Die Zeckensaison beginnt: Kleiner Stich, große Wirkung

„Einige Tage über + 5 Grad genügen – und die Zeckensaison startet“, erklärt Dr. Gernot Walder, der als ausgewiesener Experte für von Zecken bzw. Stechmücken übertragene Erkrankungen gilt. Es sei, so der Osttiroler Facharzt für Hygiene, Mikrobiologie, Infektiologie und Tropenmedizin, ein weitverbreiteter Irrtum, dass man sich nur im Frühling und Sommer, also wenn es wirklich warm ist, vor Zecken schützen müsse. Die Zeckensaison könne, temperaturabhängig, auch bereits im Februar oder März einsetzen oder – in besonders warmen Jahren –  sich auch über die Wintermonate hinziehen. Wir wollten von dem erfahrenen Mediziner wissen, wie sich die Zeckensituation in den letzten Jahren verändert hat, was man als Laie unbedingt wissen sollte und was auf den Alpenraum im Zuge der Klimaerwärmung in Sachen neuer Mückenarten zukommt.

„Zecken sind längst schon im gesamten Bundesgebiet verbreitet“, hält Dr. Walder zu Beginn unseres Gespräches fest. Grundsätzlich ist, wie er sagt, ganz Österreich Zeckengebiet, doch habe man in den vergangenen Jahren eine deutliche Verlagerung der Schwerpunkte feststellen können. Früher klassische Hochrisikoregionen wie die Steiermark seien in der Statistik etwas zurückgefallen, während Bundesländer wie Tirol nach vorne gerückt sind. „Aufgrund der wärmeren Temperaturen dringen Zecken in immer größere Höhen vor. Früher galten Höhenlagen unter 800 bis maximal 1.000 Meter als eine Art rote Linie, heute können Zecken auch in Höhenlagen von 2.000 Metern nachgewiesen werden. Dies ist eine Folge klimatischer Veränderungen, wobei neben der Temperatur auch die Luftfeuchtigkeit eine Rolle spielt. In Nordtirol gilt das Zillertal als Hochrisikogebiet, im Bezirk Lienz hat sich der Schwerpunkt vom Lienzer Talboden hinein ins Iseltal und in Richtung Oberland verschoben. Im Villgratental konnten wir beispielsweise noch vor 18 Jahren keine Zecken nachweisen. Inzwischen sind sie auch dort flächendeckend verbreitet.“

Zecken sitzen vor allem im Gras, im Unterholz oder im Gebüsch.

Höhere Infektionsraten

Zecken können gefährliche Krankheiten, wie etwa FSME (Frühsommer-Meningoenzephalititis) übertragen. In Osttirol hat sich, so Dr. Walder, die Infektionsrate in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Mit einer weiteren Zunahme sei zu rechnen, wenngleich man im Bezirk von einer hohen Durchimpfungsrate sprechen könne. Über 80 Prozent der OsttirolerInnen sind, wie der Zecken-Experte weiß, gegen FSME geimpft. Die Frühsommer-Meningoenzephalitis ist jedoch nur eine der Krankheiten, die durch einen Zeckenbiss ausgelöst werden können. Die blutsaugenden Spinnentiere sind auch Träger verschiedener anderer Krankheitserreger, wie der Borreliose-, der Anaplasma- oder der Rickettsien-Bakterien. Im Gegensatz zum FSME-Virus stehen für diese, zum Teil auch sehr gefährlichen bakteriellen Erreger keine Vorsorgeimpfungen zur Verfügung, allerdings sind sie antibiotisch behandelbar. „In etwa jede fünfte Zecke ist Träger des Borreliose-Bakteriums“, informiert Walder. „Ob dieses bei einem Zeckenbiss tatsächlich übertragen wird, hängt von der Saugdauer ab. Saugt eine Zecke weniger als 12 Stunden, ist eine Übertragung von Borrelien eher unwahrscheinlich. Saugt sie länger als 36 Stunden, werden die in der Zecke vorhandenen Bakterien fast immer übertragen.“

