zwickt oder die Psyche schwankt, wird die vertraute Nummer 144 gewählt – also die Notfallrettung. Zur Ausfahrt gelangt in der Regel ein Rettungstransportwagen. Dabei würden die PatientInnen eine ganz andere Hilfe oder Beratung brauchen“, so Karl.

Notfallrettung springt ein

Ein Teil der Fahrten der Notfallrettung entfallen auf Personen, die mitunter schon mehrere Tage krank sind oder sich krank fühlen, aber keinen Notfall per Definition darstellen. Eine klassische Ausfahrt für den Krankentransport möchte man meinen. Doch oft ist das einzig zur Verfügung stehende Rettungsmittel die Notfallrettung, die dann für diesen Einsatz gebunden wird. Dieser könnte durchaus von einem anderen Player im Gesundheitssystem abgearbeitet werden, ohne dass die Qualität der Versorgung leiden würde.

„Es liegt auf der Hand: Wenn das Behandlungs- oder Betreuungsbild nicht mehr mit der Qualifikation der HelferInnen oder mit dem eingesetzten Rettungsmittel zusammenpassen, dann kränkelt das System über längere Zeit vor sich hin, bis es letztlich scheitert – auch deshalb, weil sich die MitarbeiterInnen im Gesundheitssystem über- oder unterfordert oder nicht adäquat eingesetzt fühlen“, sagt Andreas Karl.

Vom Silodenken zur Kooperation

Je gezielter die Betreuung erfolgen würde, desto besser wäre den PatientInnen geholfen. „Aus dem allein leitet sich ab, dass es für PatientInnen und deren Angehörige eine Vielfalt an Hilfsangeboten geben muss – und zwar rund um die Uhr. An einem ,one point of service‘ geht der Hilferuf ein. Dort werden kompetent geschulte MitarbeiterInnen den Hilfesuchenden an jene Einrichtung weiterleiten, die auf die jeweilige gesundheitliche Fragestellung die beste Antwort hat. Das kann einmal der/die HausärztIn sein, einmal die Community Nurse und dann ein psychologischer Dienst. Ein andermal wird die Gesundheitsnummer passen, dann ein/e TelemedizinerIn. Künftig kann vielleicht eine Drohne zu den PatientInnen geschickt werden, und dann wird selbstverständlich auch die Notfallrettung oder der qualifizierte Krankentransport ausgeschickt, wenn diese angezeigt sind“, skizziert Andreas Karl eine mögliche Lösung für eine individuell ausgestaltete, präklinische Versorgung.

Dieser Ansatz löst das bisherige Silodenken im Gesundheitsangebot auf, führt zu deutlich mehr Klarheit, mehr Service für die PatientInnen, Kosteneffizienz und letztlich auch zu mehr Zufriedenheit bei allen.

 

 

Die richtigen MitarbeiterInnen mit passender Qualifikation am richtigen Ort

Im Notfall ist das rasche Eintreffen qualifizierter Kräfte entscheidend. „Von den 395 hauptamtlichen SanitäterInnen im Rettungsdienst Tirol verfügen 296 über eine Qualifikation als NotfallsanitäterIn, das sind 74,93 %“. Adolf Schinnerl, ärztlicher Leiter Rettungsdienst des Landes Tirol, zeigt sich mit dieser Quote zufrieden, liegt sie doch deutlich über dem Österreichschnitt. Und doch setzt sich Schinnerl für eine weitere Steigerung der Quote ein.

„NotfallsanitäterInnen werden NotärztInnen nicht ersetzen, müssen sie auch nicht, denn das NotärztInnen-System funktioniert in Tirol sehr gut. Aber die Notfallrettung gehört aufgewertet und dann gezielt für NotfallpatientInnen eingesetzt“, so Schinnerl, der eine Notfallrettung vorschlägt, die jedenfalls mit einem/r NotfallsanitäterIn besetzt ist, das Fahrzeug noch besser für eine präklinische Notversorgung ausgestattet ist und die letztlich ausschließlich für Notfälle zum Einsatz kommt. Sein Ziel definiert Schinnerl klar: „50 % des Rettungsdienstes sollen eine Notfallrettung sein, die nur für Notfälle vorgehalten wird.”

Junge Menschen in ihrer Sprache ansprechen

Mehr Fahrten, kürzere Pausen, wachsende Aufgaben – die Ansprüche an das rettungsdienstliche Personal steigen. Sich schon heute um die MitarbeiterInnen von morgen im Rettungsdienst zu kümmern, muss Teil eines zukunftstauglichen Personalmanagements sein. Sich ändernde Arbeitswelten oder Lebensphilosophien werden spätestens dann, wenn die Baby-Boomer-Generation in Pension gegangen ist, auch im Rettungsdienst deutlich spürbar werden.

Zwar bleibt der Sinn des eigenen Tuns der wichtigste Motivationsgrund für den Berufswunsch „SanitäterIn“, daneben gewinnen die Selbstwirksamkeit, Ziele, das Fördern von Fähigkeiten, konstruktives Feedback oder Teamwork an Bedeutung. Die Generationen Y und Z müssen anders angesprochen, anders ans Unternehmen gebunden, anders geführt und anders unterstützt werden. „Zu unseren strategischen Schwerpunkten im Rettungsdienst Tirol gehört es daher, das Unternehmen mit Nachdruck zu einem ,good place to work‘ auszubauen“, betont Andreas Karl.

 

Text: Redaktion, Fotos: Rotes Kreuz Tirol gemeinnützige Rettungsdienst GmbH, Andreas Amplatz

05. Oktober 2022 um