Univ.-Prof. Dr. Peter Lechleitner: Mit Corona leben, das Immunsystem stärken

Der Mediziner fasst für uns die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Einschätzungen zu Covid-19 zusammen und erklärt, wie wir unser Immunsystem stärken können.

Univ.-Prof. Dr. Peter Lechleitner ist Internist und Intensivmediziner aus Lienz. Er war u.a. am Aufbau und an der Gestaltung der Österreichischen Intensivmedizin maßgeblich beteiligt und gilt als anerkannter Herzspezialist. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zu Herzinfarkt, Lungenembolie, Nieren- und Krebserkrankungen in angesehenen Zeitschriften publiziert. Seit Monaten setzt er sich auch intensiv mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen auseinander.

Relativ hohe Sterblichkeitsrate

Bei Covid-19 handelt sich um eine ernstzunehmende, jedoch nicht hoch aggressive Viruserkrankung mit relativ hoher Sterblichkeit. Die Sterblichkeit ist deutlich alters- und risikoabhängig. Unter den Infizierten stirbt in der Gruppe der unter 70-Jährigen jeder 2.000. Patient, über 70 Jahre jeder 400. Besonders betroffen ist die Gruppe über 85 Jahre, in der jeder achte Infizierte stirbt. Die Ansteckungsgefahr ist relativ hoch, geht aber nur von einer relativ kleinen Gruppe aus, die wir aufgrund der Asymptomatik nicht genau kennen. 80 Prozent werden von nur 20 Prozent der Infizierten angesteckt. Das macht die Sache so schwierig!

Zweite Welle heftiger als erste

Wenn auch die Zahl der Infizierten in der zweiten Welle deutlich höher ausgefallen ist als erwartet (ähnlich der weit gefährlicheren Spanischen Grippe vor 100 Jahren, die in drei Wellen verlief), so ist dennoch die Sterblichkeitsrate in Relation zu den Infiziertenzahlen etwas niedriger geworden, allerdings in Summe deutlich höher als während der ersten Welle. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass das Virus in eine etwas weniger aggressive Form mutiert ist, sicher jedoch mit dem Mehr an Wissen in der Medizin und die dadurch verbesserten Behandlungsmöglichkeiten. Obwohl die „Magic bullet“ zur Behandlung von Covid-19 noch nicht gefunden wurde, so können doch eine Reihe von Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden. Dabei spielen insbesondere die Blutverdünnungstherapie und Cortison eine wichtige Rolle.

Aktuell ist in London und Südengland eine Virusmutante aufgetaucht, von der eine höhere Ansteckungsrate vermutet wird. Das muss aber kein agressiveres Virus sein, auch das Gegenteil kann der Fall sein. Die Untersuchungen der nächsten Zeit werden die Sachlage klären. Virusmutanten sind ein natürliches Phänomen, das bei Covid-19 ca. 2x pro Monat passiert. Man kann es als Anpassung an den Menschen verstehen, oft nimmt dabei die Agressivität ab. Bei einer erhöhten Ansteckungsgefahr sind die Risikogruppen aber besonders zu schützen. Auch die Bedeutung der Impfung wird damit wichtiger.

 

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Impfung als Hoffnung

Die Daten der zuletzt präsentierten Impfstoffe sind hoch erfreulich. Sie weisen auf eine Wirksamkeit von 95 Prozent hin, verbunden mit einer sehr guten Verträglichkeit. Eine hohe Durchimpfungsrate wird uns entscheidend helfen, die Pandemie zu beherrschen. Leider ist diese Waffe viel stumpfer als erwartet, da die Impfbereitschaft in Österreich mit ca. 20 Prozent extrem niedrig ist. Wenn sich dies nicht ändert, werden wir die Pandemie in den nächsten Monaten oder vielleicht Jahren nicht in den Griff bekommen, und Lockdowns könnten zur Normalität werden.

Warum erkranken manche schwer?

