Betend unterwegs sein: Wallfahrten rund um den Großglockner

Die Pinzgauer Wallfahrt, die Wallfahrt von Kals a.Gr. nach Heiligenblut und jene von Heiligenblut nach Obermauern – eine Reportage über Pilgern rund um den Großglockner.

Schritt für Schritt mehr bei sich selbst ankommen und fernab von allen Verpflichtungen zurück zum Wesentlichen finden – Pilgerwanderungen und Wallfahrten liegen nicht erst in der heutigen Zeit im Trend. Pilgerreisen zu heiligen Stätten wurden schon im alten Ägypten, aber auch bei den Persern, Griechen und Römern unternommen. Im Christentum führen Bittgänge ab dem vierten Jahrhundert ins Heilige Land, zu den Stätten der Märtyrer oder später nach Rom. Bis heute gelten Wallfahrten in der Katholischen Kirche als wichtige Unternehmungen – und bis heute haben sie für viele Menschen eine große Bedeutung. Dies gilt auch für die Organisatoren und Teilnehmer*innen jener Wallfahrten, die rund um den Großglockner führen. Uns haben Günter Neumayr, Gerhard Gratz und Sepp Schachner viel Interessantes über die Pinzgauer Wallfahrt, die Wallfahrt von Kals a. G. nach Heiligenblut und über jene von Heiligenblut im Mölltal nach Obermauern im Iseltal erzählt.

 

Teilnehmer der Pinzgauer Wallfahrt auf dem Weg nach Heiligenblut. Foto: Wolfgang Machreich

 

Die Pinzgauer Wallfahrt

Die größte Wallfahrt im Bundesland Salzburg ist die Pinzgauer Wallfahrt. Sie führt einerseits von Ferleiten und andererseits vom Rauriser Tauernhaus nach Heiligenblut. Die Wallfahrt findet jährlich am 28. Juni statt. Bis zu 5.000 Menschen beteiligen sich an dieser etwa 35 Kilometer langen Wanderung, bei der rund 1.300 Höhenmeter zu überwinden sind. Günter Neumayr, Tapezierermeister aus Mittersill, hat als elfjähriger Ministrant am 28. Juni 1980 zum ersten Mal teilgenommen. Zusammen mit seinem gleichaltrigen Ministranten-Kollegen Wolfgang Machreich, der heute Journalist ist, hat er die historische Pinzgauer Wallfahrt aufgearbeitet und 2019 ein 370 Seiten starkes Buch herausgegeben.

 

Die Buchautoren Wolfgang Machreich und Günter Neumayr. Foto: Annemarie Neumayr

 

„Für uns Kinder war der Tag der Wallfahrt der wichtigste im ganzen Jahr. Auch heute noch halte ich mir den 28. Juni immer frei, um nach Heiligenblut mitgehen zu können“, erzählt der Mittersiller. In den 1980er-Jahren wurde eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, um die Pinzgauer Wallfahrt nach Heiligenblut vorzubereiten. Obmann ist heute Pfarrer Alois Dürlinger, Günter Neumayr sein Stellvertreter.

 

Gebetsrast am Gipper. Foto: Georg Kirchner

 

„Die erste Wallfahrt nach Heiligenblut von Ferleiten aus ist für das Jahr 1544 dokumentiert. Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben finden sich in den Raittungsbüchern der Pfarrkirche Stuhlfelden aus dieser Zeit. Die Wallfahrt von Rauris aus ist erst später hinzugekommen. 3.000 bis 5.000 Menschen beteiligen sich alljährlich an der Wallfahrt. Früher war der Anteil jener, die von Ferleiten aus starteten, größer. Heute gehen meiner Einschätzung nach mehr Teilnehmer von Rauris aus – vielleicht auch, weil dort der Weg etwas kürzer ist“, so der Mittersiller.

