Tradition trifft Moderne: Die Heiligenbluter Bergführer im Wandel der Zeit

Der Bergführerverein Heiligenblut blickt stolz auf seine Wurzeln am Fuße des Großglockners und steht gleichzeitig modernen Entwicklungen offen und innovativ gegenüber.

Es scheint hoch gegriffen – und ist doch keine Übertreibung. In Heiligenblut im Mölltal und in Chamonix in Frankreich befindet sich die Wiege des Alpinismus. „Der Alpenbogen wurde zuerst und etwa zeitgleich vom östlichen und westlichen Rand her erforscht. Der Bergführerverein Heiligenblut wurde 1870 gegründet. Das Bergführertum in unserer Gegend ist aber wesentlich älter und begann im Jahr 1779, als der französisch-österreichische Universalgelehrte Belsazar Hacquet das Mölltal zum ersten Mal bereiste“, erzählt Obmann Martin Glantschnig.

 

 

Hacquets Buch „Eine botanische Lustreise vom Berg Terglou zum Glockner“ erschien 1781 und begeisterte die Wissenschafts-Elite für die Berge. „Ich habe noch niemals einen so hohen Berg so gespißt gesehen (…)“, schrieb der Gelehrte beim Anblick des Großglockners in Heiligenblut und wollte weiter hinauf bis „unter die Eisberge“. Hacquet drang bis zur Pasterze vor. Den Begriff des „Bergführers“ gab es damals noch nicht. „Die Notwendigkeit von verlässlichen ,Geleitern‘ stand für Hacquet jedoch außer Frage – und er fand sie unter den heimischen Bauern. Diesen war damals wohl noch nicht bewusst, dass sie einen für ihre Heimat später äußerst wichtigen Beruf begründeten“, meint Martin.

 

Heiligenbluter Bergführer bei einer Nachverfilmung der Erstbesteigung des Großglockners

 

Erstbesteigung des Großglockners

Am 25. August 1799 erreichte die 1. Glocknerexpedition die Spitze des Kleinglockners und errichtete dort das erste Gipfelkreuz der Welt. Die Teilnehmer der zweiten Glocknerexpedition, die von Fürstbischof Graf Salm finanziert wurde, standen am 28. Juli 1800 erstmals auf dem Gipfel des Großglockners. „Damit hatte das professionelle Bergführen in unserem Tal begonnen. Die Führer wurden damals bereits bezahlt“, so der Obmann. Immer mehr Adelige, wohlhabende Bürger und Forscher erlagen der Faszination der Berge – und reisten auch ins Mölltal.

Erzherzog Johann von Österreich besuchte in den 1830er-Jahren Heiligenblut und bestieg den nach ihm benannten  Johannisberg. Er ließ bei der Gamsgrube die „Johannishütte“ (später „Hofmannshütte“) erbauen. Kaiser Franz Josef I. und Kaiserin Elisabeth besuchten 1856 Heiligenblut und die Pasterze. Franz Keil erreichte 1859 die Adlersruhe von Kals aus über das Ködnitzkees. Die Besteigung des Großglockners gelang wenige Tage später mithilfe eines Bergführers aus Heiligenblut.

 

Der Bergführerverein Heiligenblut im Jahre 1920

 

Gründung des Bergführervereins Heiligenblut

Spätestens als das junge Kaiserpaar Heiligenblut besucht hatte, wurde der Ort mit diesem außergewöhnlichen Berg für alle Abenteurer unter der gebildeten und wohlhabenden Elite Europas zum Sehnsuchtsort – auch die Nachfrage nach Führern stieg. So beschlossen die Heiligenbluter Bergführer im Jahr 1870, einen Verein ins Leben zu rufen. Am 26. Mai brachten sie einen Gründungsantrag ein, und Landesfürst Lodron bestätigte diesen am 28. Juli 1870, auf den Tag genau 70 Jahre nach der Erstbesteigung des Großglockners. Damit begründeten die Heiligenbluter den erst zweiten Bergführerverein der Welt.

