Wir fragen, Experten antworten: Impfen ja oder nein?

Univ.-Prof. Dr. Peter Lechleitner nimmt auf häufig gestellte Fragen zur Covid-19-Impfung Bezug und erläutert seine Sicht auf die Frage: Impfen ja oder nein?

„Covid-19 hat uns seit einem Jahr fest im Griff und über 10.000 Menschen in Österreich das Leben gekostet, was zehnmal so viele Tote bedeutet wie die Opferzahlen der jährlichen Grippeepidemien. Erstmals gibt es in Österreich seit Jahrzehnten eine Übersterblichkeit. Das heißt, es sind um acht Prozent mehr Menschen gestorben als in den Jahren zuvor. Hunderte Medikamente wurden und werden untersucht, die ,magic bullet‘ wurde nicht gefunden, obwohl sich einiges als hilfreich herausgestellt hat.

Trotz dieser Tatsache ist der Respekt vor Covid-19 nach mehr oder weniger erfolglosem Dauerlockdown über sechs Monate hinweg verblasst, was uns noch bis vor Kurzem steigende Zahlen, volle Intensivstationen und mangelnde Perspektiven beschert hat. Jeder kennt heute mehrere Menschen, die die Infektion problemlos überlebt haben. Doch Vorsicht: Mindestens 20 Prozent der Erkrankten haben langdauernde Nachwehen oder bleibende Schäden. Dennoch ist der Medizin mit einer unglaublich raschen Entwicklung von hochwirksamen Impfstoffen ein Meilenstein gelungen, der den Weg aus der Dauerkrise weist. Zuversicht ist angesagt!

 

Was hat das Impfen bisher gebracht?

Aus dem bereits gut durchgeimpften Israel gibt es erfreuliche Daten. Das Land an der Ostküste des Mittelmeers hat am 19. Dezember begonnen, zu impfen. Zwischenzeitlich sind rund 60 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft. Bereits nach einem Monat begannen die Covid-19-Fälle zu sinken und damit auch die Krankenhaus- und Todesfälle – und das vor allem bei den gefährdeten älteren Personen. Ähnliches konnte bei den früheren Lockdowns nicht registriert werden. Bereits nach der ersten Dosis waren bei einer 10.000 Menschen umfassenden Gruppe von Krankenhausmitarbeitern über 90 Prozent vor Infektionen, symptomatischer Erkrankung und schweren Coronaverläufen geschützt. Das ist eine Rate, von der man bei bisherigen Impfungen gegen andere Erkrankungen nur träumen konnte. Dennoch: Ein 100-prozentiger Schutz ist wie bei den meisten Maßnahmen in der Medizin nicht machbar. Das Ergebnis überzeugt jedenfalls. Ein annähernd normales Leben wird wieder möglich!

Fake News

Das Internet und die sozialen Medien sind voll davon, und vieles ist an Skurrilität kaum zu übertreffen. Eine der harmloseren ist eine statistische Spielerei: Impfen bringt nichts, weil die Rate der Todesfälle bei Infizierten nicht geändert wird. Das spricht nicht gegen die Impfung, denn die Nichtgeimpften profitieren gesundheitlich kaum von den erfreulichen Entwicklungen.

Was weiß man über Nebenwirkungen?

Obwohl Impfreaktionen wie Ziehen im Arm und vorübergehende grippeähnliche Symptome nach Impfungen (insbesondere nach dem zweiten ,Stich‘) nicht selten sind, waren Krankheiten, die von der Impfung ausgelöst wurden, extrem selten. Die Nebenwirkungsrate liegt bei 0,005 Prozent. In letzter Zeit wurde in den Medien vielfach über Thrombosekomplikationen, insbesondere in Zusammenhang mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff, und dabei vor allem von tödlich verlaufenden Hirnvenen- und Darmthrombosen berichtet. Diese Komplikation ist eine ,Rarität‘ und betrifft häufiger die sogenannten Vektorimpfstoffe. Das Risiko beträgt 1:100.000, wobei bei rechtzeitiger Behandlung die meisten Betroffenen gerettet werden können. Das Risiko an einer Corona-Infektion zu versterben, beträgt in dieser Gruppe aber 1:2000, ist also ca. 500 mal höher. Mittlerweile hat eine österreichisch-deutsche Wissenschafter-Gruppe den Mechanismus dieser Nebenwirkung genau erforscht. Es handelt sich um eine Autoimmunreaktion gegen den Faktor 4 der Blutplättchen, eine äußerst seltene Nebenwirkung, die man von Thrombose-Prophylaxe-Spritzen gut kennt und mit sogenannten Immunglobulinen gut behandeln kann. Niemandem ist deswegen bisher allerdings eingefallen, auf die bei Operationen und Bettlägerigkeit notwendige Thrombosespritze zu verzichten. Doch alles, was mit Covid-19 daherkommt, ist neu und deswegen offensichtlich für so manchen etwas ,unheimlich‘. Die bei der Herzrhythmusstörung ,Vorhofflimmern‘ erforderliche Blutverdünnung, um ein anderes Beispiel zu nennen, kann den gefürchteten Schlaganfall zu 80 Prozent verhindern. Dennoch beträgt die Gefahr einer schweren, durch das Medikament ausgelösten Blutung 0,3 Prozent. Die Gefahr eines Schlaganfalles ohne Behandlung beläuft sich über fünf Jahre auf 30 bis 50 Prozent. Es ist also in der Medizin meist eine Abwägung zwischen Nutzen und Risiko nötig, und die fällt im Falle von Corona eindeutig für die Impfung aus!

