Kulturgeschichte der Kartoffel: Von Eardepfln, Artuffelen & Co

In der Brunnenburg bei Meran ist derzeit die Ausstellung „eardepfl – soni – patate“ zu sehen. Der Bezirk Lienz ist in der Schau mit einigen Besonderheiten vertreten.

 

Unterhalb von Schloss Tirol thront hoch oben auf einem Felsen eine mächtige Burganlage, die im 13. Jahrhundert vom Geschlecht der Tarant erbaut wurde – die Brunnenburg. Burgherr ist heute Univ.-Prof. Dr. Siegfried de Rachewiltz. Unter seiner Leitung wurde in der Burg ein Volkskunde-Museum eingerichtet, das sich insbesondere mit landwirtschaftlichen Themen befasst. Prof. Siegfried de Rachewiltz fungiert auch als Projektleiter für die diesjährige Ausstellung über die Kulturgeschichte der Kartoffel im historischen Tirol und in den Nachbarregionen.

 

Ausstellung und Buch „eardepfl – soni – patate“

Führend mitgearbeitet haben – wie bei früheren Ausstellungen – der aus Abfaltersbach stammende Kulturwissenschaftler Dr. Andreas Rauchegger und Dr. Christiane Ganner aus Meran. Im Zuge der Ausstellungseröffnung am 28.7. wurde auch ein Buch präsentiert, das Beiträge von 33 Autorinnen und Autoren umfasst. Neben Andreas Rauchegger haben Dr. Brigitte Vogl-Lukasser, Prof. Dr. Bernhard Vogl sowie Mag. Stefan Weis Berichte mit Osttirol-Bezug verfasst. Der Dölsacher Künstler Lois Fasching ist mit seinem Werk „Erdäpfelacker am Steilhang“ vertreten, und Kaspar Holaus behandelt in der Publikation ein Interreg-Projekt, das sich mit alten, lokalen Kartoffelsorten in Nord-, Ost- und Südtirol auseinandersetzt.

 

Dr. Andreas Rauchegger, ein gebürtiger Abfaltersbacher, hat an der Ausstellung führend mitgearbeitet.

 

Wie die Kartoffel nach Europa kam

Dass die Kartoffel-Pflanze ursprünglich aus den Hochanden von Peru, Chile und Bolivien stammt, stellt Andreas Rauchegger an den Beginn seiner Ausführungen, im Rahmen derer er uns von den Spuren der Kartoffel im heutigen Osttirol bzw. im Südtiroler Pustertal erzählt. „Indigene Kulturen züchteten schon vor 8.000 bis 10.000 Jahren aus wilden Knollen systematisch die Kartoffel (Solanum tuberosum).“ Nachdem Amerika 1492 von Kolumbus entdeckt worden war, brachten vor allem spanische Seefahrer im Laufe des 16. Jahrhunderts die Kartoffel mit. Auf ihrem Weg von Südamerika nach Europa machten sie Zwischenstation auf den Kanarischen Inseln. Dies weiß man, weil im November 1567 drei Fässer, die u.a. Kartoffeln enthielten, von Gran Canaria nach Antwerpen verschifft wurden. „Geht man davon aus, dass mindesten fünf Jahre nötig waren, um so viele Kartoffeln zu erhalten, dass sie zum Exportartikel werden konnten, so fand die Einbürgerung der Pflanze auf den Kanaren spätestens 1562 statt“, berichtet Rauchegger vom ersten Auftauchen der kostbaren Knolle in Europa.

