Von Spuren des Erfolgs und vom Wert der kleinen Dinge

Hubert Neuper spricht beim 8. Osttiroler  Selbsthilfetag am Samstag, 11. November, über sein Leben. Wir baten den Skispringer, Visionär und Grenzgänger zum Interview.

Hubert Neuper zählt zu den erfolgreichsten Skispringern Österreichs. Als Pilot, Sport- und Veranstaltungsmanager machte er sich auch nach seiner aktiven Sportlerkarriere einen Namen. Beim 8. Osttiroler Selbsthilfetag am 11. November spricht der Steirer in Lienz über sein Leben, das neben Begeisterung und Erfolg auch von emotionaler Leere, Erschöpfung und Zusammenbrüchen geprägt war. Wir baten den Visionär und Grenzgänger schon vorher zum Interview.

Herr Neuper, im Alter von 19 Jahren standen Sie bereits am Höhepunkt Ihrer Sportlerkarriere. Sie beschreiben in Ihrem Buch „flatline“, wie Sie 1980 vor Begeisterung brannten, als Sie bei der  Vierschanzen-Tournee und im Gesamtweltcup siegten und Olympia-Silber in Lake Placid holten. Können Sie uns dieses Gefühl beschreiben?

Es war ja so, dass ich damals etwas unerwartet in diese Situation geriet. Einige Jahre vorher war sogar die Frage im Raum gestanden, ob ich mit dem Skispringen überhaupt aufhören sollte. Quasi über Nacht befand ich mich dann an einem Punkt, der für mich vorher unvorstellbar war. Ich wurde auf der Straße von wildfremden Menschen angesprochen und erfuhr ein Übermaß an Aufmerksamkeit. Natürlich hat mir das gefallen. Ich erlebte eine Erfolgssituation, nach der ich immer gestrebt hatte. Heute weiß ich, dass es ein Privileg ist, wenn man als junger Sportler so für das viele und harte Training belohnt wird.

Vier Jahre später verloren Sie diese Begeisterung – und die Erfolge blieben aus. Sie schreiben von emotionaler Leere, Erschöpfungszuständen, depressiven Verstimmungen. Wie kam es dazu?

Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit und das Interesse an deiner Person sinken, kann es passieren, dass man selbst langsam, aber sicher auch den Zugang zu dem, was man erreichen konnte, verliert. So ist es zumindest mir ergangen. Ich hatte viel trainiert und auch viel erreicht. Plötzlich fehlten mir das Feedback und jene Energie, die man braucht, um an den eigenen Zielen – in meinem Fall das Skispringen – weiter zu arbeiten. Gleichzeitig wird man immer nur am 1. Platz gemessen, und wenn man diesen nicht mehr erreicht, verflüchtigt sich die Lockerheit. Man verkrampft. Über einen fünften oder 20. Platz kann man sich nicht mehr freuen. Mit 24 Jahren fand ich mich in einer Lebenslage wieder, die für mich als junger Mensch schwer zu bewältigen war.

Weil der Erfolg ausblieb, haben sich also auch die Menschen von Ihnen abgewandt?

Ich weiß heute, dass das ein ganz normaler, psychologisch erklärbarer Vorgang ist. Erfolg zieht an und erzeugt ein gutes Gefühl, Sorgen haben die Menschen selbst genug. Die Vergangenheit spielt keine Rolle, von Bedeutung ist nur das Jetzt. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man wahrscheinlich auch nie in ein so tiefes Loch fallen. Dafür war ich aber viel zu jung. Hinzu kam, dass ich es vernachlässigt hatte, eine Ausbildung abseits des Sports zu absolvieren. Ich hatte mich nur auf das Skispringen konzentriert und deshalb auch nicht dieses Sicherheitsnetz, das ich damals gebraucht hätte. Später habe ich eine fundierte berufliche Ausbildung nachgeholt. Ich wurde Linienpilot und bin heute in der glücklichen Lage, neben meiner Skischule in Bad Mitterndorf einen zweiten Betrieb führen zu können.

Übertriebener Einsatz für die Sporthilfe und die Organisation der beiden World Sport Awards, schließlich diffamierende Lügen, die über Sie verbreitet wurden, führten nach Ihrer Skisprung-Karriere zu einer Art „Zusammenbruch“. Was würden Sie Menschen in ähnlichen Situationen raten?

