Wolfram Pirchner spricht beim Selbsthilfetag in Lienz

Über Panikattacken und seinen Weg zurück ins Leben spricht der ORF-Moderator Mag. Wolfgang Pirchner am 7. November beim Selbsthilfetag in der Wirtschaftskammer.

Pirchner_Nur_keine_Panik_VS„Ja, ich leide unter Panikattacken!“ Mit seinem „Outing“ vor laufenden Fernsehkameras verblüffte Mag. Wolfram Pirchner vor 20 Jahren ganz Österreich. Der beliebte Moderator (ORF-Vorabendsendung „heute leben“) erzählte im Osttirol heute-Interview von ersten Symptomen während er die „Zeit im Bild“ moderierte, vom schwierigen Weg in die Therapie und schließlich zurück ins Leben. Beim Selbsthilfetag am Samstag, 7. November 2015, referiert Wolfram Pirchner ab 10.30 Uhr zu den Themen Panikattacken und Angstzustände, ab 12.00 Uhr moderiert er eine Podiumsdiskussion, an der unter anderem der Psychologe Dr. Georg Fraberger und Primar Dr. Martin Schmidt, Leiter der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am BKH Lienz, teilnehmen werden.

Herr Pirchner, vor rund 20 Jahren merkten Sie plötzlich, dass etwas mit Ihnen nicht stimmt. Möchten Sie uns erzählen, wie das war?

Ich moderierte damals zusammen mit Hannelore Veit die „Zeit im Bild“. Gegen Ende der Live-Sendungen litt ich immer öfter unter Schwindelgefühlen und verspürte eine Art Enge in der Brust. Herzinfarktsymptome und Todesangst folgten – es wurde immer schlimmer. Ich begab mich in ärztliche Behandlung. Eines Tages sagte ein junger Arzt zu mir: „Heute machen wir kein EKG, messen nicht den Blutdruck, sondern schauen uns ein Buch an.“ Er überreichte mir eine „dicke“ Abhandlung zum Thema Panikattacken und Angstzustände. Beim Lesen wurde mir rasch klar, dass ich alle darin beschriebenen Symptome aufwies. Ich hatte, um dies salopp auszudrücken, sozusagen einen „Huscher“.

Was meinen Sie mit dem Ausdruck „Huscher“ konkret?

Ich habe heute keine Schwierigkeiten mehr, über meine psychische Befindlichkeit zu sprechen. Aber damals – ich war 36 Jahre jung – hatte ich sehr wohl ein Problem damit. Man merkt, dass man ein wenig (ver)-rückt, also etwas von der Mitte abgewichen ist. Wichtig ist, dass man diesen Zustand für sich selbst benennt. Ehrlichkeit sich selbst und seiner Umwelt gegenüber ist, davon bin ich überzeugt, der erste Schritt zur Besserung.

Wo lagen Ihrer Ansicht nach die Ursachen?

Mich zeichnete zu dieser Zeit sicherlich das Streben nach Perfektionismus aus. Nur ja keine Fehler achen, lautete die Devise. Man ist schließlich ein Mann und muss stark und erfolgreich sein. Alles Blödsinn, das weiß ich heute.

Sie haben Hilfe gesucht – und gefunden?

Dies war ein sehr mühsamer Weg. Ich erhielt Medikamente und habe ca. vier Monate lang Psychopharmaka eingenommen. Irgendwann wusste ich: So kann es nicht weitergehen! Ich will und  muss mich professionell begleiten lassen. Dass ich dann die für mich richtige Therapeutin gefunden habe, werte ich als Riesenglück. Wichtig für jeden Betroffenen ist, dass man irgendwann an den Punkt
kommt, an dem man weiß: Der Krug ist voll, ich muss etwas ändern. Ich lebe nicht mehr für die anderen, sondern ich bin der Mittelpunkt meines Lebens.

Haben Sie außer Ihrer Therapeutin auch anderen von Ihren Problemen erzählt?

