Lienzer Dekan Dr. Franz Troyer: „Ostern ist eine Zu-mut-ung!“

Im Oster-Interview erläutert der Lienzer Dekan Dr. Franz Troyer, warum Ostern viel mehr ist als ein Frühlingsfest oder einige Tage der Erholung.

Gerade in herausfordernden Zeiten sind Botschaften der Hoffnung und Zuversicht essentiell. Sie können den Blick wieder auf die Dinge lenken, die im Leben wirklich wichtig sind. Doch wo finden wir diese Botschaften und wie kann das Osterfest dabei helfen? „Ostern will und kann den Alltag verwandeln!“, betont Franz Troyer und regt auf die Frage nach dem Prinzip Hoffnung alle dazu an, selbst für andere zu einem Grund für Hoffnung und Zuversicht zu werden.

Herr Dekan, wir leben in einer unruhigen Zeit, in einer Zeit des Wandels. Wie nehmen Sie dies persönlich wahr?

Ich habe den Eindruck, dass derzeit in vielen Bereichen unserer Welt und unserer Gesellschaft der Wurm drin ist. Ich sehe kaum Aufbruchstimmung, sondern eher das Ansteigen von Aggression und Misstrauen. Die Sprache in der Politik wird schärfer, viele gesellschaftliche Schichten definieren sich im Gegeneinander, die Teuerung in vielen Bereichen macht den Menschen zu schaffen. Trotz der sozialen Medien nimmt die Einsamkeit zu, leider auch bei Jugendlichen. Die Kriege in der Ukraine und in Israel hinterlassen Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wir drehen uns im Kreis und müssen uns die Frage stellen: Wie können wir da als Einzelne und als Gesellschaft wieder herauskommen?

In einem Prozess der Veränderung befindet sich auch die Kirche. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht konkret?

Die Kirche schafft es in dieser angespannten Situation nicht, ein Ort der Hoffnung zu sein und die revolutionäre Botschaft Jesu als Samenkorn des Vertrauens und der Versöhnung zu leben. Sie dreht sich derzeit auch zu sehr um sich selbst. Der weltweite synodale Prozess, den Papst Franziskus angestoßen hat, ist nun ein Versuch, einiges in Bewegung zu bringen. Ich hoffe, dass durch die weltweite Synode in der Kirche einiges verbessert wird. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist für mich ein Gebot der Stunde. Das Diakonat der Frau könnte mithelfen, dass die Kirche ihre Sendung für die Welt besser und einfacher erfüllen kann. Damit würde sie auch wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Wie könnte es mit der Kirche in Österreich weitergehen?

Ich bin ein Fan der Pfarren als Ort, wo die Botschaft von Jesus gesucht und gelebt wird. Die Zeiten, in der Pfarren ein Einmann-Betrieb waren, sind Gott sei Dank vorbei. Wer könnte sich heute eine blühende Pfarre ohne die vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen MitarbeiterInnen vorstellen? Danke den LektorInnen, KommunionhelferInnen, MusikerInnen, WortgottesdienstleiterInnen, MitarbeiterInnen bei Basaren, im Sozialkreis, in der Liturgie, bei der Sternsingeraktion und vielen Hilfsaktionen! In unserer Diözese sind wir gerade dabei, neue Leitungsmodelle für die Pfarren und Seelsorgeräume zu entwickeln, damit diese organisatorisch gut geleitet werden können. So werden einerseits die Priester für die Seelsorge „freigespielt“ und andererseits viele Begabungen gelebt und gefördert. Das Ziel ist klar: Die Kirche muss auf vielen Beinen stehen, um die vielen Talente besser zu nützen. Die Weitergabe des christlichen Glaubens darf nicht nur an die Priester delegiert werden, sie betrifft alle!

Was wünschen Sie sich für die Kirche Osttirols?

Ich hätte manchmal gerne, dass eine versteckte Kamera das viele Schöne festhält, das ich sehe und erlebe. Da würden manche nur staunen, was es in unseren Pfarren alles gibt und wie viel Hilfsbereitschaft und Freude in den Pfarren erlebt und gefördert wird. Danke dafür! Mich bedrückt aber natürlich, dass der Gottesdienstbesuch auch bei uns abnimmt. Ich frage mich, warum so viele Menschen im gemeinsamen Beten kaum mehr eine Kraftquelle und spirituelle Inspiration für ihr Leben erfahren. Wo kann ich regelmäßig von Jesus Impulse erhalten und die Welt ins Gebet nehmen, wenn nicht bei der Sonntagsmesse? Wir brauchen Nahrung für Leib und Seele, um religiös fit zu bleiben. Ich bin froh, dass es seit Aschermittwoch im Franziskanerkloster Lienz eine Teestube gibt, damit Menschen gerade in der kalten Jahreszeit nicht auf den Straßen herumirren müssen. Die Teestube wird von Ehrenamtlichen begleitet, das Franziskanerkloster stellt die Räume gratis zur Verfügung. Mit der Teestube können wir ganz konkret mithelfen, jenen Menschen einen Platz zu geben, die vielfach draußen vor der Tür stehen. Ich wünsche mir, dass die Pfarren Osttirols noch breiter aufgestellt und die verschiedenen Dienste von der Bevölkerung geschätzt werden. Jammern, dass immer weniger Priester da sind, ist zwar verständlich, aber hilft uns nicht weiter. Es zieht uns hinunter und liefert sogar Ausreden, sich noch weniger Zeit für den Glauben zu nehmen.