 

Kartoffelernte auf den Hängen des Villgratentales

 

Zunehmende Verbreitung in Tirol

Das Jahr 1712 wird häufig als frühestes Erwähnungsdatum der Kartoffel in Alt-Tirol genannt. Andreas Rauchegger begab sich auf die Suche nach Originalbelegen – und hat sie gefunden. „In einem Speisebuch des Klosters Sonnenburg im Südtiroler Pustertal konnte ich fünf Originalbelege aus dem Jahr 1712 entdecken“, erklärt er. „Ert Öppfl“, „Artuffelen“ und „Tärtuffelen“ – diese drei verschiedenen Bezeichnungen für Kartoffel finden sich in dem historischen Speisebuch. „Die Kartoffel spielte im Pustertal, im heutigen Osttirol mit seinen Nachbarregionen Pinzgau und Oberkärnten, vor allem aber auch im venezianischen Raum als Grundnahrungsmittel eine wichtige Rolle. Heute lässt sich vielerorts das Bestreben, alte Landsorten zu erhalten, sowie die Rückbesinnung auf die qualitativ hochwertige Vielfalt der Kartoffel feststellen“, so der Kulturwissenschaftler, der meint, dass man die Tiroler Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Neuzeit durchaus auch als „Kartoffelgeschichte“ interpretieren könnte. In alten Gerichtsbeschreibungen kann man nachlesen, dass man sich in früheren Zeiten auch mit der Frage beschäftigte, ob in einem bestimmten Gebiet Kartoffeln angebaut werden. So gab der Provisor des k. k. Rentamtes Heimfels im Jahre 1802 an, „von Kartoffeln nichts zu wissen“. Er führt aber weiter aus: „Obst wächst in diesen kalten Klimen ausser Kirschen keines, man hat daher kein Obst, wohl aber Gemüse-Gärten, in denen Sallat, Spinat, Zwibel, Knoflau, Erbsen, Bohnen, Karfiol, Erdapfel hinreichend erzeuget, aber nicht verkaufet wird.“ Nicht minder beachtenswert ist eine Niederschrift des Gerichtes Virgen, wo 1802 „auser einigen Küchenkrauth zum eigenen Gebrauche kein Gartenbau betrieben“ wurde. Aufschlussreich hinsichtlich der Einführung der Kartoffel im Iseltal ist folgende Aussage: „Erst seit einigen Jahren ist der Landmann auf den Cartofel-Bau verfallen, dermalen werden sie in grosser Menge gepflanzet.“

 

Kartoffelanbau auf dem „Ehrenfelderhof“ in Anras

 

Interessant ist laut Andreas Rauchegger, dass Saatkartoffeln in unserer Region immer schon überregional angeschafft und dann vor Ort vermehrt wurden. Ein Reisender konnte 1838 immerhin berichten, dass die Erdäpfel im Raum Lienz große Bedeutung haben und es „vorzüglich vier Arten“ gibt, nämlich „die länglichtgelben, die länglichtrothen, die Schweineerdäpfel, gross und rund, und die Mäuschen, in runder und länglichter Form, beide klein und sehr mürbe“. Die Recherchen erbrachten auch, dass es zur Zeit Maria Theresias bereits staatliche Initiativen gab, um den Kartoffelanbau im Kaiserreich voranzutreiben. „Man hat das Potenzial der Knolle schon damals erkannt. Bemerkenswert ist, dass es durchaus schon vor 1800 in Tirol – vor allem auch im Pustertal – Kartoffelbrot gegeben hat. Alte Quellen belegen, dass man aus Mangel an Getreide den gängigen Mehlen Kartoffelmehl als Ergänzung beigefügt hat.“

 

Die Hungersnot von 1816 und Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft

