Scheibenschlagen: Glühende Feuerstreifen erhellen Prägratner Nachthimmel

In Prägraten wird bis heute das „Scheibenschlagen“ – ein uralter, mystischer Brauch – gepflegt. Wir sprachen mit Gottfried und Thomas Islitzer über dieses besondere Ritual.

Mehrere Gruppen beteiligen sich in Prägraten am Großvenediger alljährlich rund um den Johannistag (24. Juni) und den Peter und Paul-Tag (29. Juni) am uralten Brauch des „Scheibenschlagens“. Um den Erhalt des alten Feuerbrauches bemühen sich besonders auch die Bewohner der Fraktion Bobojach. Gottfried und Thomas Islitzer bereiten gemeinsam mit anderen alljährlich das „Scheibenschlagen“ vor. Die beiden wissen viel Interessantes über dieses Ritual zu erzählen. Die genauen Ursprünge des Brauches sind nicht geklärt. Manche Volkskundler bringen ihn mit einem Sonnenkult mit heidnischen Wurzeln, mit dem Austreiben von Dämonen und des Winters, aber auch mit uralten Fruchtbarkeitsriten in Verbindung. Gerlinde Haid, die große österreichische Volkskundlerin, ortete das „Scheibenschlagen“ am 1. Sonntag in der Fastenzeit, zu Ostern, am Johannistag und zu Peter und Paul in verschiedenen Orten in Südwestdeutschland, in der Schweiz, in Vorarlberg, im Südtiroler Vinschgau und in Nord- und Osttirol.

 

Gottfried (links) und Thomas Islitzer bereiten mit vielen anderen das „Scheibenschlagen“ in Bobojach vor. Ein wichtiger Teil der Vorbereitungsarbeiten ist die Herstellung der Scheiben.

 

Seit wann genau das „Scheibenschlagen“ in Prägraten durchgeführt wird, ist nicht bekannt. Was man weiß ist aber, dass dieser Brauch hier eine lange Tradition hat – und durch seine Mystik schon seit jeher eine besondere Faszination auf die Menschen ausübte. Die Begeisterung für das alte Brauchtum strahlen auch Gottfried und Thomas Islitzer aus, die wir in Prägraten treffen. Die „Weichnare“, wie die Bewohner des Ortsteiles Bobojach im Volksmund genannt werden, sind rund um den Peter und Paul-Tag jedes Jahr intensiv mit den Vorbereitungen für den Feuerbrauch beschäftigt. „Nahezu das gesamte Dorf, Jung und Alt, ist auf den Beinen, wenn am Vorabend des Peter und Paul-Tages in der Nähe des Obersteiner-Hofes die rot glühenden Scheiben durch die Luft fliegen“, erzählt uns Gottfried. Er berichtet davon, dass es in Prägraten viele verschiedene Plätze – kleine Anhöhen, Waldwege und Lichtungen – gebe, die sich für das Schlagen der Scheiben gut eignen.

 

Auch Thomas‘ Vater Andreas hilft bei den Vorbereitungsarbeiten fleißig mit.

 

Etwa tausend Scheiben in der Größe eines Handtellers bereiten die Iseltaler jedes Jahr vor. „Wichtig ist, dass die Scheiben aus trockenem Holz hergestellt werden. Mit der Kreissäge werden sie in einer Größe von ca. 12 mal 12 Zentimetern herausgeschnitten und an den Ecken abgeschrägt. In der Mitte wird ein Loch gebohrt, um hier später eine Haselrute anstecken zu können“, informiert Gottfrieds Cousin, Thomas, über den Fertigungsprozess. Mit den Haselnussstecken, den so genannten „Wachtlaren“, werden die Scheiben in die Lüfte geschlagen. Ist der Tag des Scheibenschlagens gekommen, weichen die Männer die Stecken in Wasser ein und halten sie bis zum Abend feucht. Gegen 18.00 Uhr machen sich dann Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf den Weg. Zunächst wird ein Feuer entzündet, um das sich alle scharen. „Die Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit vertreiben wir uns mit anregenden Gesprächen, auch zwischen den Generationen“, sagt Gottfried. Es werde viel gelacht und gemeinsam auf den Beginn des eigentlichen Höhepunktes, des Schlagens der Scheiben, hingefiebert.

 

Philipp Steiner auf der Suche nach geeigneten Haselnussstecken

 

„Wenn es dann finster ist, geht es mit dem Scheibenschlagen los“, führt Thomas weiter aus. „Die Scheibe wird auf den ,Wachtler‘ aufgespießt und in die Glut gehalten, bis sie rot glüht. Anschließend wird sie mit dem Haselnussstecken knapp über dem Boden abgeschlagen – und glühende Feuerstreifen erleuchten den Nachthimmel über unserem Ort.“ Je weiter eine Scheibe fliege, so der Prägratner, desto besser. „Manche fliegen über 150 Meter. Und natürlich gibt es manchmal auch Gelächter, wenn eine Scheibe nur ein paar Meter den Abhang hinunter kullert.“ Fliegt eine Scheibe besonders gut, ertönt weit hörbar ein Juchetzer. In früheren Zeiten gab es auch Sprüche, die das Schlagen der Scheiben begleiteten. Sie dürften wohl so ähnlich gelautet haben wie jene aus der Landecker Gegend, wo das alte Brauchtum auch gepflegt wird: „Die Scheibe, die Scheibe, die will i hetz treibm. Schmolz in da Pfönn, Kiachlan in da Wönn, en Pflug in da Eagn, dass die Scheibe weit aus’n mog floign.“

 

Jung und Alt treffen sich alljährlich zum Scheibenschlagen hoch über Bobojach.

 

Jeder Teilnehmer behält sich seinen „Wachtler“ und schlägt ihn immer wieder ab. Schmunzelnd erinnert sich Gottfried an Jahre, in denen bereits die Morgendämmerung einsetzte, als die letzte Scheibe – von den Prägratnern „Nachscheibe“ genannt – in die Lüfte geschlagen wurde. Er betont, dass sich der Brauch in seiner Heimatgemeinde längst schon zu einem „gesellschaftlichen Ereignis“ für Einheimische wie für Gäste entwickelt habe. „Alt und Jung, Vereine, Familien und Freundeskreise sind jedes Jahr mit dabei“, ergänzt Thomas. Ähnlich wie beim „Bühnhohlgungl“, den die Bobojacher alljährlich im August veranstalten, würden manche Urlauber ihren Erholungsaufenthalt in Prägraten sogar terminlich nach dieser Brauchtumsveranstaltung ausrichten.

 

 

Das „Scheibenschlagen“ sehen Gottfried und Thomas Islitzer als wichtigen Faktor für den Erhalt der Dorfgemeinschaft. Bevor wir uns auf den Weg machen, ist es ihnen noch wichtig festzuhalten, dass ihnen die Sicherheit aller bei der Ausübung des Brauches am Herzen liegt. „Wir sind beide Mitglieder der Feuerwehr und wissen, welche Bedeutung der Sicherung der Feuerstellen zukommt. Wir appellieren aber auch an alle, unbedingt die Flugbahn der Scheiben zu beachten“, so die beiden Cousins abschließend.

 

 

Übrigens: Das „Scheibenschlagen“ in Bobojach findet heuer am Freitag, 29. Juni, statt. „Wir sind uns sicher, dass auch dieses Mal wieder viele Bewohner unserer Gemeinde mit dabei sind. Wir freuen uns aber natürlich auch über Gäste von außerhalb, die dieses alte Brauchtum hautnah miterleben wollen“, so Thomas und Gottfried Islitzer.

 

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Lenz Mariacher, Privat

15. Juni 2018 um