Spannender Polit-Talk mit Minister Sebastian Kurz

Der 30-jährige Außenminister ist zurzeit der beliebteste Politiker Österreichs und gilt als Zukunftshoffnung der ÖVP. Wir trafen Sebastian Kurz in Innsbruck zum Interview.

Raimund Mühlburger traf Außenminister Sebastian Kurz zum Talk hoch über den Dächern von Innsbruck und sprach mit ihm über die Migrationsproblematik, Grenzkontrollen am Brenner, die innereuropäische Solidarität, den Brexit und weitere Zukunftsfragen der Europäischen Union.

Herr Außenminister, im März 2017 wurden Sie vom Time Magazine unter die zehn Führungspersönlichkeiten der nächsten Generation weltweit gelistet. Wie sehr freut eine derartige Auszeichnung?

Natürlich freut man sich über Lob. In der Politik gehört aber auch Kritik zum Alltagsgeschäft. Ich habe früh gelernt, mich nicht darüber zu definieren, ob ich gelobt oder kritisiert werde. Ich versuche, das umzusetzen, was ich für richtig erachte.

In der Begründung des Time Magazine hieß es, dass Sie einen neuen Weg gefunden hätten, mit der Flüchtlingskrise umzugehen. Explizit wurde die Schließung der Westbalkan-Route im Frühjahr 2016 angesprochen. Wie sehen Sie diesen Schritt aus heutiger Sicht?

Es war dies eine extrem schwierige Phase für mein Team und mich. Wir wurden nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa massiv kritisiert. Ich bin froh, dass wir konsequent bei unserem Weg geblieben sind und die Schließung der Westbalkan-Route umgesetzt haben. Der Zustrom ist im letzten Jahr um rund 98% gesunken. Ich bin unseren Partnern am Westbalkan sehr dankbar, dass sie diese Maßnahme gemeinsam mit uns getragen und dem Druck, den es auch international gab, Stand gehalten haben.

Der bessere Schutz der EU-Außengrenzen wird immer wieder als eine der wesentlichen Maßnahmen genannt, der illegalen Migration besser Herr zu werden. Gibt es aktuell konkrete Pläne, wie dies besser funktionieren könnte?

Es braucht eine klare politische Entscheidung: Wer sich illegal auf den Weg nach Europa macht, wird an der Außengrenze gestoppt, versorgt und zurückgestellt. Wenn wir weiterhin Menschen an der EU-Außengrenze durchwinken, werden immer mehr kommen. Dies hat die „Politik der offenen Grenzen“ deutlich gezeigt. Erst mit der Schließung der Westbalkan-Route war es möglich, dieses „Durchwinken“ zu beenden. Dies muss jetzt aber auch an allen anderen Routen umgesetzt werden. Parallel dazu müssen wir die Hilfe vor Ort – also in den Herkunftsländern – ausbauen. Nur so kann man wirklich der Masse der Menschen helfen.

Stimmen Schätzungen, dann hoffen an den Küsten des afrikanischen Kontinents Hunderttausende auf eine Möglichkeit, nach Europa überzusetzen. Italien und Griechenland sind besonders betroffen. In beiden Ländern wird über die mangelnde innereuropäische Zusammenarbeit geklagt. Ist eine bessere Verteilung wirklich eine Lösung?

Ich bleibe dabei: Die Migrationsproblematik ist nicht durch die bessere Verteilung in Europa oder in Österreich zu lösen. Der Zustrom muss gestoppt werden. Viele der Menschen sind nicht nur auf der Suche nach Schutz, sondern werden vor allem vom Wunsch nach einem besseren Leben angetrieben. Dies erklärt auch, warum der Großteil der Flüchtlinge nicht nach Polen oder etwa Rumänien will. Das ist zwar menschlich verständlich, aber wir können dies nicht in diesem Ausmaß leisten.

In Italien warten derzeit rund 170.000 Menschen, Richtung Norden zu gelangen. Die Brenner-Route dürfte dabei eine eminent wichtige Rolle spielen. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation?