Meine damalige Freundin, meine Eltern und meine Chefin Dr. Monika Lindner wussten Bescheid. Ich habe zu dieser Zeit „Willkommen Österreich“, die große Nachmittagssendung im ORF, moderiert. Nach außen hin gab ich weiterhin den strahlenden Skilehrer aus Tirol. Ich war immer gerne als Moderator tätig, bei der Arbeit traten meine psychischen Probleme auch kaum auf. Aber privat fing ich an, Menschenansammlungen zu meiden. Ich hatte das Empfinden, jeder schaut mich an und merkt, dass ich Probleme habe. In solchen Situationen machte sich dann Panik breit.

Irgendwann haben Sie sich dann vor laufenden Fernsehkameras „geoutet“.

Ja. Bei „Willkommen Österreich“ war eine junge Frau zu Gast. Unser Thema lautete „Hilfe, ich leide an Panikattacken!“. Als sie merkte, dass mir diese Thematik nicht fremd ist, fragte sie nach. Ich antwortete: „Weil ich das auch habe!“ Das schlug ein wie eine Bombe. Ich erhielt massenhaft Briefe,  erntete viel Zustimmung. „Bitte helfen Sie mir!“, stand in vielen Schreiben. Die überwältigende Resonanz weckte sozusagen mein „Helfersyndrom“. Ich absolvierte die Ausbildung zum akademischen Mentalcoach und gab mein Wissen in Einzelcoachings weiter. Heute tue ich dies nicht mehr, sondern konzentriere mich neben meiner Arbeit für den ORF vor allem auf Vorträge und das Schreiben von Büchern.

Ihr erstes Buch „Nur keine Panik – Mein Weg zurück ins Leben“ wurde zum Bestseller.

Ja. Das Buch schlug voll ein, unsere Erwartungen wurden sogar noch übertroffen. Es muss einen Riesenbedarf an derartigen Publikationen geben, inzwischen wurde schon die fünfte Auflage gedruckt. In meinem zweiten Buch „Nicht ohne meinen Schweinehund“ beschäftigte ich mich mit dem Thema Disziplin, aber auch mit der Frage nach mehr Lustgewinn im Leben. Derzeit schreibe ich an meinem dritten Buch.

Was sind Ihre Kernbotschaften zum Thema Panikattacken bzw. lustvolles Leben ohne Angst?

Ich würde dies so ausdrücken: „Du musst bereit sein für Veränderung. Durch die Kraft deiner  Gedanken kannst du alles verändern.“ Wir Menschen beschäftigen uns ungern mit uns selbst und kümmern uns lieber um andere. Was andere sagen oder über mich denken, ist mir heute vollkommen
egal. Dies mag zwar etwas unfreundlich klingen, aber es lebt sich viel leichter damit. Ich bin der Meister meines Lebens. Ich kann nur raten: Wenn dir etwas fehlt, dann tue etwas dagegen! Wenn du übergewichtig bist, dann unternimm etwas dagegen! Wenn du an Panikattacken leidest,dann reagiere darauf. Wenn du an Burn-out leidest, dann tue etwas. Aber es ist deine Entscheidung! Wenn du keine Hilfe in Anspruch nehmen möchtest und weiter mit deinen Attacken leben willst, dann bleibt auch dies deine Entscheidung!

Wichtig sind also das Erkennen, das Benennen und das Handeln?

Unbedingt! Psychische Probleme stellen in unserer Gesellschaft heute noch immer ein Tabuthema
dar. Ich persönlich stehe dazu, dass ich einen „Huscher“ habe. Mit derartigen Zuständen kämpfen viele, es muss sich nicht immer um eine Depression handeln. Die Palette ist weitreichend – von einem Unglücklichsein über Angstzustände bis hin zu Panikattacken. Ich bin kein Therapeut, aber was ich sagen kann, ist: Man muss nicht perfekt sein! Wer hat das erfunden? Wenn mir jemand vorjammert, dass er nicht einmal eine Stunde am Tag für sich Zeit hat, dann kann ich nur sagen: Es ist alles eine Frage der Einteilung. Du musst dir einfach die Zeit nehmen. Die Entscheidungsfreiheit ist schließlich das Schöne an unserem Leben. Wenn ich von Freitagabend bis Montagfrüh mein Handy abschalte,
dann ist dies meine Entscheidung, und der Effekt ist … ganz einfach: Am Wochenende habe
ich meine Ruhe!

Interview: Raimund Mühlburger, Fotos: Thomas Ramstorfer

03. November 2015 um