Viele infizierte Menschen können das Virus gut eliminieren und zeigen nur wenige bis geringe Symptome. Das hängt nach den letzten Erkenntnissen damit zusammen, dass sie zwar nicht weniger Viren im Körper haben, ihr Immunsystem SARS CoV-2 jedoch deutlich besser bekämpfen kann. In jenen Fällen, in denen vermutlich Gesunde und Patienten ohne erkennbares Risiko schwer daran erkranken, konnte inzwischen festgestellt werden, dass spezielle Störungen des Immunsystems vorliegen. Auch die Frage, ob Patienten an oder mit dem Virus sterben, ist heute deutlich klarer definiert: Zwei Obduktionsstudien zeigen, dass circa 85 Prozent der Covid-19 positiven Patienten, die versterben, tatsächlich an dieser Erkrankung gestorben sind.

Abstand, Hygiene und Maske

Die empfohlenen und verordneten Maßnahmen wie Abstandhalten, Hygienemaßnahmen (insbesondere Händehygiene), Räume lüften und Maskentragen sind kein 100-prozentiger Schutz, aber helfen gut, das Übertragungsrisiko zu reduzieren, wenn sie auf breiter Basis und richtig angewandt werden. Mehrere Untersuchungen haben zwischenzeitlich belegt, dass das auch von vielen Wissenschaftlern angezweifelte Maskentragen gut wirkt! Allerdings kann die Wirksamkeit je nach Produkt sehr unterschiedlich ausfallen: So sind zum Beispiel Schlauchschal und Halstuch sehr wenig effizient. Auch Plexiglasvisiere schützen ihr Gegenüber nicht ausreichend. Gut wirksam sind hingegen die gewöhnlichen Einmal-OP-Masken. Bei den selbstgenähten Masken ist eine dreilagige Maske (Baumwolle-Polypropylen-Baumwolle) am besten wirksam. Den höchsten Schutz bieten die FFP-2-Masken. Wenn allerdings nur 50 Prozent die Maske richtig tragen (häufig wird z. B. die Nase nicht oder nur vorübergehend abgedeckt), hilft selbst die beste Maske nicht!

Wirksamkeit von Massentests

Massen-Antigentests sind ein wirksames Mittel, die Pandemie in den Griff zu bekommen, wenn sie kurzfristig wiederholt werden. Hingegen belegen vor Kurzem veröffentlichte Daten, dass die Wirksamkeit eines Lockdowns nicht so überzeugend ist wie dargestellt. Dies sollte der zunehmenden Verängstigung der Bevölkerung mit seelischen und körperlichen Kollateralschäden entgegengestellt werden. Leicht zugängliche Gratistests oder vielleicht bald verfügbare Selbsttests aus Supermarkt, Apotheken oder Drogeriegeschäft, wöchentlich wiederholt, könnten die nur teilweise angenommenen organisierten Massentests an Wirksamkeit bei weitem übertreffen.

Es geht auch ohne Lockdown!

Dass es auch ohne Lockdown geht, beweisen Taiwan und Neuseeland, die keine zweite Welle erleben mussten und schon länger virusfrei sind. Österreich ist natürlich kein Inselstaat mit leichten Zugangskontrollen, jedoch sind auch die Disziplin und das Verständnis von Seiten der Bevölkerung gegenüber wirksamen Maßnahmen nicht mit jenen in den genannten Ländern vergleichbar. Dennoch könnten wir erfolgreich sein, wenn Impfung und Massentests in hohem Ausmaß angenommen werden. Davon wird abhängen, wie lange und in welchem Ausmaß wir mit dem Virus leben müssen. Wie lange genau und ob weitere Wellen kommen, grenzt allerdings derzeit an das Kaffeesudlesen, ist also seriös nicht vorhersagbar. Am Ende könnten wir jedenfalls große Fortschritte in der Pandemiebekämpfung gemacht haben und für die Zukunft ein Stück sicherer aufgestellt sein. Im Angesicht der zahlreichen Hobby-Virologen, Abwiegler, Verschwörungstheoretiker und Panikmacher ist allerdings der richtige Weg nicht leicht erkennbar.