 

Den Psalter betend geht es hinter der Fahne bergan. Foto: Annemarie und Günter Neumayr

 

Die Wallfahrt von Ferleiten startet um 5.00 Uhr früh mit einer Hl. Messe in der dortigen Kapelle. „Wir beten während der rund 35 Kilometer langen Wanderung immer wieder alle drei Psalter des Rosenkranzes. Vier Gebetsrasten sind vorgesehen – am Petersbründl, am Fuscher Törl, am Elendboden und bei der Gipperkapelle. Dort halten wir inne, stärken uns – und wir widmen jede Rast einem gewissen Thema. Am Elendboden, wo eine Gedenktafel an die im Jahr 1683 bei einem Schneesturm zu Tode gekommenen Wallfahrerinnen und Wallfahrer erinnert, gedenken wir all unseren verstorbenen Angehörigen und Freunden, besonders jenen, die im letzten Jahr verstorben sind.“

 

Die Wallfahrer aus Salzburg nach ihrer Ankunft bei der Messe in der Heiligenbluter Pfarrkirche. Foto: Toni Schipflinger

 

Um ca. 17.00 Uhr erreichen die Wallfahrerinnen und Wallfahrer das Glocknerdorf Heiligenblut. „Zum Abschluss wird in der Pfarrkirche eine Messe zelebriert. Früher haben viele auch im Kärntner Mölltal übernachtet und am nächsten Tag – der 29. Juni ist das Fest „Peter und Paul“ – eine Wallfahrermesse gefeiert“, weiß Günter zu berichten.

 

Gebetsrast am Elendboden. Foto: Andrea Rachensperger

 

War es die Pest oder die Gefahr von Raubtieren? Der Hintergrund der Pinzgauer Wallfahrt nach Heiligenblut lässt sich nicht genau klären. Kanonikus Josef Lahnsteiner, eine anerkannte Instanz, was die Pinzgauer Heimatforschung betrifft, führt im Band „Unterpinzgau“ seines dreiteiligen historischen Standardwerks die Raubtier-Erklärung an. „Als Wölfe und Luchse in unserer Gegend überhandnahmen und ihre Blutgier an den harmlosen Haustieren befriedigten, gelobten die Bauern in ihrer Hilflosigkeit eine jährliche Wallfahrt zum heiligen Blut jenseits der Tauern“, schreibt Lahnsteiner und belegt seine Annahme mit einem Verweis auf Aufzeichnungen aus dem Pfarrarchiv Taxenbach aus dem Jahre 1729, wo es heißt: „Vor unvordenklichen Jahren (sicut traditio), als die Wölf von dem Thauerngebürg großen Schaden gethan, man einen beschwerlichen Creuzgang yber den Thaurn zum Hl. Blueth gelobt, so noch alle zwei Jahr verrichtet würdt …“.

 

Wallfahrergruppe aus dem Pinzgau vor der Gipperkapelle im Jahre 1910. Foto: Brigitte und Josef De Mas

 

Als zweites Motiv für die Pinzgauer Wallfahrt nach Heiligenblut wird die Pestgefahr genannt. Ein maßgeblicher Vertreter dieser Idee ist der frühere Wallfahrtsleiter Pfarrer Josef Binder. Die von ihm verfasste Festschrift zum 450-Jahr-Jubiläum der Wallfahrt beginnt mit einer Beschreibung der Pesterfahrung im Oberpinzgau: „Der Atem der Pest zieht durch’s Tal, legt sich über die Dörfer und Gehöfte. Allen droht der schwarze Tod.“ Binder verweist auf die Pestjahre 1482 und 1495 im Oberpinzgau und die angesichts dieser Schreckenserfahrung gebaute Weyerkirche in Bramberg: „Als Sebastianikirche ist dieses kleine Heiligtum … ein einziges Bittgebet um Gesundheit und Leben.“ Und von dieser Gelöbniskirche in Bramberg spannt Binder auch die Verbindung zur angeblich nach alter Überlieferung von Bramberg ausgehenden Pinzgauer Wallfahrt nach Heiligenblut: „So mag auch das unheimliche Schreckhafte und die tödliche Furchtbarkeit der Pestseuche zur Entstehung der Pinzgauer Wallfahrt nach Heiligenblut beigetragen, wenn nicht überhaupt den Anstoß gegeben haben.“

 

Eine Kerze zum Gedenken an die Corona-Pandemie. Foto: Annemarie und Günter Neumayr

 

Unabhängig davon, welche Theorie nun die richtige ist, für Günter Neumayr sind der Glaube und das Gemeinschaftserlebnis das Wichtigste. „Bei allem Trend zum Pilgern und Weitwandern wollen wir nicht, dass unsere Wallfahrt als Folklore- oder Tourismus-Veranstaltung gesehen wird. Das gemeinsame Gehen und Beten sowie der Austausch stehen neben dem Bewahren alter Traditionen immer im Vordergrund. Wir wollen für das vergangene Jahr Danke sagen und uns mit unseren Sorgen und Anliegen an den Herrgott wenden. Leider war in den Jahren 2020 und 2021 infolge der Corona-Pandemie eine Durchführung der Wallfahrt in gewohnter Form nicht möglich. In kleinem Kreis sind wir trotzdem nach Heiligenblut gepilgert und haben um Gesundheit und den Erhalt des sozialen Friedens in der Gesellschaft gebetet. Eine eigens gestaltete Kerze, die wir nach Heiligenblut mitgebracht haben, soll uns immer an die Pandemie erinnern“, schließt er mit nachdenklichen Worten.