Und das neue Bildungshaus Osttirol?

Die Umbauarbeiten für das neue Bildungshaus Osttirol im Pfarrhaus St. Andrä sind fast abgeschlossen. Ich lade herzlich dazu ein, die neuen modernen Räume ab April zu nützen. Das Bildungshaus soll ein Ort der Begegnung und kulturellen sowie spirituellen Fortbildung für ganz Osttirol
werden. Gerade im Blick auf den Theologischen Fernkurs, der im November 2024 in Lienz beginnt (normalerweise werden dafür als Veranstaltungsort die Landeshauptstädte ausgewählt), sehe ich eine riesige Chance für unseren Bezirk. Ich träume davon, dass aus jedem Osttiroler Ort wenigsten eine Person beim Kurs mitmacht. Was für ein Netz, das wir dadurch spannen könnten! Dann gibt es viele ChristInnen, die vernetzt sind, um ihren Glauben Bescheid wissen und auskunftsfähig sind.

Das wichtigste Fest der katholischen Kirche steht unmittelbar bevor. Wie passt Ostern in die heutige Zeit?

Auf die Frage „Warum bist du ein Christ“ hat vor 1.500 Jahren jemand geantwortet: „Komme zu mir und verbringe die Karwoche mit mir zusammen. Dann wirst du erleben, warum ich ein Christ bin“. Im ersten Coronajahr 2020 habe ich mir zu Ostern gedacht: „Jetzt benötigen wir Ostern mit seiner Botschaft und den Feiern umso notwendiger!“ Das sehe ich auch heuer so. Ostern ist in einem tieferen Sinn eine Zu-mut-ung. Diese besteht schon einmal darin, an einen Gott zu glauben, der Opfer aller möglichen Intrigen wird. Schon Paulus sagte, dass das Wort vom Kreuz für viele eine Torheit sei. In Jesus begegnet uns ein sympathischer Gott, weil er unsere Krisen und Ängste nicht nur von einem fernen Himmel aus kommentiert, sondern selbst in den tiefsten Dreck unserer Menschheit hineinsteigt. Jesus ist sympathisch, wobei das Wort „sympathisch“ hier übersetzt „mitleidend“ bedeutet. Mit seiner Liebe ohne Widerruf durchbricht Jesus den Kreislauf der Gewalt und des Hasses. Jesus ist für mich der größte Liebhaber der Welt und die glaubwürdigste Person, die es gibt. Auch deswegen, weil er den Weg durch die Karwoche zum Osterfest gegangen ist.

Warum wird Ostern in dieser Konzentration der Liturgien begangen?

Die Karwoche und Ostern haben eine klare Reihenfolge. Im Gegensatz zu den Weihnachtsfeiertagen kann diese in der Karwoche nicht umgeändert werden. Es geht nicht, den Karfreitag vor dem Gründonnerstag zu feiern oder die Osternacht vor dem Karfreitag. Vor Jahren habe ich dazu folgenden Text geschrieben: „Betritt die Karwoche durch das Jerusalemer Stadttor des Palmsonntags. Gut, dass hier alle Menschen hineingehen dürfen. Vergiss nicht die ersten drei Tage der Woche. Am Montag reinigt Jesus den Tempel. Zu vieles hat sich dort angesammelt. Den Dienstag verwendet Jesus für Gespräche mit ganz verschiedenen Menschen. Am Mittwoch gibt es in Betanien ein Mahl für Leib und Seele, bei dem die Salbung Jesu den Duft der Hoffnung verströmt. Karwoche ohne Gründonnerstag ist wie ein Wasserfall ohne Quelle. Die Quelle der Heiligen Messe versiegt nicht. Karwoche ohne Karfreitag ist wie Reden über Gott, ohne an die Menschen zu denken. Der Karsamstag wird allzu leicht übersehen. Wer will schon gerne warten und Unsicherheiten aushalten. Der Ostermorgen ist das Ziel der Karwoche. Eine Karwoche ohne Ostermorgen wäre wie ein Todeskommando. Wir fahren nicht auf eine dicke Betonwand zu, sondern auf das unbeschreibliche Tor der Auferstehung. Gehe langsam durch diese Woche. Gehe Schritt für Schritt wie Jesus damals vor 2.000 Jahren, damit du Freude und Leid nicht übersiehst und deine Seele mitkommen kann.“

Warum hat es das Prinzip Hoffnung heute so schwer?

