Ludwig Lusser: Der Domorganist von St. Pölten stammt aus Osttirol

Ludwig Lusser wurde 1969 in Innervillgraten geboren. Seit 2006 ist er Domorganist in St. Pölten und unterrichtet am dortigen Diözesankonservatorium für Kirchenmusik.

Am 21. August 2022 wird der vielseitige Musiker gemeinsam mit dem Jazz-Saxophonisten Wolfgang Puschnig in Anras konzertieren. Im Interview hat er uns von seinem Werdegang, seiner Arbeit als Domorganist, der Improvisationskunst und von seinem heute noch sehr intensiven Bezug zu seiner „alten“ Heimat Osttirol erzählt.

 

 

Herr Lusser, wie sind Sie zur Musik, insbesondere zum Instrument Orgel und zur Kirchenmusik, gekommen?

Ich stamme aus einer sehr musikalischen Bergbauernfamilie in Innervillgraten, wiewohl ich der Einzige von acht Geschwistern bin, der Musik als Profession betreibt. Bei uns wurde immer viel gesungen und gespielt. Alle meine Brüder waren und sind Mitglieder der örtlichen Musikkapelle, eine Schwester ist Mitglied im Kirchenchor. Als Zehnjähriger kam ich ins Internat nach Schwaz, wo meine musikalische Begabung zum Vorschein kam und nahezu optimal gefördert wurde. Ich habe mit Klavier begonnen und autodidaktisch an der Pirchner-Orgel des Paulinums gespielt. Der damalige Direktor Otto Larcher, Vater des berühmten Pianisten und Komponisten Thomas Larcher, hat mir einen Platz in der Klavierklasse von Theo Peer am Innsbrucker Konservatorium verschafft, wo ich auch allmählich, über Vermittlung meines ersten Orgellehrers, Raimund Runggaldier, in die Orgelklasse des in Tirol damals in den 1980er-Jahren überragenden Domorganisten von Innsbruck, Reinhard Jaud, aufgenommen wurde. Jaud war und ist für mich eine sehr prägende Musikerpersönlichkeit. Er hat mich auch an meinen Lehrer an der Wiener Musikuniversität, Michael Radulescu, einer der bedeutendsten Schüler des in Österreich und international legendären Organisten und Komponisten Anton Heiller, vermittelt.

Warum war Michael Radulescu so prägend für Sie?

Die Lehrzeit bei ihm hat mir eigentlich alles eröffnet. Auf seine Anregung hin begann ich 1989 als erstes mit dem Studium der Kirchenmusik, gefolgt vom Konzertfach Orgel und IGP Orgel. Das Kirchenmusikstudium hat sich für meine breitgestreuten Interessen als für mich ideal entpuppt. Das über tausend Jahre umfassende Repertoire der Kirchenmusik, der sogenannte „Thesaurus musicae“, beinhaltet nahezu ausschließlich Meisterwerke aus allen Epochen und von allen Komponisten, denn diese Werke wurden mit dem Anspruch „Gott allein zur Ehre“ geschrieben.

Können Sie uns die Faszination beschreiben, die von der Kirchenmusik und dem Instrument Orgel ausgeht?

Beginnend mit dem jahrhundertelangen einstimmigen Gesang, dem Gregorianischen Choral, umfasst die katholische Kirchenmusik ein einzigartig vielfältiges und riesiges Repertoire. Ähnlich verhält es sich mit der seit ungefähr 800 Jahren überlieferten, aufgeschriebenen Musik für die Orgel. Wohl kein anderes Instrument verfügt über ein so reichhaltiges Repertoire an Meisterwerken aus so vielen Epochen. Diese unglaublich große Vielfalt kam meinen zahlreichen Interessen auf allen Gebieten der Kunstgeschichte sehr entgegen. Im Laufe der Jahre bin ich in diese Musik sprichwörtlich „hineingewachsen“ und durch die Studien zum Kirchenmusiker geworden.

Wie kann man sich den Alltag eines Organisten vorstellen?

Die Arbeit des Domorganisten in St. Pölten ist nahezu ein ideales Beispiel bester Arbeitsumstände in diesem Metier. Das Niveau der insgesamt acht vokalen und instrumentalen Ensembles hat sich in den beinahe siebzig Jahren kontinuierlicher Aufbauarbeit beachtlich gesteigert. So können wir heute gemeinsam, im Kreis aller beteiligten Musiker*innen und Sänger*innen, bei jeder Art von Musik auf einem sehr hohen stilistischen und musikalischen Niveau arbeiten.

 

 

Was sind Ihre speziellen Aufgaben?

Zu meinen Aufgaben gehört der gesamte Korrepetitionsbereich, das heißt, dass ich in den Vorproben für alle Sänger*innen am Klavier die Musik der Instrumente für alle Epochen und sämtliche Besetzungen spiele. Ein weiterer Bereich ist das sogenannten „Continuo Spiel“. Bei den Aufführungen, z.B. in den Kantaten von Johann Sebastian Bach, spielt der Organist mit einigen Bassinstrumenten und weiteren Harmonieinstrumenten (Cembalo, Laute u. a.) aus mit Ziffern bezeichneten Bassstimmen die harmonischen Grundlagen der gesamten aufzuführenden Musik, zum Teil mit einem großen improvisatorischen Anteil.

Wo und wie lernt man diese Fertigkeiten?