 

Das Buch „Pinzgauer Wallfahrt nach Heiligenblut“ ist bei den Herausgebern Günter Neumayr (buch@neumayr.at) und Wolfgang Machreich (buch@machreich.eu) erhältlich.

 

Wallfahrer aus Kals am Großglockner unterwegs nach Heiligenblut. Foto: Gratz

 

Die Wallfahrt von Kals am Großglockner nach Heiligenblut

Die Bevölkerung von Kals führt seit dem Jahr 2002 eine Wallfahrt nach Heiligenblut durch. Die Idee dazu entstand im Rahmen des Projektes „Gemeinsam für Kals“. Gerhard Gratz, damals als Gemeinderat aktiv, fungierte bis vor Kurzem 10 Jahre lang als Obmann des Pfarrgemeinderates, der für die Organisation verantwortlich zeichnet.

 

Gerhard Gratz ist auch Wanderführer. Foto: privat

 

„Die erste Wallfahrt fand am 29. September 2002 statt, doch erwies sich der Herbsttermin als nicht ideal. Wir mussten den Termin drei Mal absagen, weil im Hochgebirge bereits Schnee lag. Deshalb einigten wir uns darauf, die Wallfahrt immer am letzten Samstag im Juni durchzuführen.“ Gestartet wird um 5.00 Uhr früh bei der Kalser Pfarrkirche. „Wir wandern zum Lucknerhaus, wo wir eine kurze Andacht halten. Dort stoßen weitere Pilger hinzu. Dann geht es auf die Glorerhütte, wo es ein kleines Frühstück, meist in Form einer Suppe, gibt. Nach einer kurzen Andacht beginnt der Abstieg über das Leitertal. Zwei Jugendliche tragen während der Wanderung das Kreuz“, schildert Gerhard der Kalser den ersten Teil der Route.

 

Foto: Gratz

 

Gerhard Gratz ist selbstständiger Bauunternehmer und ein begeisterter Wanderführer. „Wir beten bei der Wallfahrt immer wieder den Rosenkranz, meist in Begleitung eines Priesters. In den vergangenen Jahren nahm unser Dekan Ferdinand Pittl teil. Bei der Bricciuskapelle halten wir kurz inne“, informiert er und betont, dass für ihn „während der Wallfahrt neben dem Glauben immer auch Gemeinschaft, Rücksichtnahme und Naturerleben mitschwingen“.

 

Kalserinnen und Kalser mit Pfarrer Ferdinand Pittl bei der Wallfahrt 2017. Foto: Gratz

 

Rund 26 Kilometer Strecke legen die Kalserinnen und Kalser bis zur Heiligenbluter Pfarrkirche zurück. Höchster Punkt auf der Strecke ist die Glorerhütte auf 2.642 m Seehöhe. Bis dorthin sind alleine im Aufstieg 1.300 Höhenmeter zu überwinden. „Nach etwas mehr als zehn Stunden Wanderung erreichen wir die Wallfahrtskirche. Dort ist für 15.30 Uhr eine Hl. Messe angesetzt, musikalisch umrahmt von den Weisenbläsern, die uns begleiten. Zurück nach Kals fahren wir mit dem Bus, wobei wir traditionell in Rangersdorf halten und dort zu Abend essen.“

Gerhard freut sich darüber, dass auch viele junge Menschen, Urlaubsgäste und Pilger aus den Nachbargemeinden alljährlich an der Wallfahrt teilnehmen. „Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, dies auch heuer wieder am 25. Juni zu tun“, betont er und erzählt, dass viele ein persönliches Anliegen mit auf die Wallfahrt nehmen oder einfach nur Danke sagen wollen.