Borreliose: Früherkennung wichtig

Borrelien vermehren sich anfangs in der Haut um die Einstichstelle, siedeln sich jedoch später im gesamten Organismus ab, wo sie bei Nichtbehandlung schwere chronische Entzündungen hervorrufen können. Die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit kann Tage bis Wochen und zum Teil sogar Jahre betragen. Die Diagnose der Erkrankung ist oft schwierig, da in der Frühphase nur leichte, uncharakteristische Symptome oder überhaupt keine Krankheitszeichen auftreten. „Aus diesem Grund kann man jedem, der sich im Freien aufhält, nur dringend empfehlen, den Körper nach dem Aufenthalt in der Natur immer gründlich abzusuchen. Je früher man eine Zecke entfernt, desto geringer ist das Übertragungsrisiko!“

Bei jedem Zeckenstich zum Arzt?

Die Frage, ob man nach jedem Zeckenbiss zum Arzt müsse, verneint der Experte. „Man sollte die Zecke möglichst rasch mit einer Pinzette entfernen, aber in der Folgezeit seinen Körper aufmerksam beobachten. Bei einer FSME kommt es in der Regel nach einigen Tagen zu grippeähnlichen Symptomen und leichtem Fieber. Auf diese erste Phase folgen hohes Fieber, massive Kopfschmerzen und, bei Meningitis, z.B. auch Verwirrtheit oder Persönlichkeitsveränderungen. Diese zweite Krankheitsphase verläuft oft schwer: Im Schnitt verbringen die Betroffenen 10 Tage im Krankenhaus und drei Tage auf der Intensivstation. Sind die peripheren Nerven betroffen, kann das – ähnlich wie bei der Kinderlähmung – eine dauerhafte Beeinträchtigung zur Folge haben.“ Sicherheit, ob man mit Borrelien infiziert ist, bringe, so der Infektiologe, nur eine Untersuchung von zwei Blutproben im Abstand von vier bis sechs Wochen. „Wer eine so genannte Wanderröte bemerkt, die auch nach Tagen noch gut sichtbar ist, der sollte frühzeitig einen Arzt kontaktieren.“ Auf eine bereits manifestierte, nicht erkannte Borreliose könnten z.B. eine Gesichtsnervenlähmung oder eine Lähmung der Augenmuskeln hinweisen, besonders wenn Kinder betroffen sind. Dies gilt auch für Störungen des Hör- und Gleichgewichtsorganes oder Schluck- und Sprachstörungen. In allen Phasen ist eine Borreliose mit bestimmten Antibiotika behandelbar, am erfolgreichsten ist jedoch eine möglichst rasch einsetzende Therapie. In Osttirol werden pro Jahr ca. 20-40 Infektionen serologisch gesichert nachgewiesen, die Dunkelziffer liegt bedeutend höher.

Zeckenbiss – was jetzt?

Hat der Parasit es einmal auf den Körper geschafft, sucht er sich eine möglichst geschützte, warme Stelle. Suchen Sie daher immer Kopf, Hals, Achseln, Ellen- und Kniebeuge, Bauchnabel und Genitalbereich gründlich ab – ganz besonders, wenn Ihr Kind zuvor längere Zeit im Freien war. Um eine Infektionskrankheit zu vermeiden, gilt es, den Plagegeist so schnell wie möglich aus der Haut zu ziehen. In der Apotheke gibt es dafür speziell geformte Pinzetten, Karten oder Zangen. Experten empfehlen, die Zecke nah an der Haut zu greifen und vorsichtig herauszuziehen. Besonders wichtig: Das Tier muss an den Beißwerkzeugen gepackt werden, auf keinen Fall am Körper quetschen. Auch Öl und Klebstoff haben bei der Zeckenentfernung nichts zu suchen. Im Todeskampf kann der Blutsauger vermehrt Speichel abgeben und damit Krankheitserreger absondern.

