Musikkapelle Innervillgraten: „Nachklänge“ für den letzten Weg

Wohl kaum irgendwo in den Alpen sind Trauermärsche auch heute noch so lebendig wie in Innervillgraten. Fast bei jedem Begräbnis rückt die örtliche Musikkapelle aus.

„Ein Trauermarsch kann den Hinterbliebenen jenen Halt geben, den sie benötigen, um den geliebten Verstorbenen mit Fassung auf seinem letzten Weg zu begleiten. Für mich persönlich ist das Spielen eines Trauermarsches schlichtweg ergreifend. Er erinnert an die Zeit mit dem Verstorbenen und hilft auch, Abschied zu nehmen und die Trauer zu lindern“, ist Hannes Schett, Kapellmeister-Stellvertreter der Musikkapelle Innervillgraten, überzeugt.

 

 

Wann immer jemand aus der Dorfgemeinschaft stirbt, rückt die Musikkapelle aus und begleitet die Toten mit Trauermärschen vom Heimathaus zum Begräbnis. „Egal, ob es sich um ein stilles Mitglied unserer Gemeinde oder um einen verdienstvollen Vertreter handelt, wenn die Angehörigen der Verstorbenen mit uns Kontakt aufnehmen, folgen wir dem Ruf. Wir gehen dem Trauerzug entgegen und begleiten die Verstorbenen mit unseren Trauermärschen zur Kirche. Bei der Verabschiedung am offenen Grab erweisen wir den Toten die letzte Ehre“, führt er aus.

 

 

In früheren Zeiten war es in den Tiroler Bergdörfern üblich, dass die Mitglieder der Musikkapelle für die musikalische Umrahmung der Beerdigungen ihre Arbeit ruhen ließen. In Innervillgraten wird dies auch heute noch so gehandhabt. „Wir sind knapp 60 Musikantinnen und Musikanten, viele arbeiten auswärts. An den Wochenenden ist es einfacher, aber auch bei Begräbnissen an Wochentagen sind es immer an die 30 MusikantInnen, die den Trauerzug begleiten.“ Die seit 1831 bestehende Innervillgrater Musikkapelle kann aus einem großen, teils nur handschriftlich erhaltenen Repertoire an Trauermärschen schöpfen. „Es ist sehr alt und in dieser Form wohl einzigartig“, so Schett.

 

Kapellmeister und Komponist Josef Steidl jun. (1905 – 1979)

 

Über Generationen hat sich der besondere Fundus erhalten, darunter viele Musikstücke des Bauern Josef Steidl (1864 – 1945) und seines gleichnamigen Sohnes (1905 – 1979). „Die beiden wirkten fast ein Jahrhundert lang bei uns in Innervillgraten als Organisten, Chorleiter und Kapellmeister und hinterließen der Nachwelt selbst komponierte, wunderschöne Musikstücke. Es handelt sich um ein einzigartiges und rares musikethnologisches Dokument faszinierender alpiner Musik, die zugleich weinen und lachen kann“, erklärt Schett. „Teure Mutter“, „Nachklänge“, „Spielt mir mein letztes Lied“ oder „Der Ewige Friede“ – Trauermärsche haben für Hannes Schett eines gemeinsam: „Sie sind meist geradlinig, von einem satten Klang geprägt und stellen ein besonderes Zeichen der Anteilnahme und des Mitgefühls dar. Diese Musik beruhigt und tröstet. Für mich ist sie ein letztes musikalisches Geschenk an die Toten.“

 

 

Da die getragenen und harmonischen Klänge bei jedem Begräbnis immer wieder aufs Neue emotional berühren, war und ist es Hannes Schett, dem Vorstand und der MK Innervillgraten ein großes Anliegen, die alten, selten gespielten Trauermärsche für die Nachwelt zu erhalten. An einem Wochenende im Oktober 2014 haben die Musikantinnen und Musikanten das Album „Nachklänge – Musik für den letzten Weg“ aufgenommen, die Aufnahmeleitung hatte Hans Pircher inne. Die CD beinhaltet 16 Trauermärsche. Einer davon stammt von Josef Steidl sen., während die Grablieder „Mein Trost in Tränen“ und „Wie die Glocken düster dröhnen“ von Josef Steidl jun. komponiert wurden. Erhältlich ist die CD im gut sortierten Fachhandel, beim Plattenlabel Col-legno oder direkt bei der MK Innervillgraten.

 

Kapellmeister-Stellvertreter Hannes Schett: „Verstorbene auf ihrem letzten Weg zu begleiten und ihnen einen würdevollen Abschied zu gestalten, weckt jedes Mal auch bei uns Musikantinnen und Musikanten große und außergewöhnliche Emotionen. Jedes Begräbnis wird zu einer individuellen Zeremonie, in der die Musik den Gefühlen Raum und Zeit gibt!“

 

Die Trauermärsche von Josef Steidl sen. und jun. werden nur im Villgratental gespielt. „Unsere Musikkapelle hat das alleinige Aufführungsrecht, und es ist der Wunsch der Angehörigen, dass die Noten nicht weitergegeben werden“, berichtet Hannes Schett. „Wir sind eine sehr junge Kapelle mit einem Altersdurchschnitt von rund 26 Jahren. Kapellmeisterin Manuela Lusser und ich versuchen, die Proben so abwechslungsreich und das Repertoire so vielseitig wie möglich zu gestalten. Musik ist in jeder Lebenssituation und Stimmungslage für einen da und immer zur Stelle, wenn man sie braucht. So ist das Musizieren auch ein guter Ausgleich zum heutzutage für viele oft stressigen Alltag. Ich wünsche mir, dass die Begeisterung für die Musik bei der Jugend erhalten bleibt, und unserer Musikkapelle weiterhin ein so freundschaftliches Miteinander!“

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: MK Innervillgraten

13. November 2021 um