Der Weg des Holzes – von Tilliach nach Venedig

Michael Annewanter vom Chronistenteam der Gemeinde Obertilliach erzählte uns von den historischen Wegen des Holzes vom Lesachtal  bis in die Lagunenstadt Venedig.

Es ist Teil der österreichisch-venezianischen Geschichte und doch als historisch bedeutsames Kapitel vielen Osttirolerinnen und Osttirolern unbekannt: Große Mengen des Baustoffes Holz, die Venedig für Befestigungsmaßnahmen, den Brücken- und Hausbau, die Herstellung von Gondeln und die Glasindustrie im Laufe der Jahrhunderte benötigte, kamen als Fichtenstämme von außerordentlicher Qualität aus dem Osttiroler Gebirgsdorf Obertilliach. Das Osttiroler Lesachtal mit den Gemeinden Ober- und Untertilliach zeichnete sich schon immer durch einen großen Waldreichtum aus. Schon ab der frühen Neuzeit und bis ins 20. Jahrhundert herauf stellten die Waldwirtschaft und der Handel mit Holz die Basis für den Wohlstand der Region dar. Besonders begehrt war das Holz aus den Karnischen Südalpen in der Region rund um die norditalienische Stadt Venedig, ist doch die „Serenissima“, wie Venedig auch genannt wird, auf Millionen von Holzpfählen erbaut.

 

 

Transportiert wurde das Holz jahrhundertelang mit Pferde- und Ochsenfuhrwerken über den Karnischen Kamm und von dort aus weiter ins benachbarte Cadore, um dann auf dem Wasserweg bis in die Lagunenstadt zu gelangen. „Bereits im 16. Jahrhundert führte ein Weg von unserem Tal hinauf bis zur Porzescharte“, erzählt Michael Annewanter. Gemeinsam mit Christine Mitterdorfer und Roman Lienharter bildet der Obertilliacher das Chronistenteam seiner Heimatgemeinde.  Historisch interessiert, initiierte der heute 72-Jährige in Zusammenarbeit mit Dr. Egon Kühebacher aus Innichen auch die Publikation der Ortschronik „Obertilliach – Eine Tiroler Hochgebirgsgemeinde in Vergangenheit und Gegenwart“. Das Buch kann im Gemeindeamt von Obertilliach erworben werden. „Wenn man sich mit der Geschichte Obertilliachs beschäftigt, stößt man logischerweise immer wieder auch auf die alte Tradition des Holzführens“, sagt Michael Annewanter und verweist darauf, dass die Bauern des Lesachtales die meterlangen „Museln“ mit Ochsen, Pferden und eventuell mit Seilwinden bis zum Pass hinaufzogen. „Hier traf man sich mit italienischen Holzhändlern, die den Tilliachern die Holzstämme abkauften und in der Folge den Weitertransport organisierten.“

 

Michael Annewanter, einer der Obertilliacher Ortschronisten, weiß viel vom Weg des Holzes vom Lesachtal in die oberitalienische Lagunenstadt Venedig zu berichten.

 

Für die Bevölkerung des Lesachtales, die insbesondere unter den Folgen der Tiroler Freiheitskämpfe (1809) stark litt, bedeutete der Holzhandel eine Chance, die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern. „Um das Jahr 1822 herum wurde von der italienischen Holzfirma Lazzari ein winterfester Weg durch das Tal bis hinauf auf das Tilliacher Joch errichtet. Dies war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass in den Folgejahren große Mengen an Holz aus Ober- und Untertilliach sowie aus dem angrenzenden Oberkärnten über das Joch nach Italien gelangten.“ Die heimischen Bauern besaßen damals viele Pferde. Mit ihnen wurden die Holzstämme auf so genannten „Muselschlitten“ von den Lagerplätzen durch das Dorfertal bis auf die so genannten „Böden“ am Talschluss geführt. Dort befanden sich ein Umschlag- und Rastplatz, aber auch Stallungen für die Tiere.

 

Viele der Holzpfähle, auf denen Venedig gebaut ist, stammen aus den Lesachtaler Wäldern.

 

Michael Annewanter: „Danach zog sich der Weg mit Ochsen- und Pferdefuhrwerken bis zum Joch hin. Hier übernahmen die Vertreter der italienischen Firmen, die für die Beförderung des Holzes bis ins Cadore-Tal sogar eine Schleifbahn (eine so genannte ,Lische‘) anlegten.“ Der Weitertransport erfolgte, so der Ortschronist, auf dem Fluss Piave, der von den Karnischen Alpen bis in den Golf von Venedig fließt. „Venedig brauchte viel Holz – für die Befestigung der Stadt, für den Haus- und Brückenbau, für Gondeln und Schiffe, aber auch für die Glasindustrie.“

 

Historische Aufnahme von der Flößerei über die Piave nach Venedig

 

Über das florierende Holzgeschäft gelangten die Obertilliacher zu einem für damalige Verhältnisse überdurchschnittlichen Wohlstand. „Wie alte Quellen belegen, führte die Konzentration darauf jedoch zu einer Vernachlässigung der Landwirtschaft, was sich in späteren Notzeiten äußerst nachteilig auswirken sollte“, weiß Michael Annewanter. Er selbst hat sich in jungen Jahren sein Brot kurzfristig als Wegarbeiter und auch bei Holztransporten verdient und kann vieles von der körperlich sehr anspruchsvollen Arbeit erzählen. Mit der Inbetriebnahme der Eisenbahn durch das Pustertal im Jahre 1871 veränderte sich vieles grundlegend, auch der Weg des Holzes. „Die Baumstämme wurden nun nicht mehr über das Tilliacher Joch, sondern im Winter mit Pferdefuhrwerken entlang des Gailflusses auf einem bequemen Schlittenweg nach Rauchenbach in der Gemeinde Kartitsch geführt. Von dort transportierten es Pferdehalter zu Lagerplätzen bei der Bahnhofsstation in Sillian.

 

Peter Schneider (vulgo „Lechner“) aus Obertilliach beim Holzführen

 

Ab 1918 führte der Winterweg ab Obertilliach nicht mehr entlang der Gail, sondern auf der während des Krieges erbauten Landstraße nach Rauchenbach.“ Der vor 1871 viel frequentierte Weg über den Karnischen Kamm, die Porzescharte und das Tilliacher Joch wurde hingegen über die Jahre viel seltener, meist von Wanderern oder Wallfahrern, genützt. Ins Blickfeld der Öffentlichkeit traten die beiden Übergänge dann wieder im Mai 1915, als Italien der Österreichisch-Ungarischen Monarchie den Krieg erklärte. „Unsere Region wurde Kriegsgebiet. Die Porzescharte besetzten die Italiener, das Tilliacher Joch die Standschützenkompanie Lesachtal“, sagt Michael Annewanter dazu. Er verweist abschließend auch noch auf die Umwälzungen, die in der Zwischenkriegszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg das Alltagsleben veränderten: „Der Fußgängerverkehr über die beiden Pässe lebte in den Jahren nach 1918 vorübergehend wieder auf, versiegte dann aber fast zur Gänze. Die Pferde wurden ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich durch Lastautos und Traktoren abgelöst. Nur der Karnische Höhenweg, der heute die Bezeichnung ,Friedensweg‘ trägt, erlebte zuletzt wieder eine Renaissance. Er lockt heute als beliebter Weitwanderweg alljährlich zahlreiche Touristen in unsere Region.“

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Fotolia (Malcolm Anthony), Virgil Schneider, Fam. Bichler aus Untertilliach, Osttirol heute/Mühlburger

17. Dezember 2017 um