75 Jahre Lienzer Kosakentragödie: Virtuelle Ausstellung mit Frauenschicksalen im Zentrum

Ab 1.6. ist auf der Website der Dolomitenbank eine Schau zu sehen, die sich aus Anlass des Gedenkens an die Tragödie vor 75 Jahren insbesondere den Frauenschicksalen widmet.

Bei Kriegsende strandeten rund 25.000 Kosaken im Lienzer Talboden, darunter etwa 3.000 Frauen, Kinder und alte Menschen. Die Kosaken waren aus dem oberitalienischen Friaul in die österreichischen Alpen gezogen, um hier die britische Besatzungszone zu erreichen. Denn die russischen Reiter hatten als offizieller Wehrmachtsverband für Nazi-Deutschland gekämpft und wollten unter keinen Umständen in die Hände der italienischen oder jugoslawischen Partisanen fallen, mit denen sie selbst zuvor nicht gerade zimperlich umgegangen waren.

Der Kosakentross und die mit den Kosaken ziehenden Kaukasier schlugen an den Ufern der Drau ihr Lager auf, in der Hoffnung, bei den Soldaten des schottischen 8. Regiments der Argyll and Sutherland Highlanders, denen sie sich ergeben hatten, Schutz zu finden. Die Reaktionen der Einheimischen waren vielfältig und reichten von Angst bis hin zu Neugier.

 

„Verrat an den Kosaken”: Das dramatische, aber wohl nicht völlig unrealistische Gemälde hat S. G. Korolkoff 1957 geschaffen (Sammlung Stadtgemeinde Lienz Archiv Museum Schloss Bruck – TAP).

 

Am 28. Mai wurden 1.500 Offiziere unter dem Vorwand, es solle eine Konferenz über das weitere Vorgehen stattfinden, von den Briten nach Kärnten gebracht – und die Kosakentragödie nahm ihren Lauf. Überfallsartig begann die Besatzungsmacht am 1. Juni die Lager um Lienz zu räumen. Die britischen Soldaten verfrachteten die führungslose Masse der Kosaken in Eisenbahnwaggons und transportierten sie in die Steiermark. Gemäß den Vereinbarungen der Konferenz von Jalta über die Auslieferung sowjetischer Staatsbürger wurden sie in Judenburg der Roten Armee übergeben. Die Deportation war allerdings nur unter brutaler Gewaltanwendung möglich. Schreckliche Szenen spielten sich im Lienzer Talboden ab. Die Überlebenden wurden von den Sowjets nach Sibirien deportiert. Für die allermeisten bedeutete dies das Todesurteil.

Pünktlich zum 75. Jahrestag der Tragödie geht am 1. Juni nun eine virtuelle Ausstellung online. Die Präsentation im World Wide Web ist eine Chance, Interessierte in aller Welt zu erreichen. Daher werden die Inhalte in Deutsch sowie in englischer, italienischer und russischer Sprache verfügbar sein. Ein Team des Instituts für Archäologie der Universität Innsbruck unter der Leitung von Harald Stadler und Philipp Lehar, die bereits drei weitere Ausstellungen (2005, 2010 und 2015) umgesetzt haben, zeichnet für dieses Projekt verantwortlich.

 

Sonja Walder mit ca. eineinhalb Jahren (Bild links). Ihre Mutter beging im Zuge der Kosakentragödie Selbstmord und drückte ihre Tochter zuvor noch einer Einheimischen in die Hand. Sie starb im August 2018 in Kartitsch. Bild Mitte: Olga Protopopov war eine russische Emigrantin, die in Belgrad lebte. Dieses Foto stammt aus dem Jahr 1944. Gemeinsam mit ihrem Mann Alexei, einem Kosakenoffizier, und den Söhnen Michael und Nicolas kam sie 1945 nach Lienz. Ihr Mann wurde ausgeliefert. Sie blieb alleine mit den Söhnen zurück. Die Auswanderung nach Australien gelang schließlich. Nicolas (Bild rechts) ist einer der Söhne von Olga Protopopov. Er lebt heute in Australien. Fast jedes Jahr nehmen er oder sein Bruder Michael, ein orthodoxer Erzpriester, an der Gedenkfeier am Kosakenfriedhof in Lienz teil. Fotos: © Archiv Projekt Kosaken in Osttirol/Universität Innsbruck

 

Erstmals stehen Frauenschicksale, die lange im Schatten standen, im Zentrum der Ausstellung in Lienz. So wird ihre Rolle in der Gesellschaft, die Geschichte berühmter Kosakenfrauen und Lebensgeschichten von nicht deportierten weiblichen Personen präsentiert.

Nicht nur für die Kosaken bildete Lienz zu Kriegsende eine wichtige Station, auch für viele andere Flüchtlinge und Vertriebene war das Lager in der Peggetz eine Heimat auf Zeit. Stellvertretend für viele Schicksale widmen die Kuratoren einen Teil der Ausstellung der Lebensgeschichte von Cilka Rozman aus Slowenien: Sie lebt heute in einem Altersheim in Kanada. Ihr Sohn Joseph hat Fotos und Informationen seiner Mutter über ihren Aufenthalt in Österreich zur Verfügung gestellt. „Wenn es möglich ist, möchte ich die Orte, von denen sie erzählt hat, besuchen“, schrieb er in einer E-Mail.

 

Ab 27. Juni 1945 waren zahlreiche slowenische Flüchtlinge im Lager Peggetz in Lienz untergebracht. So auch Cilka Rozman, hier zu sehen bei ihrer Ausbildung zur Schneiderin. Sie ist die erste hinten links stehende Frau. Die Flüchtlinge hofften, in Übersee ein neues Leben zu beginnen. 1950 erreichte Cilka schließlich Kanada. Foto: © Archiv Projekt Kosaken in Osttirol/Universität Innsbruck

 

Abgerundet wird die Präsentation mit Kleinfunden aus den aufgelassenen Kosakenlagern, die die Bedeutung der Archäologie im Gesamtprojekt demonstrieren. Das Prunkstück bildet ein Kosakendolch mit Goldauflage aus Nörsach, der 75 Jahre lang auf seine wissenschaftliche Bearbeitung wartete.

 

Kosaken aus verschiedenen Ländern nehmen regelmäßig an den Gedenkfeiern in Lienz/Peggetz teil. Foto: © Projekt Kosaken in Osttirol/Universität Innsbruck

 

Auf der Webseite der DolomitenBank www.dolomitenbank.at und des Vereins zum Gedenken an die Lienzer Kosakentragödie www.kosaken-lienz1945.com wird die Ausstellung ab 1. Juni abrufbar sein. Die DolomitenBank sowie das Team des Instituts für Archäologie der Universität Innsbruck unter der Leitung von Harald Stadler und Philipp Lehar freuen sich sehr auf Ihren Besuch in dieser erstmals virtuell präsentierten Ausstellung.

 

Text: J. Hilgartner, Startfoto: Imperial War Museum London

26. Mai 2020 um