Von alten Saumwegen und Tauernhäusern

Wir sprachen mit dem Mittersiller Alt-Bgm. Walter Reifmüller über die alten Saumwege über den Tauern, über die Waren- und Viehtransporte und über die Tauernhäuser.

Die Hohen Tauern sind die schmalste Stelle der Ostalpen. Deshalb wurden die hier gelegenen Pässe seit Jahrtausenden für die Überquerung der Alpen genutzt. Für die Einheimischen stellten die Gipfelgrate am Felbertauern immer schon nicht nur Trennendes, sondern auch Verbindendes dar. Als ehrenamtlicher Obmann des Museumsvereins Mittersill und Kustos des Felberturm-Museums hat Walter Reifmüller zahlreiche Ausstellungen und Schriften über die alten Saumwege und die Tauernhäuser zusammengestellt. „Schon in der Römerzeit querte ein alter Saumweg den Felbertauern. Im Hochmittelalter stellte dieser eine wichtige Verbindung zwischen den Besitzungen des Fürsterzbistums Salzburg dies- und jenseits des Felbertauern, also auch zwischen den ehemaligen Pfleggerichten Mittersill und Windisch-Matrei, dar. Außerdem führten die starken Handelsbeziehungen zwischen Bayern, Salzburg und Italien ab dem 12. Jahrhundert zu einem regen Saumverkehr. Dieser führte in den nachfolgenden Jahrhunderten über die Hohen Tauern“, erzählt uns Walter Reifmüller bei unserem Besuch im Felberturm-Museum.

 

Der Warentransport über den Tauern oder später zu den Schutzhütten erfolgte früher mit Saumpferden oder auch mit Eseln und Mulis. Im Bild der Saumhandel im Jahr 1932 am Plattsee zur Versorgung der St. Pöltner Hütte

 

Der Saumhandel erfolgte mit Tragpferden, insbesondere mit den bekannten Norikern. Der Begriff „Saum“ bezieht sich auf die Last, die ein Pferd tragen konnte. Das Gewicht lag durchschnittlich bei etwa 150 Kilogramm. Beidseits des Sattels wurden zwei flache Fässchen – so genannte „Lageln“ – befestigt. Ursprünglich waren es Bauern, die die Säumerei als Nebengewerbe betrieben. Außerdem verdienten sich so genannte „Kraxenträger“ mit ihren Tragdiensten am Tauern ihren Lebensunterhalt. „Es waren dies vor allem arme Bauernsöhne, Häusler und Knechte. Sie trugen schwere Lasten mit einem Gewicht von bis zu 80 kg auf ihrem Rücken“, weiß Walter Reifmüller zu berichten. Das wichtigste Handelsgut sei damals das Salz gewesen. „Der Markt Mittersill hatte in früherer Zeit im Salzhandel eine Sonderstellung inne. Jeder Bürger hatte das Recht, jährlich 45 Fuder Salz (etwa 2.565 kg) zu beziehen und damit zu handeln“, so der Mittersiller Alt-Bürgermeister. In den Wintermonaten wurde das „weiße Gold“ von den Salinen Hallein und Schellenberg (Berchtesgaden) nach Mittersill angeliefert und dann mit Tragpferden über den Tauern gesäumt.

 

Auf diesem Bild ist das altehrwürdige Matreier Tauernhaus im Jahr 1936 zu sehen.

 

„Die Säumer verdienten mit dem Salzhandel gut. Das größte Salzdepot befand sich beim Meilingerwirt, der auch Weinhandel betrieb. Neben Salz wurden etwa auch Leder, Häute, Wolle, Loden oder Holzwaren ausgeführt. Aus der Gegenrichtung, dem Süden, kamen Wein und Branntweine, Gold- und Silberwaren, Gewürze, Südfrüchte, Honig, Öl und Seide.“ Große Bedeutung kam den „Tauernhäusern“ zu. Ihre Funktion als Hospize lag darin, Reisenden über den Felbertauern Schutz, Unterkunft und Verpflegung zu sichern. Walter Reifmüller: „Die Beherbergung und Verköstigung armer Reisender, die Hilfeleistung bei Not und Gefahr, die Bergung Verletzter und Toter sowie die Markierung und Instandhaltung von Wegen waren die Aufgaben der Tauernhäuser. Dafür erhielten die Betreiber die so genannte ,Tauernprovision‘, eine Zuwendung in Form von Getreide, die 1849 in Geldzuschüsse umgewandelt und erst im Jahr 1938 eingestellt wurde. Auf der Südseite des Felbertauern wurde im Jahr 1207 das Matreier Tauernhaus errichtet. Es dürfte damit das älteste der alten Hospize sein. Das Tauernhaus Spital im Felbertal auf Salzburger Seite lässt sich seit der Schwaigengründung vor 800 Jahren nachweisen. Auf Salzburger Seite liegt auch das Tauernhaus Schösswend. Die Tauernhäuser wurden von den Salzburger Erzbischöfen zum Schutz des Handelsverkehrs über die Tauern gegründet. Die Anfänge reichen bis in die Zeit der Grafen von Lechsgemünde zurück.“