 

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Der beste Schutz vor Covid-19

Den besten Schutz vor der Erkrankung bietet ein funktionierendes Immunsystem. Daraus ableitend erhebt sich nun natürlich die Frage, was ich tun kann, um mein Immunsystem zu stärken. Was von den meisten Menschen nicht gerne gehört wird, ist, dass der beste Schutz ein gesunder Lebensstil ist und dass Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und Bewegungsmangel eine negative Rolle spielen. Zu diesen Ursachen für ein geschwächtes Abwehrsystem kommen noch chronisch entzündliche Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Krebs, eine geringe Lymphozyten-Anzahl, Operationen, einige Medikamente, Alkohol und Nikotin dazu.

Effektive Abwehrmechanismen

Der menschliche Körper bietet eine ganze Armee von komplexen Systemen im Kampf gegen Erreger und Krebs auf. Dazu gehören viele Botenstoffe und Zellen, die Krankheitserreger aufnehmen und verdauen, also spezialisierte Zellen (die sogenannten T & B-Lymphozyten), die körperfremde Eiweiße erkennen und spezielle Abwehrmechanismen auslösen. Auch die bekannten Antikörper, also Eiweißstoffe, die unerwünschte Eindringlinge in unserem Körper für andere Zellen des Immunsystems markieren und weitere Immunzellen anlocken, zählen zu der erprobten Abwehrarmee. Haut, Schleimhäute (von Mund, Atemwegen und Darm), Lymphknoten, Lymphbahnen, Mandeln, Milz und Knochenmark beherbergen wesentliche Teile des Abwehrsystems.

Was können wir tun?

Nun stellt sich natürlich die Frage, was jeder Einzelne tun kann, um positiv auf das Immunsystem einzuwirken. Eine erste Möglichkeit bietet sich über den Darm an. 80 Prozent aller Abwehrzellen sind im Darm zu Hause. Aus diesem Grund ist eine ausgewogene Ernährung mit wenig Zucker sowie ein deutlich reduzierter Verzehr von rotem Fleisch, verarbeiteten Fleischprodukten (Wurst, Speck) und Fertigprodukten erforderlich. Unser Immunsystem liebt reichlich Gemüse, Broccoli, Curcumin, dunkle Beeren, süße Paprika, Zitrusfrüchte, Zwiebel, Ingwer, Knoblauch, grünen Tee und Fisch – zusammenfassend eigentlich eine mediterrane Kost mit pflanzlichem Schwerpunkt.

Sehr wichtig für das Immunsystem ist auch der Faktor Schlaf. Regelmäßiger Schlaf über sieben bis acht Stunden bewirkt eine Regeneration des Körpers und damit auch des Immunsystems. Regelmäßiger Schlafmangel erhöht die Infektrate bis um das Vierfache! Fehlende Erholungszeiten schädigen nachweislich das Abwehrsystem! Weiters ist natürlich eine ausgewogene Lebensweise zu nennen. Die Vermeidung von übermäßigem (Dis-)Stress, Strategien zur Stressbewältigung und eine positive Einstellung sind hervorragende Immunstärker. Lassen Sie sich Dinge zukommen, die Ihnen guttun.

 

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Entspannungsübungen wie Achtsamkeitsmeditation, Yoga, progressive Muskelentspannung, die Multimodale Stresskompetenz oder Atemübungen können gut dabei helfen. Als nächster Punkt ist körperliche Aktivität zu nennen. Die Bewegung an der frischen Luft ist für das Abwehrsystem ein hervorragender Stimulator. Besonders gut reagieren darauf die so genannten natürlichen Killerzellen, die Eindringlinge wie Viren rasch erkennen und eingreifen. Moderate Bewegung ist besser als intensives Trainieren. In der Woche sollte man es auf zweieinhalb Stunden moderate körperliche Aktivität (z.B. flottes Spazieren, Walken, Schwimmen, Laufen oder Fahrradfahren) bringen. Nicht zu vergessen sind immunstärkende Substanzen, zu denen Zink, Selen, Vitamin D und Vitamin C gehören.