 

Bewohner des Kärntner Wallfahrtsortes Heiligenblut pilgern alljährlich zur Wallfahrtskirche Maria Schnee in Obermauern. Foto: Angelina Pucher

 

Die Wallfahrt von Heiligenblut nach Obermauern

Seit über 500 Jahren pilgern Menschen von Heiligenblut über die Trogalm, das Leitertal und das Kals-Matreier-Törl zur Wallfahrtskirche Maria Schnee in Obermauern/Gemeinde Virgen. „Es ist nicht urkundlich belegt, aber die erste Wallfahrt nach Obermauern dürfte laut meinen Recherchen im Jahre 1458 stattgefunden haben“, berichtet Sepp Schachner und erzählt, dass er sich noch sehr genau an seine eigene erste Teilnahme im Jahre 1958 erinnern kann. „Damals bin ich als 10-Jähriger gemeinsam mit meiner Mutter mitgegangen.“

 

Alt-Bgm. Sepp Schachner

 

Der Heiligenbluter war von 1997 bis 2021 Bürgermeister seiner Heimatgemeinde. Über 30 Mal hat er den Weg von Heiligenblut nach Obermauern zurückgelegt, oft auch mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern. Die Wallfahrt findet immer am letzten Samstag im Juli statt – heuer also am 30. Juli. Gestartet wird um 4.00 Uhr früh nach einem kurzen Gebet in der Heiligenbluter Pfarrkirche. „Im Laufe des Aufstiegs über die Trogalm und das Leitertal stoßen immer wieder Teilnehmer hinzu. Auf der Glorerhütte befindet sich die erste Labestation. Dort ist die Prozession dann meistens vollzählig.“

 

Vorbei am Schliederlehof in Kals. Foto: Angelina Pucher

 

Nach dem Abstieg von der Glorerhütte geht es zum Schliederlehof, dem nächsten Sammelpunkt. „Bei der zum Hof gehörenden Kapelle halten wir kurz Andacht. Wenn wir dann zu Mittag am Dorfplatz in Kals die Glocken läuten hören, wissen wir, dass wir gut in der Zeit liegen.“ Die nächste Etappe bezeichnet Sepp Schachner als die anstrengendste – den Aufstieg auf das Kals-Matreier-Törl auf 2.207 Meter Seehöhe. „Es sind immer alle sehr froh, wenn sie diesen letzten kräftezehrenden Streckenteil geschafft haben und sich hier erholen und stärken können. Die Bewirtung und die Gastfreundschaft im Kals-Matreier-Törl-Haus sind, wie auf der Glorerhütte, immer hervorragend. Ich erinnere mich immer gerne auch an die freundlichen Wirtsleute früherer Zeiten zurück.“

 

 

Die Wallfahrer aus dem Mölltal stärken sich in Kals vor dem kräftezehrenden Aufstieg auf das Kals-Matreier-Törl. Foto: Angelina Pucher

 

Frisch gestärkt steigen die Wallfahrerinnen und Wallfahrer aus Kärnten dann über das Goldried und den Klaunzerberg nach Matrei i.O. ab. „Bei der Veitskapelle wird die Wallfahrt geschlossen. Das bedeutet, dass alle gemeinsam bis zur Pfarrkirche St. Alban wandern und dabei den Rosenkranz beten.“ Von dort aus fährt das Gros der Wallfahrer, nach einer stillen Andacht in St. Alban, mit dem Bus nach Obermauern. „Früher wurde auch diese Strecke zu Fuß zurückgelegt. Einige machen das auch heute noch. In Obermauern angekommen, wird in Maria Schnee ein Gottesdienst gefeiert.  Zuvor werden wir Wallfahrer aus Kärnten immer vom Virger Pfarrgemeinderat empfangen – und meist auch mit einer kleinen Agape begrüßt“, lobt der Heiligenbluter Alt-Bürgermeister die Freundlichkeit, die den Wallfahrern entgegengebracht wird.

 

Foto: Angelina Pucher

 

Gerne blickt er in seine Kindheit zurück, als die Mädchen und Buben nach der Wallfahrt bei den Mesnerleuten in Obermauern übernachten durften – meistens am Heuboden. „Solche Erlebnisse bleiben ein Leben lang in Erinnerung.“ Damals nahmen bis zu 250 Menschen an der Wallfahrt nach Obermauern teil, heute sind es meist an die hundert. Sepp Schachner ist es wichtig, dass die ursprüngliche Idee des Wallfahrens nicht verloren geht. „Mir geht es vor allem um das gemeinsame Beten und Pilgern. Auf einer Wallfahrt hat man seine Anliegen, seine Sehnsüchte und Wünsche, vor allem aber auch immer viel Dankbarkeit mit im Rucksack.“

 

Text: Raimund Mühlburger

16. Juni 2022 um