Wenn man auf der Erfolgswelle schwimmt, besteht die Gefahr, dass man Situationen falsch einschätzt und logische Gesichtspunkte vernachlässigt. Dein Verstand verkauft dir Fiktionen als Realität. Würde man ehrlich zu sich selbst sein, könnte man erkennen, dass man mit einem Problem konfrontiert ist. Aus heutiger Sicht kann ich nur raten, sich genug Zeit zu nehmen, inne zu halten und die Situation genau zu analysieren. Nur so kann es gelingen, nachhaltige Lösungen zu finden.

2003 zogen Sie sich für ein halbes Jahr nach Nashville, Tennessee zurück. Abseits der Heimat und getrennt von Familie und Freunden, versuchten Sie auf dem Anwesen Ihres befreundeten Musikers Gilbert O’Sullivan wieder Ordnung in Ihr Leben zu bringen. Warum?

Damals glaubte ich noch, dass Probleme verschwinden, wenn man vor sich selbst flüchtet. Ich hätte eigentlich überall hingehen können. Nashville hat sich aufgrund meiner Freundschaft mit Gilbert jedoch angeboten. Diese Flucht war falsch. Heute kann ich sagen: Man muss die eigenen Blickwinkel ändern und ohne große Erwartungen damit beginnen, an Neuem zu arbeiten. Bei mir dauerte es dann auch sehr lange, bis ich wieder in Schwung kam.

Welchen Prozess durchlebten Sie in den USA und wie fanden Sie wieder zu neuer Lebensfreude?

Irgendwann kam ich zur Erkenntnis, dass es Situationen gibt, die nicht sofort zu ändern sind. Ich begann, mich wieder mit mir selbst und meinem Leben intensiv auseinanderzusetzen.

Der Erfolgsdruck, den Sie sich selbst auferlegt hatten, führte zum Burn-out. Was denken Sie heute, was Sie damals falsch gemacht haben?

Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch im Leben seinen Weg zu gehen hat. In der Nachbetrachtung stellt sich natürlich so manche Entscheidung als falsch heraus. Die eigene Intuition, das Bauchgefühl dafür, was richtig oder falsch ist, kann hilfreich sein. Ich denke, wir sollten lernen, wieder viel mehr auf unsere Intuition zu hören. Regelmäßige Pausen bieten der Seele die Chance, sich zu erholen – auch das weiß ich heute. So können sich Lebensfreude und Erfolg wieder einstellen. Ich selbst habe irgendwann erkannt, dass man nicht alle Schwierigkeiten alleine lösen muss. Die Unterstützung von Familie und Freunden ist wichtig. Wenn dies nicht ausreicht, kann der Austausch mit Experten helfen.

Neben täglichen Sportübungen trainierten Sie in Nashville auch Ihren Geist – unter anderem mittels mentalem Training. Können Sie uns davon erzählen?

Mentales Training ist eine Technik, bei der man das visualisiert, was man erreichen will. Man sollte sich jeden Tag stille Momente suchen. Über die Beobachtung des Atems erkennt man, dass man viel mehr ist als das Tier im Hamsterrad. Unser Verstand konzentriert sich meist auf die schlechten Dinge, den Mangel. Wenn du hingegen den Fokus deines Denkens wieder auf die Fülle des Lebens richtest, gewinnen die kleinen Dinge des Alltags an Bedeutung.

Ein Satz in Ihrem Buch ist mir besonders aufgefallen: „Eine meiner Überzeugungen ist, dass es einen Leitstrahl gibt, der die richtige Richtung unmissverständlich anzeigt.“ Sagen Sie uns, wie man diese Erkenntnis in seine eigene Lebensgestaltung integrieren kann?

Wichtig ist, auf das Bauchgefühl zu hören. Viele von uns haben in der medial geprägten Wissensgesellschaft verlernt, auf die eigene Intuition zu hören. Im schlimmsten Fall kann dies, wenn man die innere Stimme ständig ignoriert, sogar die eigene Seele zum Einbruch bringen. Und dies sollten wir alle vermeiden.

Unsere LeserInnen interessiert sicher auch, mit welchen Projekten Sie sich derzeit beschäftigen. Können Sie uns zum Schluss noch davon erzählen?

Ich leite die Skischule in Bad Mitterndorf, organisiere jeden Winter den Skiflug-Weltcup am Kulm und bin als Manager von Gregor Schlierenzauer tätig. Darüber hinaus versuche ich, in Vorträgen Menschen zu motivieren, ihr Leben in allen Facetten zu leben und zu lieben.

Interview: Raimund Mühlburger, Fotos: Hubert Neuper/Mirja Geh

03. November 2017 um