Auch gesunde Darmbakterien (sogenannte Probiotika) können über positive Veränderungen des Mikrobioms (Darmflora) abwehrunterstützend wirken. Vitamin C aktiviert die Fresszellen des Immunsystems. Die dauerhafte Einnahme von 200 mg Vitamin C kann Erkältungen verkürzen. Vitamin C kann man sich ausreichend über Obst (Zitrusfrüchte) und Gemüse (Paprika) holen. Die hochdosierte Gabe von Vitamin C ist in amerikanischen und chinesischen Spitälern bei der Behandlung von COVID-19 -Erkrankungen Standard. Zink ist das wichtigste Spurenelement für das Immunsystem. Es verringert die Aktivität der Killerzellen und erschwert Viren das Eindringen in die Schleimhautzellen der Atemwege. Es sollten in der „Infektzeit“ täglich 20 bis 30 mg Zink eingenommen werden.

Vitamin D sollte mit Präparaten substituiert werden, wenn es nicht ausreichend möglich ist, in die Sonne zu gehen, welche über Haut und Niere das Vitamin D bildet. Vor allem ältere Menschen weisen häufig einen Vitamin D-Mangel auf. Selen ist der wichtigste Radikalfänger unter den Mineralstoffen. Bei einem Mangel können sich Viren schneller vermehren. Da unsere Böden selenarm sind, sollte man daran denken. In der komplementären Krebstherapie spielt Selen ebenfalls eine besondere Rolle. Rezente Untersuchungen haben ergeben, dass COVID-19-Patienten mit einem nachweisbar verminderten Zink-, Selen- oder Vitamin D-Spiegel einen schlechteren Verlauf der Erkrankung erleben. Gute Erfahrungen gibt es inzwischen auch über die homoöpathische Prophylaxe und Zusatztherapie bei Covid-19 und auch bei anderen Virus-Erkrankungen. Eine wissenschaftliche Publikation einer Fallserie von Covid-19-Patienten mit günstigem Verlauf, durchgeführt am Krankenhaus Lienz, wird in Kürze erscheinen!

Wenig bekannt ist, dass in Österreich jährlich über 4.500 Menschen an Lungenentzündung sterben. Die häufigsten Auslöser dieser schweren Lungenentzündungen sind die Grippeviren und Pneumokokken-Bakterien. Gegen beide Erreger ist eine Impfung möglich, wird allerdings nur von einem geringen Prozentsatz in Anspruch genommen. Österreicher lassen sich eigenartigerweise zwar gegen die von Zecken übertragene FSME, aber kaum gegen Grippe impfen. Impfen könnte also lebensrettend sein. Heuer scheint die Grippe-Impfmoral in Anbetracht von Corona deutlich besser, sodass sogar der Impfstoff knapp geworden ist. Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt über ihren Immun-und Impfstatus und lassen Sie eine Risikoanalyse erstellen und Ihre Blutwerte analysieren.

Zum Abschluss möchte ich noch einige immunstärkende „Hausmittel“ wie das Trinken von grünem Tee, von heißem Wasser mit Ingwer oder die Einnahme von Probiotika, rotem Ginseng und Echinacea nicht unerwähnt lassen. Durch ein morgendliches Kalt-Duschen (Kneippen) können Virusinfekte um bis zu 30 Prozent reduziert werden. Am besten beginnen Sie mit warmem Wasser, wobei Sie am Schluss circa 30 Sekunden lang ausschließlich kaltes Wasser verwenden sollten. Den Kopfbereich kann man dabei auslassen.

Kontakt (Ordination): 04852/64070-415

 

Text: Univ.-Prof. Dr. Peter Lechleitner

25. Dezember 2020 um