Bereits ein Jahr zuvor, 1869, hatte Johann Stüdl auf der Tiroler Seite des Glockners mit den Kalsern den Grundstein für den ersten Bergführerverein der Welt gelegt. Das hatte die Heiligenbluter wohl herausgefordert. Fast 60 Jahre besaßen sie eine Art Monopol am Glockner, bis ab 1859 endlich auch ein direkter Anstieg von Kals aus möglich war.

 

Heiligenbluter Bergführer mit Gästen nach gelungener Glockner-Besteigung auf der Pasterze um 1930

 

„Überliefert ist, dass die Kalser wesentlich weniger Geld verlangten als die Heiligenbluter, obwohl sie hervorragende Bergführer waren“, weiß Martin zu berichten. Aus früherer Konkurrenz ist heute längst eine fruchtbringende Partnerschaft geworden. „Mit den Kalser Bergführern verbindet uns eine ausgezeichnete Zusammenarbeit und Freundschaft. Bei gemeinsamen Veranstaltungen, wie z.B. dem Bergführer-Seilrennen, bei Wegerhaltungs- und Absicherungsarbeiten sowie Bergrettungseinsätzen treffen wir uns regelmäßig. Wir arbeiten auch in Sachen Bergführerwesen eng zusammen und tauschen uns aus. Die Adlersruhe ist so etwas wie der gemeinsame Stützpunkt der Kalser und Heiligenbluter Bergführer am Großglockner geworden“, freut sich der Obmann.

 

 

Kompetenz und Sicherheit am Berg

Der Bergführerverein Heiligenblut besteht heute aus 15 Bergführern und acht Alt-Bergführern. Der Verein verbindet die alpine Bergführertradition mit zeitgemäßer Innovation und steht für höchste Kompetenz und Sicherheit am Berg. Neue Technologien, veränderte Freizeitgewohnheiten und sich wandelnde Klimabedingungen erfordern eine Anpassung und Weiterentwicklung, der man sich mit viel Engagement und Offenheit widmet.

 

Der Bergführerverein Heiligenblut vor der weltbekannten Kulisse des Großglockners und der Wallfahrtskirche

 

„Wir dürfen zahlreiche Alt-Bergführer zu unserem Kreis zählen. Hans Pichler, unser ältestes Mitglied, ist 93 Jahre alt. Besonders am Herzen liegt uns auch die Jugendförderung. Von uns mitfinanziert werden z.B. der Kletterturm Großkirchheim und der Klettergarten Heiligenblut. Mit allen Volksschulen des oberen Mölltales veranstalten wir Kinderklettern, und fünf bergbegeisterte Jungs fördern wir aktiv, um ihnen die kostenintensive Bergführerprüfung zu ermöglichen. Alle unsere Provisionsüberschüsse fließen in derartige Förderprojekte. Auch Wegsanierungsprojekte unterstützen wir durch finanzielle Mittel und insbesondere auch durch die Arbeitsleistung unserer Mitglieder“, informiert der Obmann.

 

 

Elisabeth Fürstaller – eine begeisterte Bergführerin

Bis zum Jahr 1980 konnten nur Bergführer aus Heiligenblut vom Mölltal aus Gäste auf den Großglockner führen und Mitglied im Verein werden. Danach war dies auch Bergführern aus der Nachbargemeinde Großkirchheim möglich. Als 2022 Martin Glantschnig die Obmannschaft übernahm, wurde beschlossen, dass auch Bergführer außerhalb dieser beiden Gemeinden Mitglied werden können. „So haben wir Wolfgang Warmuth aus Flattach und Elisabeth Fürstaller aus Trebesing im Maltatal aufgenommen. Beide sind nicht nur ausgezeichnete Bergführer, sondern bringen sich auch aktiv in den Verein ein – wie z.B. bei Arbeitseinsätzen im Zuge von Wegsanierungen. Besonders stolz sind wir auch, dass Lisi als eine der wenigen weiblichen Bergführerinnen Österreichs unserem Verein angehört“, so der Obmann.