Wir werden alles, was wir an der Westbalkan-Route tun, auch entlang der Italien-Mittelmeer-Route tun müssen. Auch eine Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer darf nicht mehr mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein. Wir müssen diese Menschen zurückstellen, ansonsten ziehen sie weiter Richtung Norden. Klappt dies nicht, werden wir gezwungen sein, am Brenner Grenzkontrollen einzuführen. Wir sind uns aber natürlich der historischen Sensibilität des Brenners bewusst.

Sie haben sich in Innsbruck mit Landeshauptmann Günther Platter getroffen. Waren mögliche Asylzentren in Nordafrika ein Thema?

Ja, denn Tirol ist von den Flüchtlingsströmen über die Mittelmeer-Italien-Route besonders betroffen. Günther Platter und ich waren uns einig, dass es einer dringenden Änderung in der europäischen Migrationspolitik bedarf. Europa muss die Herkunfts- und Transitländer zum Handeln bewegen. Über 5.000 Menschen sind im Vorjahr im Mittelmeer gestorben – das ist das Schlimmste für mich. Wenn es nicht gelingt, endlich dieses System zu ändern, wird die Zahl heuer noch höher ausfallen.

In der Flüchtlingsthematik geht es auch um grundlegende ethisch-menschliche Fragen. Wie schwierig ist es für Sie persönlich – als aus einer christlich-sozialen Bewegung kommend – für notwendige pragmatische Lösungen einzutreten?

Natürlich ist dies ein extrem schwieriges Thema, schließlich stehen hinter jeder Zahl konkrete Schicksale. Als Politiker sehe ich es aber trotzdem als meine Aufgabe an, zu versuchen, das Richtige zu tun. Wir wissen, dass die Hilfe vor Ort wesentlich effektiver ist als eine unbegrenzte Aufnahme. Mit dem Geld, das wir dafür einsetzen, um einen Flüchtling ein Jahr in Österreich zu versorgen, könnten wir z.B. im Libanon den Lebensunterhalt von 20 Menschen sichern. Das heißt, nachhaltig können wir nur vor Ort helfen. Die Hilfestellung wird dann nicht nur jungen Männern zugute kommen, die es bis nach Europa schaffen, sondern vor allem auch den Familien, den Kranken, Schwachen und Kindern. Wer als Staat Flüchtlinge aufnehmen möchte, sollte dies über Resettlement-Programme tun, im Rahmen derer Menschen aus Kriegsgebieten auf legalen Wegen und in einem zahlenmäßig verkraftbaren Ausmaß nach Europa gebracht werden.

Mit Blick auf die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch die einstigen europäischen Kolonialmächte: Wäre es nicht längst an der Zeit für einen „Marshallplan“ für Afrika?

Ich halte wenig vom Begriff „Marshallplan“. Das ist nur ein Schlagwort. Die Unterstützung Afrikas ist natürlich notwendig, damit sich der Kontinent besser entwickeln und sich die Lebensbedingungen dort zum Positiven hin verändern können. Ein entscheidender Faktor ist die Bevölkerungsentwicklung. Aktuell lebt in Afrika eine Milliarde Menschen, Mitte des Jahrhunderts werden es zwei Milliarden sein. Es muss gelingen, diese Bevölkerungsexplosion zu stoppen. Nur so wird eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation vieler Menschen erreichbar sein.

Wie stehen Sie zur Aufstockung der Entwicklungshilfe-Gelder?

Ich bin froh, dass uns in diesem Zusammenhang schon einiges gelungen ist. Meine Vorgänger haben die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit gekürzt. In der Zeit meiner Tätigkeit als Außenminister konnten die Hilfsgelder über den Auslandskatastrophenfonds vervierfacht werden, und wir sind dabei, die Mittel für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zu verdoppeln. Wir haben die Trendwende hin zu mehr Hilfe vor Ort also bereits geschafft.

Sie sind der Sympathieträger unter den österreichischen Politikern. Sie werden für Ihre klare Sprache geschätzt und dafür, dass Sie sich nicht vor Themen scheuen, die nicht dem Mainstream der  sogenannten Eliten entsprechen. Sehen Sie in der Diskrepanz zwischen den Eliten und dem „Volk“ eine der Ursachen für den Aufstieg von Populisten?

