Toblacher Gespräche 2023: Von der Resilienz und Regeneration der Städte

Die Bodenversiegelung, die Schaffung von neuem Wohnraum und die Olympischen Spiele – diese und ähnliche Themen standen im Fokus der 34. Toblacher Gespräche.

Die 34. Toblacher gingen von 29. September bis 1. Oktober im Spiegelsaal des Grand Hotel Toblach über die Bühne und wurden von Karl-Ludwig Schibel und Wolfgang Sachs konzipiert und geleitet.

„Südtirol ist ein begehrtes Land und die Bevölkerung wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Doch der Wohnraum ist jetzt schon knapp, und er wird immer teurer. Deshalb braucht es neue Wohnmodelle – wie jenes des Co-Housing“, meinte Martina Dandolo, ökosoziale Designerin aus Meran, im Rahmen der Podiumsdiskussion. Doch Italien sei Schlusslicht bei der Entwicklung neuer Wohnmodelle, da es auch keine Gesetzgebung dafür gäbe.

„In Südtirol findet zu wenig sozialer Wohnbau statt, der den überhitzten Wohnungsmarkt positiv beeinflussen würde“, kritisierte Philipp Rier, Raum- und Stadtplaner aus Kastelruth. Der neue Klimaplan der Südtiroler Landesregierung sei laut Rier sehr schwammig und weise im Bereich Baugewerbe große Lücken auf. „Wir haben keine Kultur der Planung und der Partizipation. Es braucht einen Kulturwandel“, betonte er.

 

Paola Viganò

 

Marzia Bona, Forscherin am Institut für Regionale Entwicklung der Europäischen Akademie Bozen, meinte, die sozialen Ungleichheiten würden immer größer.

Paola Viganò, Professorin für Stadtplanung und Städtebau in Lausanne und Venedig, plädierte in ihrem Vortrag dafür, neue Konzepte des Städtebaus zu entwickeln, die die ökologische, soziale und räumliche Dimension zusammenführen. „Die Metropolen von morgen haben kein Zentrum und keine Peripherie.“ In Genf beispielsweise lebe die Hälfte der Bevölkerung in der französischen Peripherie, wo weniger Dienstleistungen zur Verfügung stehen. In Bezug auf die Klimakrise müssten wir uns laut Viganò von der Vorstellung verabschieden, unser Leben sei sicher und berge keine Risiken.

Susanne Waiz, freischaffende Architektin und Autorin aus Bozen, mahnte an, der korrekte Umgang mit historischer Bausubstanz sei nach wie vor schwierig. In den vergangenen Jahrzehnten wurden stets Neubauten forciert, Sanierungen aber wenig Beachtung geschenkt. Ein gutes Beispiel sei das aufgelassene Kasernenareal in Eppan, wo von der Gemeinde ein partizipativer Prozess angestoßen wurde, der aber nun ins Stocken geraten sei, was die bisher geleistete Arbeit obsolet mache.

 

Daniel Fuhrhop

 

In der EU sollen nach dem Willen des Rates der Mitgliedstaaten ab 2030 nur noch klimaneutrale Wohnhäuser gebaut werden dürfen. Ab 2050 müssen sie emissionsfrei sein. Daniel Fuhrhop, Wohnwendeökonom und Buchautor, aus Potsdam zeigte sich überzeugt: „Der komplette Wohnungsbau könnte ohne Flächenverbrauch auskommen, wenn man alternative Modelle fördern würde.“ Laut seinen Berechnungen könnten allein in Deutschland zwei Millionen Büros zu neuen Wohneinheiten umstrukturiert werden. In seinem Vortrag stellte er die Wohnraumvermittlung in Karlsruhe als Erfolgsmodell für bestehenden unsichtbaren Wohnraum vor.