 

Die gebürtige Salzburgerin Elisabeth „Lisi“ Fürstaller ist die erste und derzeit einzige weibliche Bergführerin, die als Mitglied im Bergführerverein Heiligenblut aufgenommen wurde.

 

Elisabeth Fürstaller ist in einer „Bergführer-Familie“ in Taxenbach im Pinzgau aufgewachsen. „Mein Vater Alois war Bergführer und hat eine Alpinschule betrieben. Auch mein Onkel Wastl hat diesen Berufsweg eingeschlagen, und so habe ich bei Berg- und Skitouren gemeinsam mit ihnen schon als kleines Kind meine Liebe zu den Bergen entdeckt. Später entschloss ich mich, die Bergführer-Ausbildung zu absolvieren“, blickt Lisi, die mit ihrer Familie heute in Trebesing nahe Gmünd lebt, zurück. Seit 2012 führt sie auch für den Bergführerverein Heiligenblut.

„Mein Hauptberg im Sommer ist der Großglockner. Ich führe Gäste aber auch gerne auf die Nebenberge der Glocknergruppe, auf die Hochalmspitze, den Großvenediger und andere Gipfel im Nationalpark Hohe Tauern. Vor der Geburt meiner Tochter war ich gerne auch in den Westalpen oder z.B. in Slowenien unterwegs.“

 

Obmann Martin Glantschnig mit Lisi Fürstaller bei einer gemeinsamen Tour auf das Kreuzeck

 

Dass sie oft die einzige Frau inmitten der männlich geprägten Welt des Bergführerwesens ist, stellt für Lisi weder eine Besonderheit noch ein Problem dar. „Unter den Kollegen ist es nichts Außergewöhnliches mehr, dass ich eine Frau bin. Gäste reagieren manchmal im ersten Moment etwas überrascht, sind dann aber meist begeistert. Im Vordergrund steht sowieso das Bergerlebnis“, sagt Lisi. Mit ihrer Leidenschaft für die Bergwelt und ihrem Fachwissen beweist sie tagtäglich, dass das Geschlecht keine Rolle spielt, wenn es um schöne Erlebnisse am Berg und die Sicherheit der Bergsteiger geht.

„Wenn ich draußen in der Natur unterwegs bin, die Wünsche meiner Gäste erfüllen und bleibende Erinnerungen schaffen kann, fühle ich mich am wohlsten und bin definitiv in meinem Element. In der heutigen schnelllebigen Zeit schätzen die Gäste besonders auch das gemeinsame Erleben. Bei Berg- und Skitouren wächst man als Team zusammen“, schwärmt die Bergführerin von ihrem Beruf, bezeichnet diesen aber auch als anspruchsvoll. „Es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Man will den Gästen schöne Eindrücke bieten, muss aber auch manchmal umdisponieren und die Tour an die Verhältnisse anpassen. Höchstmögliche Sicherheit hat immer oberste Priorität.“

 

 

Ihre Kollegen vom Bergführerverein Heiligenblut lobt Lisi abschließend in hohen Tönen: „Obwohl es sich um einen traditionellen Bergführerverein handelt, sind die Heiligenbluter immer offen für Neues und aufgeschlossen für Vorschläge und Ideen. Es wird unter den Mitgliedern viel diskutiert und gemeinschaftlich entschieden. Jeder bringt seine Fähigkeiten ein, und man fühlt sich stets eingebunden. Was uns verbindet, ist die Liebe zur Heimat und die Leidenschaft für die Berge.“

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: BergimBild, Daniel Gorgasser, Georg Schiechl, Bergführerverein Heiligenblut

28. März 2024 um