 

 

Welcher Impfstoff und wie oft?

Derzeit sind in Österreich drei (bald 4) Impfstoffe zugelassen. Zwei davon (Pfizer-BioNTech und Moderna) verwenden die neue mRNA-Technologie, zwei die konventionelle Technik mit einem nicht krankmachenden Trägervirus (Astra-Zeneca und Johnson&Johnson). Die Schutzwirkung ist bei allen sehr hoch (auch bei Astra-Zeneca und Johnson), im Labor zeigten die mRNA-Impfstoffe leichte Vorteile. Der öfter beschriebene Sputnik V aus Russland ist sehr innovativ (zwei unterschiedliche Vektoren), vermutlich auch gut wirksam, nur sind die bisher vorgelegten Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten zu wenig umfangreich, um die sehr genau prüfende Europäische Zulassungsbehörde EMA zu überzeugen. Die chinesischen Impfstoffe dürften etwas geringer wirksam sein, aber noch immer besser als ursprünglich erwartet. Weltweit sind derzeit ca. 150 Impfstoffe in Entwicklung oder Erprobung.

Der Unterschied der Impfstoffe rechtfertigt nicht, auf die Impfung zu verzichten, wenn nicht der Wunschimpfstoff zur Verfügung steht! Eine Auffrischungsimpfung nach Wochen ist, außer bei Johnson, notwendig. Vermutlich werden weitere (wahrscheinlich jährliche) Impfungen, die an die aktuellen Mutationen angepasst sind, nach Meinung von vielen Fachexperten notwendig sein. Corona bleibt uns also in absehbarer Zeit in gebremster Form erhalten und damit auch die unspezifischen Maßnahmen wie eine bessere Raumbelüftung, Hygiene, fallweise Masken und Abstand. Menschen, die Corona durchgemacht haben, sollten spätestens sechs Monate nach der Infektion geimpft werden. Übrigens: Auch alle bekannten Mutanten werden durch alle verfügbaren Impfstoffe gehemmt. Die Unterschiede unter den verschiedenen Impfstoffen sind noch nicht geklärt. Anpassungen der Impfstoffe an neue Mutanten werden in Zukunft notwendig sein.

Impfpriorisierung

Zuerst Risikogruppen zu impfen, ist sicher sinnvoll. Die Einhaltung eines allzu starren Konzeptes darf jedoch den Impffluss unter den Impfwilligen nicht verzögern, Israel hat es vorgezeigt. Denn die zweite Priorität ist die möglichst rasche Durchimpfung. Sie schützt vor der Übertragung von Covid-19, vor schweren Verläufen, vor überfüllten Intensivstationen und vor weiterem wirtschaftlichen Schaden – und dies weit mehr als halbherzig befolgte Lockdowns.

 

 

Vorteile für Geimpfte?

Freiheit und Selbstbestimmung sind ein hohes Gut. Die Freiheit des einzelnen endet da, wo dadurch die Gefährdung des anderen beginnt. Alles andere ergibt sich von selbst, auch ein höherer Freiheitsgrad für Geimpfte.

Impfskeptiker und Impfgegner

Skepsis gegen die neue Prophylaxe einer neuen Krankheit ist verständlich und spricht zunächst einmal für ein überlegtes Handeln. Viele Fragen müssen geklärt sein, um zu einer klaren Entscheidung zu kommen. Letztlich ist es das Vertrauen in die Wissenschaft und der Glaube an die erzielten Ergebnisse, die den Ausschlag für die Entscheidung für oder gegen eine Impfung geben. Was für mich sonnenklar ist, muss nicht für alle so sein. Das ist zu respektieren und wird für die Betreffenden hoffentlich nicht zum Nachteil.

Anders sieht es mit der Gruppe der Hardcore-Impfgegner aus. Sie machen etwa 1 Prozent der Bevölkerung aus, kommen oft aus der Ecke der Verschwörungstheoretiker und sind durch kein Argument zu überzeugen. Aufklärungsarbeit ist nicht nur nicht nützlich, sondern kontraproduktiv und reine Zeitverschwendung! Deswegen will ich dies hier auch nicht tun.

Mein Fazit: Impfen rettet definitiv Leben!“

 

 

MR Univ. Prof. Dr. Peter Lechleitner
Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Innere Medizin
Ordination: Tel.: 04852 64 070 415 oder per Mail unter medicalcenter@grandhotel-lienz.com

 

Fotos: AdobeStock, Osttirol Journal

11. Mai 2021 um