Hans Mönninghoff, Öko-Aktivist und ehemaliger Umweltdezernent der Stadt Hannover, warnte in seinem Vortrag, Städte zu sehr zu verdichten. Das größere Potenzial läge darin, den Wohnraum zu begrenzen. 1998 lag der durchschnittliche Verbrauch bei 38 Quadratmeter, 20 Jahre später waren es im Durchschnitt bereits 10 Quadratmeter mehr. Mönninghof stellte sein Genossenschaftsmodell, das ecovillage in Hannover, vor. Dort werden derzeit 500 neue Wohnungen gebaut.

Simone Ines Linke, Professorin für Stadtplanung der Hochschule Weihenstephan, ist überzeugt, dass der städtische Raum neu gestaltet werden muss, um der Klimaerwärmung gerecht zu werden. „Im Vorjahr gab es in München 22 Hitzetage, im Jahr 2100 werden an die 100 sein. Die Folgen sind dramatisch. Ich plädiere dafür, mehr Grünflächen im Siedlungsbestand anzulegen und intelligente Maßnahmen umzusetzen: Bäume pflanzen, Dächer und Hausfassaden begrünen. Eine 80 Jahre alte Linde, das belegen Studien, hat eine kühlende Wirkung von 208 Kühlschränken. Wir brauchen aber auch klimafreundliche Verkehrskonzepte, weg vom Individualverkehr”, so Linke.

Sonia Gantioler, senior researcher an der Europäischen Akademie in Bozen, stellte das europäische Projekt „Just Nature“ vor, das die Rolle von Natur-basierten Lösungen für die zunehmend akuten Probleme wie Hitzeinseln, Überflutungen nach Starkregen, Luftverschmutzung und schwindende Biodiversität in Zusammenarbeit mit den Städten Meran und Bozen untersucht.

 

Karl-Ludwig Schibel (links) und Domenico Finiguerra

 

Domenico Finiguerra, Bürgermeister von Cassinetta di Lugagnano in der Metropolitanstadt Mailand, erinnerte daran, dass in Italien im Vorjahr täglich 22 Hektar verbaut und versiegelt wurden. Das Forum Salviamo il Paesaggio, das Finiguerra auch mitbegründet hat, hat im römischen Parlament einen Gesetzentwurf eingebracht, der einen sofortigen Baustopp in ganz Italien fordert. „Weshalb wird immer noch gebaut in einem Land, in dem 7 Millionen Wohnungen leer stehen und 700.000 Lagerhäuser aufgelassen wurden?”, fragte der Bürgermeister.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion zum Für und Wider der Olympischen Spiele Mailand Cortina 2026 verteidigte Thomas Schuster, Bürgermeister von Rasen-Antholz, die Austragung der Olympischen Spiele im Biathlon-Zentrum in Antholz. Auch er kritisierte den Gigantismus der Olympischen Spiele der Vergangenheit. „Wir haben zwar ein Speicherbecken gebaut, aber für die Olympischen Spiele wurde kein Quadratmeter mehr verbaut, und es wurde dafür auch keine Tourismuszone ausgewiesen.“

Luigi Casanova, Ehrenpräsident des Vereins Mountain Wilderness Italia, zeigte sich enttäuscht darüber, dass die Umweltverbände nicht gehört werden: „Die Olympischen Spiele sollten eigentlich nichts kosten, 95% der Infrastrukturen seien schon vorhanden, behauptete das Olympische Komitee, was aber nicht stimmt. Die Olympiade kostet jetzt schon 5 Mrd. Euro. Wozu eine neue Bob-Bahn in Cortina, wenn in den Bergtälern die Landflucht weiter geht und die sozialen Einrichtungen fehlen. Der Bauspekulation wird Tür und Tor geöffnet, wenn im Hochgebirge Luxus-Objekte errichtet werden. Die Olympischen Spiele bilden dabei einen Domino-Effekt“, ist sich Casanova sicher. „Es scheint, als ob auch die verantwortlichen Sportfunktionäre zur Einsicht gekommen wären, die Bob-Bahn in Innsbruck zu favorisieren”, meinte er.

 

Text: Redaktion, Fotos: Ulrike Rehmann

05. Oktober 2023 um