Diese Fertigkeiten zur Harmonisierung und Improvisation lernt man in den Studien der Kirchenmusik und im Orgel-Konzertfach. Des Weiteren betreibt man nach dem Studium selbst weiterführende Studien in diesen Bereichen. Als liturgischer Organist ist man natürlich bemüht, bei jeder Messe die eigenen Improvisationskünste umzusetzen und auszubauen. Die Vorbereitung der Aufführungen mit Musikern und der Austausch bringen es auf natürliche Weise mit sich, dass man seine Fähigkeiten weiterentwickelt.

Wie kann man sich das Spielen der Orgel bei Messen vorstellen?

Das Spielen der Orgel in vielen Liturgiefeiern mit unterschiedlichsten Formen in der Domkirche ist ein großer Arbeitsbereich. Dieser reicht von schlichten Wochentagsmessen über Familienmessen bis hin zu Bischofsweihen. Je nach Feier ist auch ein größerer Planungsaufwand mit Vorbereitungsgesprächen notwendig. Die nötigen Übungszeiten zur Vorbereitung aller aufzuführenden Werke muss man als Organist kontinuierlich, täglich, wöchentlich in seinen Arbeitsalltag integrieren.

Wie kann man sich das Zeitmanagement eines Domorganisten vorstellen?

Es gibt pro Woche eine bestimmte Anzahl an fixen Terminen, also Messzeiten, Probenzeiten und Termine für Besprechungen. Darüber hinaus muss man seine zur Verfügung stehende Zeit klug und effizient selbstständig einteilen, um mit den notwendigen Vorlaufzeiten bis zu den Aufführungen alles bestens geübt und vorbereitet zu haben. Dazu kommen noch viel organisatorische Arbeit für die Konzerttätigkeit in und außerhalb von St. Pölten sowie die Arbeiten für unsere eigene Veranstaltungstätigkeit.

Was ist das Besondere an der St. Pöltner Domorgel?

Das Instrument wurde 1973 von der renommierten Schweizer Orgelbaufirma Metzler unter Verwendung der Gehäuseteile und einiger Pfeifen der Barockorgel von Egedacher (~ 1720er-Jahre) erbaut. Der besondere, zeitlos schöne Klang aller Register ist von außerordentlicher Qualität. In Verbindung mit den idealen akustischen Bedingungen der St. Pöltner Domkirche ist ein kammermusikalisch deutlich hörbares Musizieren möglich und für den Organisten sehr inspirierend.

 

 

Wie kann man „Orgelimprovisation“ kurz erklären?

Bei der Improvisation gibt es keine notierte Musik. Man spielt, was einem im jeweiligen Moment einfällt. Jeder Improvisator hat allerdings im Lauf seines Lebens viel Musik, Harmonien, Melodien, Rhythmen in seinem Gehirn gespeichert. Durch permanentes freies Spiel, wie die Improvisation auch genannt wird, entwickelt man ein gutes „Feeling“ für Abwechslung und organische Weiterentwicklung. Bei der Orgelimprovisation beschäftigt man sich zudem auch mit besonders komplexen musikalischen Formen und kompositorischen Techniken, im Unterschied beispielsweise zum Jazzbereich. Beiden Szenen, Jazz und Kirchenmusik, gemein ist allerdings, dass sich ausschließlich unter diesen Musikern die natürlichen Notwendigkeiten und Herausforderungen zur Improvisation erhalten haben und nach wie vor gelebt werden, was in früheren Jahrhunderten bei fast allen Musikern üblich war.

Was erwartet die Besucher*innen des Konzerts „Orgel plus Puschnig“ am 21. August in Anras?

Erleben kann man die Resultate und die durch Jahrzehnte gemachten Erfahrungen von zwei Improvisatoren, eben von Jazz-Saxophonist Wolfgang Puschnig und mir. Zusätzlich werden auch zwei faszinierende Meisterwerke, nämlich Originalwerke für Orgel-Solo von Wolfgang Amadé Mozart und Johann Sebastian Bach, erklingen. Wolfgang Puschnig wird dazu kommentierend improvisieren. Wir beide werden dann noch weiter über das thematische Material von Bach und Mozart improvisieren. Mozart und Bach waren herausragende Improvisatoren ihrer Zeit. So kann die Improvisationskunst in diesem Konzert auf unterschiedliche Weise erlebt werden.

Wie gestaltet sich Ihr Bezug zu Ihrer alten Heimat?

Meine Verbindung zu Osttirol und Innervillgraten ist seit meiner Kindheit ungebrochen und intensiv. Ich wurde und werde immer wieder eingeladen – für Konzerte und Orgelspiel in Messen in Innervillgraten und vielen Dörfern im Bezirk sowie in Lienz selbst. Viele meiner Geschwister leben mit ihren Familien in Osttirol, und ich habe dort nach wie vor viele Freunde. Ich bin begeisterter Bergsportler und daher regelmäßig auf dem Mountainbike, wandernd, oder als Skitourengeher speziell in den Villgrater Bergen unterwegs. Auch die, durch die Bemühungen vieler um den sogenannten sanften Tourismus relativ gut erhaltene Naturlandschaft Osttirols ist für mich, meine Frau und unsere zwei Kinder eine große Freude und Anlass, oft in Osttirol Urlaub zu machen und in der Ruhe der Berge Kräfte für Neues zu sammeln.

 

Interview: Raimund Mühlburger, Fotos: Daniela Matejschek

17. April 2022 um