Was sage ich zu Menschen, die es nicht leicht haben, die in manchen Bereichen gescheitert sind und oft enttäuscht wurden? Hier zu betonen „Du musst Hoffnung haben! Du musst vertrauen!“ stimmt zwar inhaltlich, aber hilft nicht weiter und ist zu wenig. Leichter geht es, wenn wir Menschen erleben, die Hoffnung ausstrahlen. Leider erleben junge Leute kaum Freude in unserer Kirche, leider bekommen sie kaum Antworten auf ihre Fragen und suchen sie dann auch nicht bei uns. Ich freue mich immer, wenn sich Menschen vernetzen und im Guten gegenseitig stärken. Der Apostel Petrus meinte in einem Brief: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig.“ Und vielleicht sollten wir alle uns die Fragen stellen: „Wo erlebst du hoffnungsvolle Menschen?“, „Wo bist du selbst für andere ein Grund der Hoffnung?“

Würden Sie sagen, dass Hoffnung in ihrer menschlichsten Form eng mit Ostern verknüpft ist?

Ich höre immer wieder den Satz „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“ Damit drücken Menschen aus, dass sie nicht aufgeben und trotz Niederschlägen weitermachen wollen. Das ist erfreulich, aber als Begründung auf Dauer zu wenig. Die letzte Begründung ist für mich persönlich klar: Jesus ist der Grund unserer Hoffnung. Weil Jesus durch Leiden hindurch zur Auferstehung gegangen ist, hat alles ein gutes Ziel und im Letzten sogar einen Sinn. Man sieht also: Ostern ist eine Zu-mut-ung, die uns Mut zuspricht. Ostern ist viel mehr als ein Frühlingsfest oder einige Stunden der Erholung, um dann den harten Alltag wieder leichter zu bewältigen. Ostern will und kann den Alltag verwandeln! Für viele, so scheint es, ist Ostern nur mehr ein Traditionsfest. Wie kann es die Kirche schaffen, wieder bei denen Anschluss zu finden, die eine Ferne zu ihr entwickelt haben? Hier kann ich nur einladen, besondere Feste im Kirchenjahr zu feiern und manche Traditionen und Bräuche neu mit Inhalt zu füllen. Manchmal hilft ein Gespräch mit engagierten Menschen, manchmal auch ein gutes Buch. Nur Mut!

Wie würden Sie einem Menschen ohne kirchliche Bindung erklären, dass Jesus auferstanden ist?

Jesus gibt nicht nur Tipps, was wir tun sollen. Jesus zeigt nicht nur den Weg des Lebens und der Liebe, sondern ist ihn selbst gegangen. Der Tod ist für mich wie eine dicke Betonmauer, die durch die Auferstehung Jesu ein Loch hat. Durch die Auferstehung ist die Mauer des Todes und des Leides nicht verschwunden, aber sie hat ihre Macht verloren. Die Auferstehung Jesu motiviert, aufzustehen und Löcher in der Mauer zu nützen. Die Auferstehung Jesu ist der beste Hinweis auf ein Leben nach dem Tod!

Was bedeutet Ihnen persönlich Ostern?

Ich finde es faszinierend, Schritt für Schritt die einzelnen Tage der Karwoche zu gehen. Ich könnte mir nicht vorstellen, einen Tag auszulassen. Natürlich ist die Karwoche für mich als Priester auch eine anstrengende Woche. Aber ich tue es gerne.

Welches Buch lesen Sie gerade?

Ich lese gerne Bücher über historische Ereignisse. Das Buch „Verlust der Heimat. Die Geschichte der vertriebenen Deferegger“ ist erschütternd und beeindruckend zugleich. Die Biographie des tschechischen Priesters Tomas Halik mit dem Titel „All meine Wege sind DIR vertraut. Von der Untergrundkirche ins Labyrinth der Freiheit“ habe ich verschlungen. Es ist spannend, was ein Mensch erlebt hat und auch hilfreich zu sehen, wie verschieden europäische Staaten sind.

Danke für das Gespräch!

 

Interview. E. Hilgartner, Foto: © AdobeStock/Bill Ernest

29. März 2024 um