 

Das Tauernhaus Spital befindet sich genauso im Felbertal auf der Salzburger Seite des Tauern …

 

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zogen auch große Viehtriebe über den Felbertauern. „Der Pinzgau ist Zuchtgebiet des Pinzgauer Rindes“, informiert Reifmüller. „Nachdem das Vieh südlich des Tauern früher wesentlich billiger als jenes im Pinzgau war, kauften Händler große Kontingente von Rindern im Isel- und Pustertal an, trieben diese über den Felbertauern und setzten die Tiere im Pinzgau und in Bayern mit beträchtlichem Gewinn wieder ab. 1903 führte so z.B. ein Zug mit rund 500 Tieren über den Tauern.“ Der berühmte Alpinist Friedrich Simony beschrieb um das Jahr 1865 den regen „Verkehr“ über den Tauern so: „Eine bunte Karawane von Marktleuten, Handwerksburschen, Teppichhändlern und ein langer Trieb von Rindern und Pferden zieht an uns vorbei.“

 

… wie das Tauernhaus Schößwend.

 

Die Wege über die Tauern waren nicht nur mühsam, sondern oft auch gefährlich. Besonders viele Opfer forderte ein Unglück bei einem Viehtrieb im Mai 1878. „Der Aufbruch erfolgte frühmorgens mit 130 Kühen und Kälbern vom Matreier Tauernhaus aus. Der Mittersiller Viehhändler und Meilingerwirt Anton Hochfilzer hatte die Warnungen des erfahrenen Tauernwirts nicht beachtet. Am späten Nachmittag erreichten Hochfilzer und acht Treiber völlig erschöpft die Passhöhe. Beim Abstieg ins Felbertal gerieten sie in einen schweren Schneesturm und verloren die Kontrolle über die verängstigten Tiere. Vier Treiber aus Matrei, Virgen und Prägraten gingen im Inferno der entfesselten Natur am Tauern elend zugrunde – und mit ihnen der größte Teil des Viehs“, so der Felberturm-Kustos. Auch Emerenzia Panzl, Wirtin aus Mühlbach, erfror im Jahr 1819 als 59-Jährige am Tauern. Sie wollte ihre beiden Söhne – Simon und den Schützenhauptmann Johann Panzl – in Matrei besuchen.

 

Auch in heutiger Zeit sind die „Samer“ noch manchmal am Tauern unterwegs – dargestellt in historischer Kleidung von den Tauernsamern aus Mittersill. Häufig waren die Säumer mit Schlechtwettereinbrüchen konfrontiert, mussten den Weg aber trotzdem fortsetzen. Manche „Tauerngeher“ verloren am Felbertauern auch ihr Leben.

 

Laut Walter Reifmüller gab es aber auch viele verbindende Elemente zwischen den Menschen südlich und nördlich des Felbertauern-Passes. „Für die Liebe stellten die hohen Tauerngipfel und -grate kein unüberwindbares Hindernis dar“, schmunzelt er. „Dafür sprechen auch die vielen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Pinzgauern und Iseltalern. Verliebte Burschen nahmen früher des Öfteren den beschwerlichen Weg über den Felbertauern in Kauf, um ihren ,Schatz‘ auf der anderen Seite des Tauern zu besuchen. Und die Matreier verspotteten die eifrigen Mittersiller Burschen in einem Volkslied: „Auf’n Tauern tuat’s schauern, zoicht a eiskolta Wind, und is Dirndle tuat trauern, weil da Büe nemma kimmt. Und a Schneele hot’s gschniebn, und da Tauern isch züe, und hetz kun a nemma umma, da Pinzgauer Büe.“

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Osttirol Journal, Museum Mittersill

02. Juli 2017 um