Ich versuche einfach das zu machen, was ich für richtig erachte. Mein Ziel und das meines Teams ist eine sachliche, faktenbasierte Politik. Dies sorgt manchmal für Zustimmung, oft aber auch für viel Kritik. Meine Erfahrung zeigt, dass nicht wenige Maßnahmen, die zu Beginn sehr unpopulär waren, sich später als richtig herausgestellt haben. Ich bin davon überzeugt, dass Politiker nicht unentwegt auf Umfragen schielen, sondern das tun sollten, wofür sie mit ihrer Überzeugung stehen und was sie für richtig halten.

In Kürze wählen die Franzosen einen neuen Präsidenten. Welche Folgen für die EU sind zu befürchten, sollte sich Marine Le Pen durchsetzen?

Dies wäre höchst problematisch für die Europäische Union. Marine Le Pen tritt für die Zerschlagung der EU und für den Ausstieg Frankreichs ein. Ich bin überzeugter Pro-Europäer. Ich sehe es als unsere Verantwortung, die Union zum Positiven hin zu verändern.

Im März 2017 haben die  EU-Regierungschefs die „Erklärung von Rom“ verabschiedet. War das Bekenntnis zur EU deutlich genug?

Ich bin froh, dass es die Europäische Union gibt und dass Österreich ein Teil davon ist. Unser
Land hat vom EU-Beitritt massiv profitiert. Jetzt ist es jedoch an der Zeit für einen grundlegenden Wandel. Wir dürfen nach dem Brexit nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren, sondern müssen die Entscheidung der Briten zum Anlass nehmen, Europa zu verändern. Mehr Subsidiarität ist gefragt. Die EU muss den Fokus auf die großen Themen richten und sich in Fragen zurücknehmen, in denen Nationalstaaten und Regionen besser entscheiden können. Nur so kann Europa wieder erfolgreicher und populärer werden.

 

„Politiker sollten nicht unentwegt auf Umfragen schielen, sondern das tun, wofür sie mit ihrer Überzeugung stehen und was sie für richtig halten.“ 

Sie haben derzeit den Vorsitz in der OSZE inne. Wie geht es Ihnen persönlich mit Polit-Kapazundern, wie dem russischen Außenminister Sergei Lawrow? Sehen Sie eine Chance auf eine Lösung des Ukraine-Konfliktes?

Mit dem russischen Außenminister habe ich eine sehr gute Gesprächsbasis. Ich bin davon überzeugt, dass echter Frieden auf diesem Kontinent am Ende des Tages nur mit und nicht gegen Russland möglich sein wird. Daher versuchen wir, den österreichischen OSZE-Vorsitz mit aller Kraft dafür zu nützen, um im Ukraine-Konflikt einen Waffenstillstand zu erreichen, der auch wirklich Bestand hat.

Welche Persönlichkeit hat Sie persönlich bis dato am meisten beeindruckt?

Ich bin sehr dankbar, dass ich schon in relativ jungen Jahren mit so vielen spannenden  Persönlichkeiten zusammentreffen konnte. Einen Einzelnen herauszugreifen, ist schwierig. Spontan fallen mir jedoch besonders eindrucksvolle Begegnungen mit dem ehemaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan oder dem Dalai Lama ein.

Sie werden oft gefragt, ob und wann Sie den ÖVP-Bundesparteivorsitz übernehmen. Ich werde Sie das nicht fragen. Vielleicht können Sie uns aber sagen, ob und warum Sie eher zu einem Neuwahltermin im heurigen Herbst tendieren?

Ich habe einmal darauf hingewiesen, dass Österreich im zweiten Halbjahr 2018 den Ratsvorsitz in der EU übernehmen wird und dass dies eine große Aufgabenstellung für unser Land und die Bundesregierung ist. Am nächsten Tag lautete eine Schlagzeile in den Medien: „Kurz für Neuwahlen“. Dies war nicht meine Intention. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich zu Wahlspekulationen nichts mehr sage. Ich bin auch nicht derjenige, der dies zu entscheiden hat.

Danke für das Gespräch!

 

Interview: Raimund Mühlburger, Fotos: Journal/D. Hotzler

13. April 2017 um