Als „Jahr ohne Sommer“ wird in historischen Aufzeichnungen das Jahr 1816 bezeichnet. Als Hauptursache für die damals vorherrschenden niedrigen Temperaturen und die damit verbundenen Ernteeinbußen gilt der Ausbruch des Vulkans Tambora auf Indonesien im April 1815. Über die weltweit spürbaren Folgen der daraus resultierenden Klimaveränderung informiert Andreas Rauchegger: „Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte, verstärkt durch andere Faktoren, eine tiefgreifende Krise der Landwirtschaft ein, die auch in Tirol von großer Relevanz war. Hier rief diese schwierige Situation Johannes Röck aus Lienz auf den Plan. Er stellte am 21. Mai 1830 vor dem großen ständischen Ausschusskongress eine eigene `Mozion` vor, deren Inhalt die Verbesserung der Viehzucht, des Wein- und Ackerbaus vorsah.“ Der Lösungsvorschlag Röcks habe, so Rauchegger, die Gründung eines landwirthschaftlichen Vereins“ bzw. „agrarischer Gesellschaften“ inkludiert, die über die gesamte Provinz reichen und sich mit anderen landwirtschaftlichen Vereinen im österreichischen Kaiserstaat vernetzen sollten. 1838 kam es zur Gründung der „k. k. Landwirthschaftsgesellschaft von Tirol und Vorarlberg“ mit tatkräftiger Unterstützung durch Erzherzog Johann als „oberstem Protector“.

 

Die Erhaltung alter Sorten und zukünftige Bedeutung

Das Genossenschaftswesen trug auch im heutigen Osttirol und in den angrenzenden Talschaften dazu bei, die Lebensfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe zu gewährleisten und in Notzeiten Engpässe zu überstehen. Gerade bei der Kartoffel war der überregionale Austausch des Saatgutes von großer Bedeutung. „Früher wurde die Knolle durch Herrscherhäuser und Klöster verbreitet. So dürfte das Kloster Sonnenburg schon 1712 durch überregionale Kontakte in den Besitz der Knollenpflanze gekommen sein. Heute werden alte Sorten in Genbanken gesichert, konserviert und erhalten, die international vernetzt sind. Die Erhaltung alter Sorten wird insbesondere bei uns in Mitteleuropa als Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen. Außerdem spielen alte Sorten auch in der Diskussion rund um die Sicherung der zukünftigen Welternährung eine nicht unwesentliche Rolle“, spannt Andreas Rauchegger abschließend den Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft.

 

Die Geschichte vom Erpfl-Bauer aus Innervillgraten

Zu Beginn wussten die Menschen in Europa nichts mit der Errungenschaft aus der Neuen Welt anzufangen. Vor allem wusste man nicht, dass die Knolle der Kartoffel-Pflanze essbar war. Man erfreute sich zunächst an den fremd aussehenden, hübschen Blüten und sah in ihr eine Zierpflanze. Erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts konnte sich die Kartoffel durchsetzen. Es dauerte also einige Generationen, bis aus der Kartoffel eine Hauptnahrungsquelle breiter Bevölkerungskreise wurde. Viele Vorurteile und traditionsbedingte Hemmnisse standen ihr zu Beginn im Weg. Dies zeigt auch eine Anekdote aus dem Osttiroler Villgratental. Dort, in Innervillgraten, ist die Geschichte vom ersten heimischen Bauern, der „Erpfl“ angebaut habe, überliefert. Aus Sorge davor, das Feld unfruchtbar zu machen oder die spärliche, nutzbare Anbaufläche zu vergeuden, habe sich der „Kirchkoula“ vom Bauernhof hinter der Kirche nicht getraut, die Erdäpfel in die Egarte (als Wiese und Acker genutztes Feldstück) zu stecken. So hätte er sie dann in die „Ketlogge“ (Kotlacke) neben dem Haus gepflanzt – eine Stelle, wo das Spül- und Restwasser ausgeschüttet wurde. Ob sie gewachsen sind oder wie reichhaltig die Ernte war, ist nicht überliefert. Jedenfalls ist in dieser Erzählung die Furcht vor diesem unbekannten Gewächs dokumentiert und gleichzeitig der Mut und die Hoffnung, denn gerade in den kargen, inneralpinen Hochtälern war die Selbstversorgung nur mit härtester Arbeit und unter großen Entbehrungen möglich.

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Laupheim/Fotolia.com, DI Dr. Christian Partl, Archiv Dr.  Christiane Ganner, Osttirol Journal/Mühlburger, Fotoarchiv Hubert Wurzer/Außervillgraten, Dr. Robert Perfler

 

05. August 2018 um