 

Wie kann man sich schützen?

Auf einen effektiven Schutz vor Zeckenstichen angesprochen, meint der Mediziner, dass dieser nie zu 100 Prozent gewährleistet werden könne. Sinnvoll sei es, lange Kleidung und feste Schuhe zu tragen und zeckenabweisende Sprays, so genannte Repellents, zu verwenden. „Zecken sitzen vor allem im Gras, im Gebüsch oder Unterholz. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass Menschen, die in der Land- und Forstwirtschaft tätig sind, Straßenarbeiter, aber auch Jäger, zu den Hauptrisikogruppen gehören. Grundsätzlich ist niemand davor gefeit, von einer Zecke gestochen zu werden. Dies gilt für den Golfer oder Wanderer ebenso wie für den Hobbygärtner oder die kleinen Besucher von Kinderspielplätzen.“ Intensive Forschungen, wie der Zecken-Durchseuchung gezielt entgegengewirkt werden könne, zeigen, so Dr. Walder, dass Chemie keine Lösung sei. „Zecken haben keine Freßfeinde, allerdings kann man sie mit bestimmten Bodenpilzen (Metarhizium spp.) biologisch bekämpfen.“

Neue Mückenarten im Kommen

Neben den von Zecken übertragenen Krankheiten widmet sich Dr. Walder in seinem Speziallabor in Außervillgraten seit längerem auch der Erforschung von Stechmücken, insbesondere von Exoten, die inzwischen vermehrt in Europa auftreten. Laut seinen Angaben handelt es sich dabei insbesondere um drei invasive Spezies, die von Relevanz sind: die Tigermücke, die japanische Buschmücke und die Koreamücke. Im Auftrag des Landes Tirol beschäftigt sich der Osttiroler Facharzt u.a. mit dem Monitoring der Tigermücke, die potenziell als Überträger gefährlicher Viruserkrankungen (Westnil-Virus, Denguefieber, Zikavirus …) gilt. „Eingeschleppt über das internationale Transportwesen und begünstigt durch die Klimaerwärmung, hat sich die Tigermücke in weiten Teilen Italiens und auch in Südtirol bereits etabliert. Auch bei uns dürfte die Verbreitung mittelfristig nicht aufzuhalten sein. 2017 konnten wir etwa eine Serie von Eiablagen im Unterinntal feststellen.“ Diese Entwicklung müsse man ebenso genau im Auge behalten wie die Anopheles-Mücke. „Sie kommt bei uns in vielen Gebieten vor, wir haben sie nur vergessen. Die Übertragung von Malaria ist in Tirol auch heute möglich, wie uns die Fälle im Trentino im Vorjahr in Erinnerung gerufen haben. Es gibt also invasive Arten wie die Tigermücke und Alteingesessene wie die Anopheles, die nur aus dem Fokus gerückt sind. Die Malaria wurde in Tirol mit der Trockenlegung der Etschsümpfe ausgerottet, aber der Überträger ist nach wie vor da.“

Eingeschleppt über das internationale Transportwesen und begünstigt durch die Klimaerwärmung, hat sich die Tigermücke in weiten Teilen Italiens und auch in Südtirol bereits etabliert.

Beratung für Fernreisende

Urlaubern, die sich für eine Fernreise entscheiden, empfiehlt der Tropenmediziner, sich im Vorfeld rechtzeitig über den notwendigen Impfschutz zu informieren. „Ich biete in meinem Labor entsprechende Checks an und kann auch entsprechende Impfungen vornehmen.“ Eine langfristige Planung sei, so Gernot Walder, hilfreich, aber nicht immer zu realisieren. „Oftmals lassen sich auch kurzfristige Impfungen vor einer Reise noch organisieren!“

 

Text: Elisabeth Hilgartner, Fotos: Martin Lugger, Fotolia

09. März 2018 um